Rezension über:

Sigrun Paas / Sabine Mertens (Hgg.): Beutekunst unter Napoleon. Die "französische Schenkung" an Mainz 1803. Katalog-Handbuch zu Ausstellung im Landesmuseum Mainz (25.10.2003 - 14.3.2004), Mainz: Philipp von Zabern 2003, XVI + 390 S., 182 Farb-, 154 s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-2950-7, EUR 39,90
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Rezension von:
Katja Terlau
Büro für Kunstrecherche und Provenienzforschung, Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Katja Terlau: Rezension von: Sigrun Paas / Sabine Mertens (Hgg.): Beutekunst unter Napoleon. Die "französische Schenkung" an Mainz 1803. Katalog-Handbuch zu Ausstellung im Landesmuseum Mainz (25.10.2003 - 14.3.2004), Mainz: Philipp von Zabern 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 6 [15.06.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/06/5244.html


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Sigrun Paas / Sabine Mertens (Hgg.): Beutekunst unter Napoleon. Die "französische Schenkung" an Mainz 1803

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Der Katalog zur großen Sonderausstellung "Beutekunst unter Napoleon - die französische Schenkung an Mainz 1803" vom 25.10.2003 bis 14.3.2004 erinnert an ein Kulturereignis von europäischem Rang. Zugleich konnte damit das Rheinland-Pfälzische Landesmuseum in Mainz sein 200-jähriges Bestehen feiern.

Die Kriegszüge der französischen Revolutionsarmeen und Napoleons brachten eine Vielzahl entwendeter Kunstwerke aus den besetzten Gebieten mit nach Paris. Diese konfiszierten Objekte wurden dort zunächst im Musée Central untergebracht. Auf Grund des schließlich angehäuften Gemäldebestandes folgte ein Erlass des französischen Innenministers zur Gründung von Museen in 15 Städten. Diese neuen Institutionen sollten mit den in Paris angesammelten Kunstobjekten ausgestattet werden. So erhielt auch Mainz, als Hauptstadt des neu gegründeten Departments "Mont Tonnerre", 1803 eine Auswahl von 36 Gemälden als "französische Schenkung".

Der Ausstellungskatalog ist in fünf Kapitel aufgeteilt, denen sich jeweils ein eigener Katalogteil anschließt. Das erste Kapitel widmet sich der "Kunst in Mainz um 1800". Hier werden die kurfürstlichen und bürgerlichen Sammlungen um 1800 und ihr Schicksal dargestellt, denn der größte Teil dieser Kunstsammlungen wurde durch Flucht und Auslagerungen später aufgelöst. Der folgende Katalogteil skizziert die Entwicklung "Vom Kurfürstlichen zum napoleonischen Mainz" und die Veränderungen im Zuge der französischen Herrschaft. Der dritte Teil des Ausstellungskataloges beleuchtet als einen zentralen Aspekt der gesamten Thematik: die "Beutekunst". Hier werden sowohl die Konfiszierungen von Kunstwerken in Frankreich als auch die französische Beschlagnahmungen in Deutschland angesprochen. Das vierte Kapitel stellt dann in Einzelbeiträgen vom Musée Napoleon bis zur Bildersendung nach Mainz den "Lot 9 - die französische Schenkung" in den Mittelpunkt. Schließlich richtet sich im letzten Teil der Blickpunkt auf "die Mainzer Museumsgründung" sowie die Rückgabeforderungen der gegen Frankreich verbündeten Mächte nach Napoleons Sturz und dem Wiener Kongress von 1815.

Namhafte Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich spannen mit ihren Beiträgen einen weiten Bogen von den Mainzer Kunstschätzen, über die Eroberungszüge der Revolutionsarmeen und die napoleonische Zeit mit dem Personenkult Napoleons bis hin zur Rückforderungsdiskussion von Beutekunst. In diesem Zusammenhang macht Benedicte Savoy deutlich, wie der erzwungene Kunsttransfer im Zuge der französischen Raubzüge und die Beschlagnahmungen in Deutschland 1794 - 1815 ein neues Verantwortungsbewusstsein für das eigene Kulturerbe prägten und die Akzeptanz musealer Einrichtungen förderten. Sigrun Paas stellt in der Einführung des Katalogs "Beutekunst unter Napoleon" den Bezug zu späteren Ereignissen und bis heute ungeklärten Fällen in Europa her, die auch zur von der Bundesregierung Deutschland eingerichteten Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg (www.lostart.de) geführt haben. Ihr umfassender Aufsatz zur "Konfiszierung von Kunstwerken in Frankreich zwischen 1789 und 1815" stellt sehr differenziert die verschiedenen Stufen der Enteignung dar, die zunächst als Sanierung der Staatskassen geplant, eine Eigendynamik entwickelten und schließlich im wahren Bildersturm gipfelten. Es wird deutlich gezeigt, wie die angehäuften und vorbildlich katalogisierten Kunstschätze im Louvre - trotz vieler späterer Rückgaben - die Grundlage eines für viele europäische Museumsgründungen vorbildlichen Kunsttempels bildeten. Thomas Gaehtgens gewährt einen umfassenden Einblick in die napoleonische Kunstpolitik und die von gezieltem Kunstraub in den besetzten Ländern geprägte Sammlung europäischer Kunst des Musée Napoleon. Die Präsentation der Kunstwerke dieses Museums mit systematischer Klassifizierung und in chronologischer Ordnung ermöglichte dem interessierten Besucher ein vergleichendes Sehen. Damit ist es ein frühes und sicherlich vorbildliches Beispiel für diese Konzeption und legt zudem die Grundlagen für die Disziplin der kunstgeschichtlichen Forschung.

