Esteban Mauerer: Südwestdeutscher Reichsadel im 17. und 18. Jahrhundert. Geld, Reputation, Karriere: das Haus Fürstenberg (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 66), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, 456 S., ISBN 978-3-525-36059-0, EUR 62,00
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Mit der Leitfrage "nach den Zusammenhängen zwischen finanziellen Ressourcen, gesellschaftlichen Chancen, Gewinn und Verlust von Reputation, Selbstdarstellung und Repräsentation" (18) nähert sich die Münchner Dissertation den ergiebigen archivalischen Quellen aus dem Fürstlich Fürstenbergischen Archiv in Donaueschingen. Es geht um eine Generation, die in den 1660er-Jahren geboren wurde, um Ausbildung und Karriere von sieben Angehörigen der Linien Stühlingen und Meßkirch der katholischen Grafen beziehungsweise Fürsten von Fürstenberg.
Drei große Themenfelder werden abgehandelt: die Adelserziehung (Teil B), die Karrierewege (Teil C) und die Sicherung der gesellschaftlichen Position (Teil D). Dank der erhaltenen Korrespondenz der Erzieher, die nach Hause zu berichten hatten, gelingt es Mauerer ein farbiges Bild von den Universitätsbesuchen und Kavalierstouren der jungen Fürstenberger zu zeichnen (26-85). Die Stühlinger Grafen Anton Maria Friedrich, Prosper Ferdinand und Leopold Marquard besuchten 1672-1677 die Metzer Jesuitenschule und die Dillinger Jesuitenuniversität. Die Meßkircher Friedrich Christoph, Froben Ferdinand und Karl Egon studierten 1668-1680 in Köln, Prag und Würzburg. In Prag trafen auch die Stühlinger Grafen ein, die anschließend zur Turiner Ritterakademie weiterzogen und danach eine Kavalierstour nach Frankreich unternahmen (1677-1683). Die Meßkircher Grafen setzten ihre Studien in Löwen und Brüssel fort, ihre Kavalierstour führte sie nach Frankreich und Italien (bis 1686). Der jüngste Bruder Philipp Karl absolvierte seine Ausbildung in Feldkirch, Dillingen und Besançon und reiste anschließend nach Italien (1681-1689).
Wie Anton Maria Friedrich von der Stühlinger Linie schlug er eine geistliche Laufbahn ein. Beider kirchliche Karrieren und insbesondere die Mechanismen der Protektion werden ausführlich und anschaulich dargestellt (86-172). Anton Maria Friedrich scheiterte bei den Domkapiteln Basel, Konstanz und Augsburg, kam aber in Ellwangen, Köln und Salzburg sowie in Eichstätt zum Zuge (1669-1724). Philipp Karl war erfolgreich in Straßburg, Köln und Salzburg, wurde aber nicht Domkapitular in Konstanz (1685-1718). Eine heftige Liebesaffäre in Rom, wo er in den päpstlichen Dienst trat, stellte die Beziehungen zur Familie auf eine harte Probe (151-168). Philipp Karl beschloss sein Leben 1718 als Bischof von Lavant.
Eine weitere Option aristokratischer Existenz stellte der Militärdienst dar (173-238). Friedrich Christoph starb 1684 als kaiserlicher Hauptmann vor Ofen. Ebenfalls in kaiserliche Dienste trat Leopold Marquard - er fiel 1689 vor Mainz. Kurbayern und dem Schwäbischen Kreis diente Prosper Ferdinand (1683-1704), dem Kaiser und dem Schwäbischen Kreis Karl Egon (1686-1702). Eine Laufbahn als Diplomat und Jurist in Diensten des Hauses Habsburg schlug Froben Ferdinand (1687-1735) ein (239-308). Er wirkte als (Kon-)Direktor des Schwäbischen Reichsgrafenkollegs, war tätig am Reichshofrat und am Reichskammergericht, als kaiserlicher Gesandter und als kaiserlicher Prinzipalkommissar am Regensburger Reichstag. Um ihre gesellschaftliche Position abzusichern, strebten die Fürstenberger seit den 1620er-Jahren die Erhebung in den Fürstenstand an. Detailreich schildert Mauerer, wie sich nach der Erhebung der Egoniden (Linie Heiligenberg) 1664 in den Fürstenstand auch die Meßkircher und Stühlinger darum bemühten (309-354). Dies gelang ihnen allerdings erst 1716 nach dem Erlöschen der Heiligenberger. Integriert sind Ausführungen über den Lebensweg des Fürsten Anton Egon (Linie Heiligenberg), der zunächst am Wiener und dann erfolgreicher am kursächsischen Hof in Dresden sein Glück versuchte (329-341). Der letzte kurze Abschnitt widmet sich den Verwaltungsreformen und der Schuldenregulation am Ende des 17. Jahrhunderts (355-369).
