Ernst Badstübner / Dirk Schumann (Hgg.): Backsteintechnologien in Mittelalter und Neuzeit (= Studien zur Backsteinarchitektur; 4), Berlin: Lukas Verlag 2003, 404 S., 190 s/w-Abb., ISBN 978-3-931836-27-6, EUR 36,00
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Nachdem sich Band 3 der Studien zur Backsteinarchitektur hauptsächlich mit kunstgeschichtlichen Aspekten des Themas beschäftigt hatte, stehen bei dem nun vorliegenden vierten Band technologische Fragen im Vordergrund. In den insgesamt sechzehn Beiträgen dominieren, wie schon im vorangegangenen Band, zeitlich das Mittelalter und regional der Ostseeraum.
Von grundlegender Bedeutung für die Technikgeschichte des mittelalterlichen Backsteinbaus sind die Beiträge über zwei umfassende Studien zur Brenntechnik, die mit praktischen Feldversuchen einhergingen. Claudia Heinrich berichtet über ein seit 1994 laufendes Projekt an der TU Cottbus, bei dem 1999 auf Grundlage historischer Forschungen ein Ziegelbrennofen rekonstruiert und erfolgreich abgefeuert wurde. Durch dieses Experiment konnten Detailkenntnisse zur Entwicklung und Verteilung der Brenntemperatur, Dauer des Brandes, Brennstoffverbrauch und Stapelweise der Backsteine im Ofen gewonnen werden, welche die aus den historischen Quellen bekannten Informationen zur Technik der Backsteinherstellung ergänzen und vertiefen. Die Beiträge von Christine Maurer und Sophie Wolf stellen ein ähnliches Projekt vor, das 1996 bis 1998 in der Schweiz durchgeführt wurde. Während im Cottbuser Brandofen die Produktion von Normalsteinen nachvollzogen wurde, versuchten die Schweizer Forscher, die Herstellungstechnik von besonders großen und aufwändig verzierten Backsteinwerkstücken zu rekonstruieren, die im 13. Jahrhundert in den Werkstätten des Zisterzienserklosters St. Urban entstanden waren. Die St. Urbaner Quader hatten oft ein Format von etwa 45 x 30 x 25 cm, der größte bekannte Stein, ein Fensterpfosten, brachte es sogar auf eine Länge von 73 cm. Viele Backsteine aus St. Urban waren durch Modelaufdrucke verziert, von denen weit über hundert verschiedene Motive überliefert sind. Die Herstellung dieser monolithischen Werkstücke stellte höchste Anforderungen an die Ziegelbrenner, sowohl beim Trocknungs- als auch beim Brennprozess. Derart großformatige, oft Werkstein imitierende Backsteine sind selten, kommen jedoch auch in anderen Regionen vor, etwa am Hochschloss der Marienburg in Preußen. Kazimierz Pospieszny stellt in seinem Beitrag über die Marienburger Backsteinwerkstatt um 1280 unter anderem sehr qualitätsvolle Beispiele (insbesondere Kapitellsteine) vor und sieht dabei Verbindungen zu der am Dom in Brandenburg tätigen Werkstatt.
Ein in fast allen Backsteinregionen zu beobachtendes Phänomen ist die Rationalisierung der Herstellungs- und Versatztechnik. In der frühen Phase wird ein wesentlich höherer Aufwand betrieben, die Zahl der Formsteintypen ist deutlich höher, und häufig wurden im Kapitellbereich eingesetzte Stücke wie Werksteine individuell bearbeitet. Der schon erwähnte Aufsatz Kazimierz Pospiesznys zeigt - als ein Beispiel für eine solche Frühphase - die eindrucksvolle Bandbreite des Backsteindekors im Preußenland am Beispiel der Marienburger Werkstatt. In späteren Entwicklungsphasen versuchte man mit immer weniger Einzelformen auszukommen, die durch geschickte Anordnung dennoch eine gewisse Zahl an verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten bei Pfeilervorlagen, Fenster- und Portalrahmungen erlaubten. Einen derartigen "backsteintechnischen Rationalisierungsvorgang" aus dem späten 13. Jahrhundert beschreibt Dirk Schumann in seinem Beitrag über den Dekor der Berliner Franziskanerkirche. Auch die kurze Darstellung von Barbara Perlich zur Wandlung der Backsteinverbände in Mittelalter und Neuzeit zeigt, dass 'wilde Verbände' eher (wenn auch nicht ausschließlich) eine Erscheinung früher Entwicklungsphasen sind.
Der Zug zur Rationalisierung bei den Versatztechniken führte in Deutschland jedoch nicht zu einer Normierung der Steinformate. Alle Versuche, regionale Backsteinchronologien auf Grundlage der Formatsentwicklungen zu erstellen, waren bisher nicht besonders erfolgreich. Anders scheint die Situation in Italien gewesen zu sein. Daniela Pittaluga und Simona Valeriani berichten von einer Studie der Universität Genua zu den Backsteinmaßen in verschiedenen Regionen Italiens zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert, nach der eine kontinuierliche Verringerung der Formate erfolgte. Die absoluten Maße waren in den untersuchten Städten zwar unterschiedlich, die Tendenz zur Verkleinerung jedoch überall nachweisbar. Erklärt wird dieses Phänomen unter anderem mit dem Gewinnstreben der Backsteinproduzenten. Da Backsteine stückweise verkauft wurden, brachten kleinere Formate den Herstellern höhere Einnahmen. Die Autoren halten, mit gewissen Einschränkungen, eine Datierung von Mauerwerken anhand der Formate für möglich. Wie vorsichtig man jedoch bei derartigen Verallgemeinerungen sein sollte, zeigt der Beitrag von Juan Antonio Quirós Castillo über die mittelalterlichen Backsteinmaße der Toskana. Auch er stellt eine gewisse kontinuierliche Entwicklung fest, in diesem Fall aber in umgekehrter Richtung: die Formate wurden immer größer.
