Rezension über:

Ronald S. Love: Blood and Religion. The Conscience of Henry IV 1553-1593, Montreal: McGill-Queen's University Press 2001, XII + 457 S., ISBN 978-0-7735-2124-7, USD 65,00
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Rezension von:
Jan-Friedrich Missfelder
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Jan-Friedrich Missfelder: Rezension von: Ronald S. Love: Blood and Religion. The Conscience of Henry IV 1553-1593, Montreal: McGill-Queen's University Press 2001, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 3 [15.03.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/03/3703.html


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Ronald S. Love: Blood and Religion

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Die persönliche Religiosität von Herrschern stand lange Zeit nicht im Zentrum des akademischen Interesses. Getreu der Maxime, Politik sei vor allem der instrumentellen Vernunft unterworfen, wurde dem religiösen Bekenntnis kaum ein signifikanter Einfluss auf Handeln und Denken der Herrschenden zugemessen. Dies scheint sich derzeit zu ändern. In der aktuellen Debatte um die amerikanische Außenpolitik zum Beispiel ist es offenbar durchaus von Interesse, ob der amerikanische Präsident George W. Bush weiterhin die Highland Park United Methodist Church in Dallas besucht, welche Predigten er dort hört und welche politischen Schlüsse er daraus ziehen mag. Um wie viel mehr sollte die Frage nach dem religiösen Bekenntnis im Kontext der Politik Virulenz in einer Zeit gewinnen, in der Politik und Religion so eng miteinander verwoben waren wie im Frankreich der Religionskriege?

Ronald S. Loves breit angelegte Studie widmet sich ganz der "conscience" des französischen Königs Henri IV während dieser Epoche. Das Image dieses Königs als "refondateur" des durch dreißig Jahre konfessioneller Bürgerkriege an den Rand des Abgrunds gebrachten Königreichs Frankreich sowie seine "personnalité ronde et gasconne" (Jean-Marie Constant) dienten schon den Zeitgenossen als Projektionsfläche ihrer Wünsche nach nationaler Versöhnung und Frieden. Dass mit seiner militärischen Einigungspolitik eine programmatische Abwertung des Konfessionellen zugunsten der Diskurse um Nation und Monarchie einherging, schien den Weg zum konfessionell uninteressierten Staat des Absolutismus zu öffnen. In dieser Langzeitperspektive war die persönliche Religiosität Henri IVs historiografisch zu vernachlässigen. Denn schließlich konvertierte der im Geiste der calvinischen Reformation erzogene König in seinem Leben selbst insgesamt dreimal. Eine solche Praxis schien der Historiografie lange Zeit nahe zu legen, Henri IV habe der konfessionellen Wahrheitsfrage oder gar der Religion überhaupt eher indifferent gegenüber gestanden.

Ronald Loves Buch tritt an, diese in Abstufungen bis heute vertretene Position zu widerlegen. Er zeichnet Henri IV vielmehr durchgängig als "a devoted Calvinist and a sincerely religious man in tune with his times" (14). Diese Grundthese legt es Love nahe, auch für die Handlungen und Ziele des Königs nicht nur einen rein politischen Maßstab anzulegen, sondern ebenso genuin religiöse Motivationen zu unterstellen. So bietet diese Doppelthese Gelegenheit zu einer fast vollständigen Neufassung der Biografie Henri IVs als politico-spirituelle Einfühlungsgeschichte.

