Rezension über:

Frits Scholten (ed.): Willem van Tetrode, sculptor (c. 1525-1580) - Guglielmo Fiammingo scultore. Ausstellungskatalog Rijksmuseum Amsterdam 2003 / The Frick Collection, New York 2003, Zwolle: Waanders Uitgevers 2003, 144 S., 80 Farb-, 70 s/w-Abb., ISBN 978-90-400-8781-3, EUR 34,95
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Rezension von:
Ursel Berger
Georg-Kolbe-Museum, Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dagmar Hirschfelder
Empfohlene Zitierweise:
Ursel Berger: Rezension von: Frits Scholten (ed.): Willem van Tetrode, sculptor (c. 1525-1580) - Guglielmo Fiammingo scultore. Ausstellungskatalog Rijksmuseum Amsterdam 2003 / The Frick Collection, New York 2003, Zwolle: Waanders Uitgevers 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 12 [15.12.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/12/4230.html


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Frits Scholten (ed.): Willem van Tetrode, sculptor (c. 1525-1580) - Guglielmo Fiammingo scultore

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2003 wurde in einer Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum und in der Frick Collection in New York der Bildhauer Willem Danielsz. van Tetrode vorgestellt. Dazu erschien ein gut ausgestattetes Katalogbuch in englischer Sprache, die erste Monografie über den Künstler. Das Unternehmen erinnert an die Präsentation des Werkes von Adrian de Vries, die 1998 ebenfalls vom Rijksmuseum Amsterdam ausging, sowie an die legendäre Giambologna-Ausstellungstournee von 1978. Tetrode, ein ebenfalls in Italien geschulter Bildhauer niederländischer Herkunft, wird somit den berühmteren Kollegen nahe gerückt. Sein Werk monografisch zu behandeln, ist allerdings gewagt. Während für Adrian de Vries und Giambologna jeweils ein umfangreiches, stilistisch zusammenhängendes Œuvre dokumentarisch gesichert ist, verhält es sich bei Willem van Tetrode ganz anders. Sein Hauptwerk, der Hochaltar der Oude Kerk in Delft mit 24 Steinfiguren, wurde schon kurz nach der Vollendung im Bildersturm zerstört. Noch vor drei Jahrzehnten konnte man kaum ein Werk von Tetrode nachweisen. Seit 1987 kennt man immerhin eine dokumentarisch gesicherte Serie von neunzehn Bronzereduktionen nach antiken Vorbildern im Bargello und den Uffizien, Florenz (Kat. 1-6). [1] Darüber hinaus konnte bis heute keine weitere erhaltene Plastik sicher identifiziert werden. Man weiß lediglich, dass Tetrode in der Werkstatt Cellinis am Ganymed und am Sockel des Perseus mitgearbeitet hat; außerdem gibt es Reproduktionsgrafiken von verschollenen Werken, die er 1574/75 in Köln ausführte (Kat. 39-41). Das Katalogbuch jedoch stellt eine beachtliche Zahl von Plastiken vor, die dem Künstler zugeschrieben wurden.

Die Methode, auf Grund stilistischer, kompositioneller oder technischer Gemeinsamkeiten plastische Werke um konkrete Künstlerpersönlichkeiten zu gruppieren, ist unverzichtbar, sind doch die meisten Kleinplastiken der Renaissance weder signiert noch dokumentarisch nachweisbar. Es darf jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Zuschreibungen nie letzte Sicherheit erreichen können und dass sie deshalb einer stetigen Überprüfung bedürfen. Immer wieder gibt es Zu- oder Abschreibungswellen; künstlerische Werke schwellen an oder schmelzen ab. Allein schon der Verweis auf die Forschung zu den Rembrandt-Gemälden vergegenwärtigt die grundsätzliche Problematik. In den letzten Jahrzehnten war Willem van Tetrode ein häufig benutzter Name bei Zuschreibungen.

Die "Geburtsurkunde" des "neuen" Künstlers, der mit dem Namen Tetrode verbunden wurde, ist eine Nummer im Katalog der Wiener Giambologna-Ausstellung von 1978. [2] Darin wurde die auch in Amsterdam ausgestellte 'Herkules-Antaeus-Gruppe' aus dem Victoria and Albert Museum (Kat. 18) erstmals Tetrode zugeschrieben und ihm weitere Werke zugeordnet, wie der fünffach ausgestellte 'Herkules Pomarius' (Kat. 20-24). [3] Die Ausdehnung seines Werkes begann wohlgemerkt, als man von der einzigen autographen Werkserie in Florenz nur eine vage Vorstellung hatte. Die erste Monografie über Tetrode hätte sämtliche Zuschreibungen im Vergleich mit den gesicherten Werken aus Florenz überprüfen müssen; dies hat man nicht getan. Bei den meisten der behandelten Bronzen wird noch nicht einmal angegeben, dass es sich um Zuschreibungen handelt; sie werden als gesicherte Arbeiten vorgestellt.

