Hermann Nehlsen / Hans-Georg Hermann (Hgg.): Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte; 22), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2002, 344 S., 17 Abb., ISBN 978-3-506-73272-9, EUR 60,00
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Der Sammelband geht zurück auf ein Kolloquium, das anlässlich des 650. Todestags Kaiser Ludwigs des Bayern in der Nähe seines Sterbeortes, im ehemaligen Zisterzienserkloster Fürstenfeld, abgehalten wurde. Als Ergänzung zu der Ludwig dem Bayern als Landesherrn gewidmeten Tagung von 1996 (publiziert als Teilband 1 der Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 60 von 1997) beschäftigte sich dieses von Hermann Nehlsen initiierte Kolloquium hauptsächlich mit der Politik Ludwigs auf Reichsebene, mit seinem Kaisertum, mit seinem Konflikt mit dem Papsttum und mit seiner Memoria.
Das "Kaisergrab" in der Münchner Frauenkirche stand im Mittelpunkt des ersten Beitrags von Hubert Glaser ("Schwierige Erinnerung - Über das "Kaisergrab" in der Münchner Frauenkirche und andere Denkmäler Ludwigs des Bayern, 1-38). Zunächst hatte wohl das Mausoleum, das Ludwig seiner ersten Gemahlin Beatrix von Glogau hatte errichten lassen, auch ihm als erstes Grabmonument gedient. Erst im Zuge des Neubaus der Frauenkirche ab 1468 wurde ein Grabmal, das den Kaiser in sakraler Sphäre zeigte, wie ein Stiftergrab im Chor platziert. Albrecht IV. setzte damit der wittelsbachischen Dynastie ein Denkmal ihrer Abstammung von einem Kaiser. Auch die Umgestaltung des Grabmals unter Maximilian I. diente der Monumentalisierung des Anspruchs der Wittelsbacher, eine Kaiserdynastie zu sein. Die Indienstnahme des kaiserlichen Vorfahren zu politischen Zwecken seitens der Wittelsbacher ab Ende des 15. Jahrhunderts konnte auch Jean-Marie Moeglin in seinem Vortrag über "Das Bild Ludwigs des Bayern in der deutschen Geschichtsschreibung des Spätmittelalters (circa 1370 - circa 1500)" (199-260) feststellen. Im Kontrast dazu zeigt die Geschichtsschreibung des übrigen Deutschlands ein bemerkenswertes Desinteresse an der Gestalt Ludwigs, das wohl darauf zurückzuführen ist, dass Ludwigs Kampf mit dem Papsttum seine Bedeutung schon bald nach Ludwigs Tod verloren hatte. Methodisch interessant ist Moeglins Analyse der Traditionsbildung und der Informationsbeschaffung einzelner Geschichtsschreiber, die erkennen lässt, wie die Möglichkeiten zuverlässiger Information eine Generation nach Ludwigs Tod deutlich abnahmen und die Chronisten auf örtliche oder regionale Traditionsbildung und einige wenige Quellen mit überregionaler Verbreitung angewiesen waren.
Um die Bedeutung des Kampfes Ludwigs des Bayern mit der Kurie für die deutsche Geschichte zu erschließen, rekapituliert Jürgen Miethke (39-74) zunächst die Ursachen des Konflikts und die Formen der Auseinandersetzungen. Die zukunftsweisende Auswirkung des Konflikts liege darin, dass Ludwig genügend Gelassenheit und Entschlusskraft besessen habe, verschiedene, notfalls auch extreme Positionen einzunehmen, und dass er die Kurfürsten in seine Verteidigungslinie einbezogen habe. In seinem Beitrag "Das Kaisertum Ludwigs des Bayern" (119-138) beantwortet Hans-Jürgen Becker die Frage nach der Bedeutung von Ludwigs Kampf um sein Kaisertum damit, dass die rechtliche Verfassung des Reiches geklärt und stabilisiert worden sei (der zum König Gewählte darf alle Reichsrechte im gesamten Imperium ausüben, bei der Wahl gilt das Mehrheitsprinzip, die Kurfürsten bilden einen geschlossenen Wahlkörper). Darüber hinaus habe er das Reich politisch gestärkt, was sowohl für die Abhaltung der spätmittelalterlichen Reformkonzilien wie auch für die kleineren Reichsstände wichtig gewesen sei. Heinz Thomas verfolgt in seinem Beitrag "Clemens VI. und Ludwig der Bayer" (75-117) die Frage, ob Clemens von Anfang an das Ziel verfolgt habe, der Herrschaft Ludwigs ein Ende zu setzen. Auf dem Hintergrund der Verquickung mit dem Verhältnis zwischen Frankreich und England untersucht Thomas die Haltung Pierre Rogers / Clemens' VI. sowohl in der Zeit vor wie auch während seines Pontifikats und kommt in Auseinandersetzung mit den Thesen Schwöbels zu dem Ergebnis, Clemens VI. habe nie erwogen, Ludwig der Absolution teilhaftig werden zu lassen. Allerdings habe er keineswegs von Anfang an Karl von Mähren zum Königtum verhelfen wollen.