Der chronologische Durchgang durch das Leben des Königs beginnt mit einer konzisen Darstellung der Jugend des Henri IV und seiner Erziehung mit den Schwerpunkten dynastisches Bewusstsein und calvinistische Konfession: "blood and religion". Doch findet diese Erziehung keineswegs im politisch luftleeren Raum statt. Love argumentiert vielmehr, dass der junge Prinz von Navarra schon sehr früh in die Konflikte zwischen den Konfessionen hineingezogen wurde. Beide Parteien schrieben ihm darin kraft seines königlichen Blutes eine zentrale Funktion zu: die eine Seite als präsumtiver 'Chef de Parti', die andere als gefährlicher Gegner, der für die katholische Sache gewonnen werden musste. In dieser Perspektive stellen sich die frühen Bürgerkriege der 1560er-Jahre auch als ein Ringen um die "conscience" des jungen Henri dar, über den die mächtige Mutter Jeanne d'Albret immer wieder die schützende calvinistische Hand hielt. In dieser Erzählung wird auch das der Bartholomäusnacht vorausgehende Heiratsprojekt zwischen Henri und der Königsschwester Marguerite de Valois als Konversionsstrategie funktionalisiert: "After the wedding he could be induced under force, if necessary, to abjure his Calvinist faith" (45). Diese Deutung überrascht ein wenig. Ob nämlich 1572 die Gefahr eines calvinistischen Königs Henri, die die dringende Notwendigkeit seiner frühzeitigen Konversion nahe legen würde, schon im Zentrum des politischen Kalküls von Charles IX und Catherine de Médicis stand, darf bezweifelt werden. Überhaupt belebt Love mit Blick auf die Königinmutter längst tot geglaubte schwarze Legenden von Catherine als machiavellistischer Intrigantin. Als Gegenbild der stets treu sorgenden Jeanne d'Albret leitet sie gleichsam unfreiwillig die Vollendung des Henri IV ein: "[H]e learned from Catherine de Medici [sic] how to dissemble and disguise his real designs" (58). Diese Fähigkeit ermöglichte in Loves Sicht auch nach der erzwungenen Konversion zum Katholizismus eine Art innere Emigration des "devoted Calvinist" während seiner Zeit als "captive at court" (64). Warum aber nach der Flucht zu Pferde im Februar 1576 die Rekonversion erst vier Monate später erfolgte, bleibt erklärungsbedürftig. Zum einen habe die tiefe calvinistische Überzeugung einen solchen Schritt gerade ausgeschlossen, vielmehr sei eine Zeit der Reflexion und Buße theologisch geboten gewesen. Obwohl in politischer Hinsicht womöglich galt, dass "ambiguity [...] his best political ally" (86) war, blieb er natürlich stets ein "devoted Calvinist" und "his mother's son" (85). Als nach dem Tod des Herzogs von Anjou 1584 deutlich wurde, dass Henri die Thronfolge zufallen würde, zögerte er wiederum, diese durch Konversion zum Katholizismus konfessionell abzusichern. Auch dies wird von Love unerschütterlich als Ausweis der Treue zum Calvinismus gedeutet: "[H]is personal religious convictions were a major obstacle to his conversion" (154). An dieser Position ändert sich auch nach dem Tod des Königs 1589 nichts.

Love kann sehr subtil und überzeugend die Verschiebung im Herrschaftsdiskurs weg von der konfessionellen Bestimmung hin zur dynastischen Legitimation über die 'loi salique' und zur Betonung der Gehorsamspflicht gegenüber dem König herausarbeiten, mit der Henri IV sich seine Gefolgschaft vor allem unter dem hohen Adel sicherte. Gleichwohl blieb diese ideologische Innovation prekär. Vor allem in den Reihen der königstreuen Katholiken stellte das jahrelange Zögern Henris, der vorgeschriebenen Katholizität des Königs durch abermalige Konversion zu genügen, die Treue und Gefolgschaft auf eine harte Probe. Die gebetsmühlenartig vorgetragene Versicherung, sich im katholischen Glauben instruieren zu lassen, sobald das Reich militärisch befriedet sei, stellte sie immer weniger zufrieden. So präsentiert Love die (zu) ausführlich erzählten Feldzüge gegen die 'Ligue' in und um Paris und ihre spanischen Verbündeten als ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver von der königlichen Pflicht zur Konversion: "So to Henri IV, Paris was well worth avoiding a mass!" (189, Hervorhebung im Original). Erst als alle militärischen und politischen Optionen für ihn endgültig erschöpft waren, habe der König sich nicht ohne Gewissensbisse zum folgenschweren Schritt über die Schwelle von Saint-Denis durchringen können. Doch selbst jetzt sei dies nicht als endgültiger Übertritt zum Katholizismus zu deuten: "In short, in 1593, Henri IV was still his mother's son, with her piety deeply ingrained" (306). Love konstruiert demnach eine Kontinuität in Henri IVs "conscience", die fast ausschließlich in der Prägung durch die calvinistische Erziehung verbürgt ist. Zugleich aber argumentiert Love folgerichtig, dass damit die ursprüngliche Kongruenz von "blood and religion" letztlich nicht aufrecht zu erhalten war, sondern der politischen Notwendigkeit geopfert wurde. Die Konversion von 1593 sei das Zeichen dieser Verschiebung, keinesfalls aber einer Veränderung des religiösen Bewusstseins des Königs.