Mauerers Studie, dankenswerterweise durch ein Orts- und Personenregister erschlossen, stellt einen gewichtigen Beitrag zur frühneuzeitlichen Adelsgeschichte dar. Der biografische Ansatz überzeugt. Facettenreich und kulturhistorisch fesselnd wird dem Leser das Ringen um Reputation vor dem Hintergrund knapper finanzieller Ressourcen vor Augen geführt. Lehrreicher als die Erfolge sind die gescheiterten Pläne, die strukturellen Hürden und individuellen Konfliktlagen.
Hinsichtlich eines Teilaspekts, den ich durchaus nicht für marginal halte, kann ich dem Autor Kritik nicht ganz ersparen. Es ist schade, dass sich Mauerer nicht mehr um den erhaltenen Buchbesitz der Fürstenberger gekümmert hat. Als er seine Dissertation erarbeitete, waren die Druckschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen noch nicht in alle Winde zerstreut (das Gros wurde 1999 einem angloamerikanischen Antiquariatskonsortium verkauft). Im Quellenverzeichnis sind die Titel der frühneuzeitlichen Drucke zwar minuziös wiedergegeben, aber die Standorte der meist seltenen Schriften erfährt man leider nicht. Man darf vermuten, dass Mauerer manche in Donaueschingen eingesehen hat. Über die Rolle der Bücher bei der Erziehung der Fürstenberger wird nicht viel gesagt (34f.) - nur bei dem Staatsroman "Argenis" von John Barclay weist Mauerer darauf hin, dass er in der Bibliothek des Landvogts Anton Bidermann, die in die spätere Hofbibliothek Donaueschingen gelangte, vorhanden war (34, Anm. 47). Dass anscheinend bereits in den 1920er-Jahren das Haus Fürstenberg hausgeschichtlich wertvolle Materialien undokumentiert veräußerte, geht aus einem anmerkungsweise gegebenen Hinweis hervor, wonach das gedruckte Thesenblatt der Prager Disputation Christoph Friedrichs von 1679, das Sigmund Riezler 1883 in Donaueschingen noch vorlag, inzwischen verschollen ist (43, Anm. 110). Maurer beschäftigt sich in einem Exkurs mit den in einem Nachlassverzeichnis des 1684 gefallenen Friedrich Christoph (179-186) aufgeführten 20 Werken, die er selbstsicher identifiziert, ohne dem Leser die Möglichkeit zu geben, durch einen Abdruck der kurzen Bücherliste die Resultate zu kontrollieren. Es wäre ohne weiteres zumutbar gewesen, die Existenz der aufgelisteten Bücher in der Donaueschinger Bibliothek zu überprüfen - Mauerer hat dies zum bleibenden Schaden der Wissenschaft unterlassen.
Er wäre fündig geworden, denn der amerikanische Antiquar Bruce McKittrick bot im Jahr 2002 einen Lipsius-Sammelband aus der Hofbibliothek Donaueschingen an, den er aufgrund der Lektüre von Mauerers Arbeit (183f.), auf die ich ihn aufmerksam gemacht hatte, mit dem Studium Friedrich Christophs von Fürstenberg in Verbindung bringen wollte. Im Bücherverzeichnis erscheint ja die "Politik" des Lipsius. Der exorbitante Preis (16.000 US-Dollar) des ehemals Donaueschinger Bandes verhinderte einen Ankauf durch eine deutsche Bibliothek. In der Beschreibung des Antiquars [1] wird die Verfasserschaft des Hofmeisters Kappeler als Faktum dargestellt - eine Hypothese, die zu überprüfen wäre, vorausgesetzt der Band stünde der Forschung zur Verfügung.
Dass erhaltene Adelsbibliotheken bedeutsame Quellen der Bildungsgeschichte sind, ist wiederholt herausgestellt worden. [2] Die mit dem unzutreffenden Dubletten-Argument begründete Weigerung des Landes Baden-Württemberg, die Donaueschinger Druckschriften 1999 durch Ankauf zu sichern [3], hat eine unikale Geschichtsquelle irreversibel vernichtet und der Forschung die Möglichkeit genommen, Hausgeschichte und frühneuzeitlichen Buchbesitz aufeinander zu beziehen. Ob es neben dem bildungsgeschichtlich so faszinierenden Lipsius-Sammelband vergleichbare weitere Zeugnisse für die Adelserziehung der Fürstenberger in der Hofbibliothek Donaueschingen gab? Möglicherweise wird es die Wissenschaft nie erfahren.