Ivan Hlavácek untersucht die schicksalhafte wechselseitige Bedeutung Johanns von Luxemburg und Ludwigs des Bayern füreinander (139-157). Er unterscheidet drei Phasen des Zusammen- beziehungsweise Gegeneinanderwirkens: zunächst eine Phase des Zusammenwirkens bis zur Schlacht bei Mühldorf, in der der Luxemburger den Bayern, den Königskandidaten seiner Partei, unterstützte und daraus reichen Gewinn zog; dann begannen sich die Wege zu trennen, als Johann Mitglied des französisch-päpstlich-luxemburgischen Bündnisses wurde, und es um die Tiroler Frage zur Konfrontation kam; ein letzter Versuch Johanns, zwischen Ludwig dem Bayern und dem Papst zu vermitteln, wurde durch den Druck seines Sohnes Karl beendet.
Die Vorträge des zweiten Tagungsteils eröffnete Ernst Schubert mit "Ludwig der Bayer im Widerstreit der öffentlichen Meinung seiner Zeit" (163-197). In den Quellen ist die öffentliche Meinung greifbar als "fama" oder - mehr der Bedeutung Gerücht nahe kommend - "rumor", wie Schubert am Beispiel der "Chronica Ludovici quarti" erläutert. Geprägt wurde die öffentliche Meinung eher weniger von Traktaten für die Gelehrten als vielmehr von den Prophetien von Astrologen, von Liedern und nicht zuletzt von illuminierten Urkunden und der Hofkunst. Die öffentliche Meinung zeigte sich aber auch gerade in der Verweigerung der Veröffentlichung der päpstlichen Prozesse gegen den Kaiser. Neu sind nach Schubert für die Zeit Ludwigs des Bayern die Intensität der Publizistik und die Verschränkung verschiedener Kreise von Öffentlichkeit, der monastischen, gelehrten, adelig-höfischen und der des gemeinen Mannes. Hans Schlosser ("Das Rechtsbuch Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346 - Strukturen des materiellen und Prozeßrechts", 261-284) würdigt die lebensnahe und praxisorientierte Anlage des Rechtsbuches, das keineswegs germanisches Landrecht wiedergebe, sondern deutlich vom römisch-kanonischen Recht beeinflusst sei. Der abschließende Beitrag von Hermann Nehlsen untersucht "Die Rolle Ludwigs des Bayern und seiner Berater Marsilius von Padua und Wilhelm von Ockham im Tiroler Ehekonflikt" (285-328). Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Kaiser, nachdem sich der Weg einer kirchlichen Trennung als nicht durchführbar erwiesen hatte, die Ehe Margarete Maultaschs mit Johann Heinrich von Böhmen durch kaiserliche Entscheidung trennte und für die neue Eheschließung einen Dispens von dem Ehehindernis zu naher Verwandtschaft erteilte. Die Quellen zu einer Ehetrennung durch den Kaiser aus der Feder Wilhelms von Ockham und Marsilius' von Padua seien in ihrer Entstehungszeit und ihrer Zielrichtung umstritten, würden aber dadurch bestätigt, dass juristisch gebildete Autoren das Fehlen eines kirchlichen Verfahrens festhielten; eine förmliche Entscheidung sei auch notwendig gewesen, um die Legitimität der Nachkommen nicht infrage zu stellen. Ein weiterer Vortrag von Alois Schütz soll unter dem Titel "Kronrat und Reichskanzlei als Zentralbehörden des Reiches unter Ludwig dem Bayern" in ausführlicherer Fassung als eigener Band veröffentlicht werden.
Zwei Beiträge (von Wilhelm Volkert und Hans-Georg Hermann) dokumentieren zusammenfassend die Diskussion der einzelnen Vorträge und geben somit Einblick in die Rezeption der vorgetragenen Thesen durch die Teilnehmer der Tagung. Ein Personenregister erschließt den Band, der die wichtigsten Themen der Erforschung der Reichsgeschichte Ludwigs des Bayern bündelt und somit zusammen mit dem Band über Ludwig den Bayern als Landesherrn einen aktuellen Zugang zu den verschiedenen Aspekten seiner Herrschaft bietet.
Gertrud Thoma