So erzählt Love trotz aller Verschlungenheit im Detail im Grunde eine sehr geradlinige Geschichte. Dass man trotzdem nur selten geneigt ist, sie zu glauben, liegt an Problemen ihrer narrativen Plausibilisierung. Dies beginnt mit dem Erkenntnisinteresse selbst. War in der jüngeren Forschung die Konversion des Königs weitgehend - und mit gutem Grund - aus der Perspektive ihrer Außenwahrnehmung und Authentizitätserwartung thematisiert worden [1], so bringt Loves programmatische Konzentration auf "personality", "character" und "conscience" des Königs ein gewaltiges Quellenproblem mit sich. Love zieht ein breites Spektrum an Memoiren, Briefen, Geschichtswerken und diplomatischen Berichten als Quellen seiner Bewusstseinsgeschichte heran, ohne aber je nach Gattung, Intentionalität Standortgebundenheit und damit nach Quellenwert für seine Fragestellung zu differenzieren. Memoiren von Kampfesgefährten des Königs haben schlicht einen anderen Status als Briefe Henris an seine Mätresse Gabrielle d'Estrées - die zweimal zu einem "Gabriel" (291, 293) wird. Die Berichte des venezianischen Gesandten haben andere politische Zwecke als die des englischen. Die "Histoire universelle" des radikalen Hugenotten Agrippa d'Aubigné ist alles andere als ein neutraler historiografischer Text. Die in einer englischen Übersetzung aus dem 18. Jahrhundert zitierte "Historia delle guerre civile di Francia" von Enrico Davila erschien erstmals 1630 in Venedig. Love behandelt alle gleich und glaubt allen alles.

Hinzu kommt eine Reihe von terminologischen Eigenheiten, die mehr verwirren als aufklären. So verwendet Love beständig die Begriffe "sect" und "sectarian", um die katholische und reformierte Konfession zu kennzeichnen. Seine Erläuterung, frühneuzeitliche Religiosität sei eher als exklusiv und "sectarian" denn als "denominational" (xii) zu verstehen, bleibt für den Rezensenten im Dunkeln. Der durchaus gängige Terminus "Konfession" findet keinerlei Verwendung. Vor allem aber verwickelt Love seine eigene These in einen logischen Widerspruch. Wenn es stimmen sollte, "that where Henri was fundamentally a religious man, he was not at the same time a sectarian man" (306), so verliert die ständige Betonung seiner Standhaftigkeit im Calvinismus (einer "sect"!) ihre argumentative Grundlage. Diese Argumentation setzt die Distinktheit zweier Konfessionen voraus, um sie für Henri IV zugleich zu leugnen und zu bestätigen. Vielleicht ist Loves These schlicht unterkomplex. Denis Crouzet hat jüngst auf die prinzipielle Widersprüchlichkeit und Multiplizität früneuzeitlicher Identitäten hingewiesen: "L'un peut être ce qui se dissimule derrière le désir du multiple et du dissemblable." [2] Wenn dies auch für die "conscience of Henri IV" gilt, bräuchte man vermutlich Ronald Loves Buch nicht mehr.

Anmerkungen:

[1] Vergleiche vor allem: Michael Wolfe: The Conversion of Henri IV. Politics, Power, and Religious Belief in Early Modern France, Cambridge, Mass. 1993; Mark Greengrass: The Public Context of the Abjuration of Henri IV, in: Keith Cameron (Hg.): From Valois to Bourbon. Dynasty, State and Society in Early Modern France, Exeter 1989, 107-126.

[2] Denis Crouzet: Rabelais et son double. L'historien en synergie, Postface zu: Febvre, Lucien: Le Problème de l'incroyance au XVIe siècle, Paris 2003 (1942), 479-517, hier: 492.

Jan-Friedrich Missfelder