Anmerkungen:
[1] Lipsius, Justus. Politicorvm Sive Civilis Doctrinae Libri Sex. Frankfurt a.M., J. Wechel & P. Fischer 1591. 8vo. 304p. & pp. 305-19 of ms. Pages in typographic frames, inner & outer shoulder notes, title in red & black with a Wechel device. 17th century reversed? calf (soiled), the entire volume interleaved to quarto, quarto leaves uncut. with: Lipsius, J. Adversus Dialogistam Liber. Frankfurt a.M., J. Wechel & P. Fischer 1591. 8vo. 77, [2]p. & [44]p. of ms. index. Typography & device as above (I). With: Lipsius, J. De Constantia Libri Dvo. Frankfurt a.M., J. Wechel & P. Fischer 1591. 8vo. 126, [2 blank]p.
Typography & device as above (I-II). $16000.00
Ad I-III: This intensively annotated Sammelband illuminates the late baroque education of a Catholic prince: Friedrich Christoph von Fürstenberg (1662-84). It figures prominently among the twenty books he inventoried just months before his death (Mauerer). The manuscript contributions can be attributed to Friedrich Kappeler, who tutored Friedrich Christoph and his three younger brothers from 1668 to 1682. Kappeler had the three printed books inter- leaved with blank quarto bifolia and had the new book block pressed so the printed leaves left a blind impression on the adjoining blanks, creating new "text" and "margin" areas that mimicked the letterpress text with its inner and outer columns of shoulder notes. The tutor first tackled On Politics (I). (He handled Adversus dialogistam (II) less exhaustively and left De constantia (III) virgin.) He numbered its 2159 maxims and inserted interlinear textual elaborations. In the inner margin, he completed every printed citation - literary, historical, military, technical or philosophical - emending them where necessary. In the outer margin he commented on the printed subject summaries. He then similarly annotated the blank quarto leaves in up to four columns. He used the "text" area for quotations, observations, exempla and ancillary citations and the "margins" for primary citations and detailed amplifications. Lastly, he underlined in red all significant manuscript passages and compiled a forty-four page double-column alphabetic subject index to this complex manuscript. Even the index bears revisions, commentary and corrections. Above all, Kappeler was pragmatic, not pedantic, in his work. For example, one page of Lipsius' text on explosives, artillery and war machines sparked nearly 1000 words of four-column manuscript on the facing blank: the Fürstenbergs lost six family members in military service between 1676 and 1704, including Friedrich Christoph. Though Kappeler's charge excelled in his studies, the family called him home from his Kavaliertour in late 1682 to serve the Emperor in Hungary. On 18 July 1684 the boy lay carrion before Ofen. In excellent condition, Donaueschingen library stamp, shelf mark in pencil and in ink (on loose spine label).
[2] Bedauerlicherweise haben die von dem Wuppertaler Germanisten Rainer Gruenter und seiner "Arbeitsstelle Achtzehntes Jahrhundert" unternommenen Versuche, die Bestände noch existierender Adelsbibliotheken auszuwerten, nach seinem Tod keine Fortführung erfahren. 1982 publizierte Gruenter einen programmatischen Aufsatz "Hof- und Hofmeister-Literatur in Adelsbibliotheken", in: Euphorion 76 (1982), 361-388. Von den Arbeiten seines Schülerkreises widmete sich eine Monografie ganz der Adelserziehung: Heinke Wunderlich: Studienjahre der Grafen Salm-Reifferscheid (1780-1791). Ein Beitrag zur Adelserziehung am Ende des Ancien Régime, Heidelberg 1984 (die dort behandelte Adelsbibliothek auf Schloss Dyck wurde 1992/93 versteigert). Mir liegt der 120 Seiten umfassende maschinenschriftliche undatierte, 1979 oder später entstandene Bericht "Erforschung von Bibliotheken und Buchbeständen des 18. Jahrhunderts im rheinisch-westfälischen Raum" der Wuppertaler Arbeitsstelle vor, der schätzenswerte Angaben zu Adelsbibliotheken enthält, die nur zum Teil in gedruckter Form publiziert wurden.
[3] Dokumentation des Falles Donaueschingen im WWW: <http://www.uni-freiburg.de/histsem/mertens/graf/don.htm>
Klaus Graf