Es war allerdings nicht zu übersehen, dass die Bronzen aus Florenz sich in ihrer Faktur wie auch in ihrer Ausdrucksform von einem großen Teil der Zuschreibungen unterscheiden. Dies weckte offensichtlich keine Zweifel an den "neuen" Werken, stattdessen werden die gesicherten Stücke zum Ausnahmefall erklärt. Sie wären "far from perfect" (25). Doch unmittelbar danach habe der Künstler in der Londoner 'Herkules-Antaeus-Gruppe' (Kat. 18) ein Meisterwerk geliefert: "In comparison with his earlier works this bronze by Tetrode is distinguished by the high quality of the casting. Even more remarkable, however, is the individual style that emerges here for the first time and is notable in the meticulous rendering of the sturdy musculature" (29). Tetrodes Individualstil soll sich also nicht in den gesicherten Arbeiten zeigen, sondern erstmals an einer Zuschreibung von deutlich andersartigem Charakter erkennbar sein. Hier wird die Zuschreibungsmethode ad absurdum geführt.

Werke, die mit der 'Herkules-Antaeus-Gruppe' verwandt sind, stehen im Mittelpunkt des Buches und bildeten auch den Schwerpunkt der Amsterdamer Ausstellung, deren Untertitel "Gespiered brons - Muscular Bronze" Tetrode als einen Meister der Muskeln klassifizierte. Diese Einschätzung des Künstlers wird - ebenfalls schon seit dem Giambologna-Katalog von 1978 - durch die These gestützt, der Grafiker Hendrick Goltzius habe sich von Tetrode-Bronzen zu seinen bemerkenswerten frühbarocken Figurendarstellungen um 1590 anregen lassen. [4] Grundlage für diese Annahme war allerdings ein Missverständnis. In dem 1624 verfassten Inventar des Silberschmieds Thomas Cruse aus Tetrodes Geburtsstadt Delft wird unter anderem "een form van den groten Hercules van W. Tettero" angeführt, also eine Gussform des großen Herkules von Tetrode. 'De grote Herkules' heißt ein berühmter Kupferstich von Goltzius. Deshalb nahm man an, dass im Cruse-Inventar der Tetrode zugeschriebene 'Herkules Pomarius' gemeint sein müsse, weil er kompositionell mit der berühmten Goltzius-Darstellung "gleichen Titels" verwandt ist. Jedoch wird im Cruse-Inventar mit Sicherheit kein Titel genannt; es handelt sich um eine Größenangabe, wie sie in dem Inventar für etliche andere Werke vorkommt. Aber auch die moderne Bezeichnung der Goltzius-Grafik "De grote Herkules" bezieht sich nicht auf die körperliche Mächtigkeit des Dargestellten, sondern auf das große Format des Blattes. [5] Die beiden großen Herkules-Darstellungen von Tetrode und Goltzius sind also nicht durch ihre Komposition verwandt, sondern lediglich durch die für die jeweilige Gattung erhebliche Größe. Im Cruse-Inventar ist deshalb sicherlich nicht der kleinste Tetrode zugeschriebene Herkules gemeint (der 'Herkules Pomarius' misst unter 40 cm), sondern der größte, der autographe 'Herkules Farnese' (64 cm). Dafür spricht zudem, dass die ebenfalls im Cruse Inventar erwähnten zwölf römischen Kaiser auch mit der florentinischen Serie zusammenhängen.

Tetrode starb 1580, als Goltzius am Beginn seiner Karriere stand. Für engere Bezüge zwischen den beiden Künstlern gibt es in der reichen dokumentarischen Überlieferung jener Zeit - Karel van Mander inbegriffen! - keinen Beleg, bis auf eine von Goltzius verlegte Grafik, die Jacques de Gheyn II. nach einer Tetrode-Zeichnung gestochen hat (Kat. 28). Hierbei handelt es sich um eine kleinteilige, dekorative Komposition, die sich völlig vom Stil jener "Muskelprotze" unterscheidet, die man als gemeinsamen Nenner zwischen Tetrode und Goltzius sehen will. Die Legende um Tetrode, Goltzius und den 'Großen Herkules' ist bei genauer Prüfung unhaltbar. Viel einleuchtender ist dagegen, dass einige der bronzenen Muskelmänner, die Tetrode zugeschrieben werden, plastische Nachschöpfungen der berühmten und verbreiteten Goltzius-Grafiken sind. Dies trifft vor allem auf den dicklichen 'Schreitenden Krieger' mit seinem barockem Schnauzbart zu (Kat. 34-36), der den Titel des Tetrode-Kataloges ziert.