Der Ausstellungskatalog leistet nicht nur einen bedeutenden Beitrag zur Stadtgeschichte von Mainz sondern berührt durch die Schenkung und den Kulturtransfer eine ganze Kunstlandschaft, die im Zuge der französischen Revolution und in napoleonischer Zeit in Bewegung geraten ist. Der bereits von der Revolution geborene Gedanke, ein Weltmuseum in Paris entstehen zu lassen, wurde unter Napoleon mit dem "Muséum Central des Arts" weiter verfolgt. Für diese Idee konfiszierten die französischen Truppen alles, was Ihnen interessant erschien und brachten es mit nach Paris. Durch diese Verschleppungen von Kunst- und Kulturgütern berührt das vielschichtige Thema neben den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ebenso die Niederlande, Belgien und Italien bis hin zu Russland. Mit der "Beutekunst unter Napoleon" ist eines von drei Beispielen des systematischen staatlichen Kunstraubs und mit ihr einher gehender Museumseinrichtungen der Neuzeit näher beleuchtet worden. Auch in späterer Zeit finden sich in ähnlicher Form solche Vorgehensweisen und Pläne wieder. So plante Adolf Hitler in Linz ein "Führermuseum", für das er in ganz Europa Meisterwerke der Kunst gezielt ankaufen und beschlagnahmen ließ. Für diese Zwecke wurden Kunst-Kommissare eingesetzt, die in den besetzten Gebieten die Kunstwerke systematisch aufspürten und abtransportieren ließen. Auch hier handelte es sich überwiegend um Raubkunst, die nach 1945 von den ehemaligen Besitzern in Restitutionsverfahren zurückgefordert wurde. Ein weiteres Projekt war nach dem Krieg in der UdSSR geplant, wo man für Moskau ein Museum der Weltkunst und der Weltgeschichte vorgesehen hatte [1]. Dieses stalinistische Super-Museum sollte die Kunst- und Kulturgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart repräsentieren, wurde aber wie auch das "Führermuseum" nicht realisiert. Alle diese und weitere Beispiele seit der Antike belegen aber, wie sich der Raub von Kunstwerken immer wieder für das Machtkalkül von ideologischen Herrschaften zunutze gemacht worden ist [2, 3].

Der umfangreiche Katalog "Beutekunst unter Napoleon" berührt anhand eines einschlägigen historischen Beispiels die noch heute international anhaltende Diskussion um ungeklärte Besitzverhältnisse und Enteignungen von Kunst- und Kulturgütern. Die Vielzahl der allein in dieser Publikation verwendeten Bezeichnungen (Beutekunst, Raubkunst, Kunstraub, Verschleppung, Transfer, Enteignung et cetera) spiegelt die Vielschichtigkeit und Komplexität dieser Forschungsthematik wider und zeigt gleichzeitig die Hilflosigkeit in ihrem Umgang. Trotz der umfassend beschriebenen und in den Kontext gestellten französischen Beutezüge blieb eine Diskussion und Einordnung in diesen Forschungsbereich sowie neuere Literatur leider weitgehend unberücksichtigt. Der französischen Schenkung wird ein eigenes Kapitel mit Beiträgen gewidmet, doch auf den ersten Blick lassen sich dessen Bilder nur anhand von Listen, und aber nicht anhand des Kataloges zusammenhängend oder durch eine besondere Kennzeichnung erfassen. Der Katalog bietet mit 260 Exponaten, von hochkarätigen Gemälden bis hin zu Gebrauchsgegenständen, aus Europäischen Kunstmetropolen eine Materialfülle und veranschaulicht damit den historischen Kontext der napoleonischen Zeit. Die teilweise erst jetzt recherchierten Angaben zur Herkunft der Objekte leisten einen wichtigen Beitrag zur Provenienzforschung. Wünschenswert wäre es, wenn zukünftig standardmäßig in jedem Katalog die bekannten Provenienzangaben aufgeführt und neben der Erforschung und Einordnung der Kunstwerke auch selbstverständlich ihre Herkunft als Teil des Werkes und seiner Geschichte angesehen würden.

Der Mainzer Ausstellungskatalog widmet sich der "Beutekunst unter Napoleon" und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur bis heute anhaltenden internationalen Beute- und Raubkunstdebatte. Die 36 Bilder der französische Schenkung an Mainz wurden erstmals in Hinsicht auf die Erforschung ihrer Provenienz umfassender wissenschaftlich bearbeitet und konnten zudem durch die Einordnung in größerem Kontext entsprechend gewürdigt werden. Gleichzeitig gewinnen viele der besonders Mainz und Paris gewidmeten wissenschaftlichen Katalogbeiträge wichtige Aspekte zur Geschichte und Erforschung ihrer Kunstsammlungen. Der umfangreiche Katalogteil illustriert und dokumentiert mit 260 Exponaten besonders anschaulich die napoleonische Zeit und sein historisches Umfeld. Die gesamte Publikation ist damit ein sehr spannendes und umfassendes Werk über die unruhige und folgenreiche napoleonische Zeit in Europa.


Anmerkungen:

[1] Konstantin Akinscha, Grigori Koslow: Beutekunst. München 1995, 46-60.

[2] Rainer Wahl: Kunstraub als Ausdruck von Staatsideologie. In: Matthias Frehner (Hrsg.): Das Geschäft mit der Raubkunst. Fakten, Thesen, Hintergründe. Zürich 1998.

[3] Volker Michael Strocka (Hrsg.): Kunstraub - ein Siegerrecht? Historische Fälle und juristische Einwände. Berlin 1999.

Katja Terlau