In einem sehr ausführlichen Beitrag beschreibt Helmut Müller die Technik des romanisch-frühgotischen Backsteinbaus in der Altmark und gibt dabei einen Überblick zu allen Einzelaspekten (Verbreitung der Backsteinbauweise, Formate, Farbe, Glasur, Riffelung, Formsteine, Mauerstruktur und -stärke, Mörtel und Fugenschnitt).
Im längsten Beitrag des Bandes widmet sich Hansjörg Rümelin dem Phänomen der Ziegelstempel im Gebiet der Altmark. Durch Stempel markierte Backsteine sind eine eher seltene Erscheinung. In Norddeutschland lassen sie sich in größerer Zahl nur in zwei Regionen nachweisen, dem Raum Lüneburg und der Altmark (mit Schwerpunkt Stendal und Tangermünde). Die zeitliche Verbreitung lag zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. Ziegelstempel finden sich fast ausschließlich an Formsteinen, nicht jedoch an Normalsteinen. Die Markierungen, es handelt sich meist um einfache geometrische Zeichen, dienten nach Rümelin als Ziegeleimarken, die die Herkunft des Materials (vielleicht im Sinne eines Qualitätssiegels) belegen sollten. Gelegentlich waren es möglicherweise Hausmarken der verantwortlichen Ziegelherren. In einem Sonderfall, der St. Nikolaikirche in Osterburg, vermutet der Autor eine unheilabwehrende Funktion der Zeichen. Ziegelstempel als Qualitätssiegel im 19. Jahrhundert finden sich auch bei einer Gruppe hochwertiger Backsteinsteinprodukte der "Rathenower" Ziegelindustrie im westlichen Havelland, die im Beitrag von Wolfgang Bünnig vorgestellt werden.
Die durch Schinkel und seine Nachfolger ausgelöste Renaissance der Backsteinarchitektur mit ihren rein steinsichtigen Flächen prägt bis heute unsere Sehgewohnheiten. Die restauratorische Untersuchung vieler Denkmäler hat inzwischen jedoch gezeigt, dass Putz und Farbe ein wichtiges Element für die Außenerscheinung mittelalterlicher Backsteinbauten waren. Matthias Donath gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten des Einsatzes von Putz und Farbe in der Backsteinarchitektur. Der Eindruck eines gleichmäßigen Fugennetzes bildete zweifellos einen hohen ästhetischen Wert, weshalb Unregelmäßigkeiten des Backsteinmaterials mitunter durch rote Begleitstriche ausgeglichen wurden. Die Fugen erschienen dem Betrachter infolge dieser Maßnahme dünner und regelmäßiger. In manchen Fällen ging man so weit, dass Backsteinwände vollständig rot getüncht und anschließend mit weißer Farbe ein Backstein imitierendes 'ideales' Fugennetz aufmalt wurde. Daneben verwendete man weißen Putz, um bestimmte Dekorelemente hervorzuheben, so etwa die Rücklagen von Bogenfriesen. In einem weiteren Entwicklungsschritt wurden die durch Backsteine gebildeten Friese vollständig durch Putzstreifen mit eingeritzten und aufgemalten Maßwerkornamenten ersetzt. Die Maßwerkmalereien konnten schließlich im 14. und 15. Jahrhundert ganze Giebel großflächig überziehen. Als letzter Entwicklungsschritt erscheinen im ausgehenden 15. Jahrhundert vollständig verputzte Backsteinbauten mit farbig abgesetztem plastischem Maßwerkdekor.
Die Wiederentdeckung der mittelalterlichen Backsteintradition in Preußen und Deutschland gilt allgemein als ein Werk Karl Friedrich Schinkels. Christof Baier zeigt auf, dass die Bemühungen um die Wiedergewinnung mittelalterlicher Backsteinbauweise schon im 18. Jahrhundert stark ausgeprägt war. Schinkel sollte daher nicht als Erfinder, sondern eher als Vollender der Renaissance der Backsteinarchitektur angesehen werden. Ein besonderes Augenmerk richtet Baier dabei auf eine von der königlich preußischen Finanz-, Kriegs- und Domänendirektion 1776 ausgesetzte Preisfrage "über die Ursachen der Festigkeit alter Römischer und Gothischer Gebäude und die Mittel, gleiche Dauerhaftigkeit bey den neuen Mauerwerken zu erhalten". Den Siegerpreis erlangte der Beitrag von Christian Ludwig Ziegler, der noch im gleichen Jahr "zum gemeinen Besten" veröffentlicht wurde. Auf viele Details (Backsteinbrand, Formate, Mauerbeschaffenheit, et cetera) eingehend kommt Ziegler zu dem Schluss, dass die gotische Ziegelbautechnik in vielen Punkten der zeitgenössischen Bauweise überlegen gewesen sei und daher zur Nachahmung anrege: "Daß aber die Alten mehr Sorgfalt auf die Erbauung der Gebaeude anwandten, als in neueren Zeiten geschiehet, und daß uns die festen Mauerwerke derselben die besten Muster zur Nachahmung abgeben, ist wol gewiß." Im ausgehenden 18. Jahrhundert wurden durch die preußische Bauverwaltung daher Anstrengungen verstärkt, die zur technischen Verbesserung des Backsteinbaus führen sollten. Hierbei taten sich vor allen Wilhelm und David Gilly hervor, die dem jungen Schinkel wichtige Grundlagen für die Verwendung des Backsteins vermittelten.
Christofer Herrmann