Zwar kennt man das Geburtsjahr Tetrodes nicht, doch kann man davon ausgehen, dass der Bildhauer einige Jahre älter war als die ebenfalls in Italien geschulten Niederländer Giambologna und Johan Gregor van der Schardt. Als Mitarbeiter von Benvenuto Cellini und Guglielmo della Porta schloss er an den Stil der Jahrhundertmitte an. Dem entsprechen die Serie der Antikenreduktionen wie auch die grafischen Darstellungen der späten Kölner Arbeiten: elegant proportionierte und bewegte Figuren, mal gemäß der Tradition muskulös (Herkules), mal schlank (Apollo). Einige der Zuschreibungen an Tetrode lassen sich stilistisch gut in seine Wirkungszeit einordnen (Kat. 8-10, 13/14, 15/16, 32/33). Ganz anders verhält es sich mit jenen Goltzius nahe stehenden "Muskelmännern": Sie weisen auf den frühbarocken Stil der nächsten, beziehungsweise übernächsten Generation voraus. Tetrode hätte damit Giambologna und van der Schardt stilistisch weit überrundet. Unverständlicherweise werden diese Arbeiten im Katalogbuch sogar durchweg in die italienische Phase "1562-1567" datiert. Mehrfach wird dafür plädiert, dass die Tetrode zugeschriebenen Figuren kompositionell vergleichbaren Werken Giambolognas vorausgehen. Dies wird sogar für den 'Schreitenden Krieger' erwogen, den man doch kaum anders einschätzen kann, als eine frühbarocke niederländische Paraphrase des klassischen Mars von Giambologna.

Während sich der Hauptbeitrag von Scholten wie auch der Katalogteil einer stilistischen Überprüfung der Zuschreibungen enthalten, hat die Bronzeguss-Spezialistin Francesca Bewer etliche Bronzen (darunter nur eine gesicherte!) einer Untersuchung der Technik und der Detailformen unterzogen. Sie kommt zu verwirrenden Ergebnissen: "The Dutch sculptor's œuvre [...] encompasses bronzes of a variety of styles. [...] The close study [...] reveals that there is no typical Tetrodian way of modelling the body, of fashioning curls, eyes, navels, genitalia, fingernails or feet." (93). "The Tetrode bronzes display variety in the types of bases and mounting methods." (99) "The present study revealed that no two of the bronzes examined here were constructed exactly in the same way." (100)

Der im Katalogbuch vorgestellte Bildhauer hat keinen eigenen Stil, keine spezielle Art der Körperdarstellung, keine Eigenheiten in der Detailformulierung, keine vergleichbare Art der Sockelung und auch keine eigene Technik. Die Werke differieren demnach in all jenen Gesichtspunkten, die bei der Zuschreibung von Bronzen von Gewicht sind. Solche Erkenntnisse müssen überraschen, war doch gerade auf der Grundlage von angeblichen Ähnlichkeiten in den letzten Jahrzehnten das Werk des Künstlers so erstaunlich angewachsen.

Die Ergebnisse der Untersuchung von Bewer können - bei unvoreingenommener Betrachtung - nur bedeuten, dass alle Zuschreibungen an Tetrode dringend einer Überprüfung bedürfen; die wissenschaftliche Erforschung seines Œuvres steht für Tetrode erst bevor.


Anmerkungen:

[1] Anna-Maria Massinelli: I bronzi dello stipo di Cosimo I d' Medici, in: Antichità viva, 1987, Nr. 1, 36-45; dies.: Bronzetti e anticaglie nella Guardaroba di Cosimo I (= Antologia di belle arti, N.F., Nr. 35-38), Florenz 1991, 88-100. Der neueste Stand der Forschung von Emile van Binnebeke in dem besprochenen Band, 78-90.

[2] Giambologna. Ein Wendepunkt europäischer Plastik. Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum, Wien 1978, Kat. 87b.

[3] Siehe auch: Anthony Radcliffe: Schardt, Tetrode and some possible sculptural sources for Goltzius, in: Görel Cavalli-Björkman (Hg.): Netherlandish Mannerism, Stockholm 1985, 97-108, hier 99.

[4] Dieser These widmete sich 2001 sogar eine spezielle Ausstellung: Stephen H. Goddard, James A. Ganz: Goltzius and the Third Dimension. Ausstellungskatalog Sterling and Francine Art Insitute, Williamstown/Massachusetts 2001.

[5] Walter L. Strauss (Hg.): The Illustrated Bartsch, Bd. 3, New York 1980, 126; Hessel Miedema (Hg.): Karel van Mander: The Lives of the Illustrious Netherlandish and German Painters, Bd. 5, Commentary on Lives, Doornspijk 1998, 189.

Ursel Berger