Andreas Gestrich / Jens-Uwe Krause / Michael Mitterauer: Geschichte der Familie (= Europäische Kulturgeschichte; Bd. 1), Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2003, X + 750 S., 34 Abb., 42 Schaubilder, ISBN 978-3-520-37601-5, EUR 24,00
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Peter Feldbauer / Michael Mitterauer / Wolfgang Schwentker (Hgg.): Die vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich, München: Oldenbourg 2002
Andreas Gestrich / Steven King / Lutz Raphael (eds.): Being Poor in Modern Europe. Historical Perspectives 1800-1940, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006
Jens-Uwe Krause: Kriminalgeschichte der Antike, München: C.H.Beck 2004
Mit dem Band "Geschichte der Familie" eröffnet Andreas Gestrich die neue Reihe "Europäische Kulturgeschichte", deren hehre Zielsetzung darin besteht, kulturgeschichtliche Themen unter Berücksichtigung von Fragestellungen unterschiedlicher Disziplinen in ihren Entwicklungslinien von der Antike bis zur Neuzeit zu behandeln. Kontinuitäten, Brüche, Tendenzen und Wandlungsprozesse sollen auf der Basis des aktuellen Forschungsstandes nachgezeichnet werden. Die einzelnen Epochen Antike, Mittelalter und Neuzeit werden jeweils von ausgewiesenen Fachwissenschaftlern bearbeitet.
Jens-Uwe Krause übernahm im Fall des vorliegenden Bandes die Darstellung einer Geschichte der Familie in der Antike und schließt auf diese Weise eine Lücke für den deutschsprachigen Raum. Einen zugleich umfassenden als auch detaillierten Abriss der Familiengeschichte in der gesamten Antike zu geben, ist ein unmögliches Unterfangen. Aus diesem Grund beschränkt sich Krause in regionaler und zeitlicher Hinsicht weitgehend auf das Athen der klassischen Zeit sowie auf die Verhältnisse im römischen Kernland. Ergänzend werden zu einigen Aspekten Papyri aus dem römischen Ägypten hinzugezogen, da diese Quellengruppe eine der wenigen ist, die Aufschluss über alltags- und sozialgeschichtliche Fragestellungen, vor allem im Hinblick auf das Leben der Unterschichten, geben kann.
Der Abschnitt zur Antike ist in fünf Hauptkapitel gegliedert. Nach allgemeinen Vorbemerkungen zur Quellenlage und der Methodik (Kap. I) sowie zur Demographie (Kap. II) und den Familienstrukturen in der Antike (Kap. III) behandelt Krause nacheinander die Familie im klassischen Athen (Kap. IV) und in Rom (Kap. V) unter verschiedenen Aspekten. Die einleitenden Kapitel machen deutlich, welche Funktionen die Familie in der Antike erfüllte und welche gravierenden strukturellen und graduellen Unterschiede zur Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit bestehen, und dienen so als Voraussetzung zum weiteren Verständnis. Im Kapitel zur Demographie resümiert der Verfasser in knapper Form die Ergebnisse, welche die demographische Forschung in den letzten Jahrzehnten erzielen konnte, welche Grenzen der Aussagekraft demographischer Statistiken gesetzt sind und welche Rückschlüsse auf die sozialen Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder gezogen werden können. Er macht dabei deutlich, dass Faktoren wie das durchschnittliche Heiratsalter, das generative Verhalten und die hohe Mortalitätsrate nicht nur ursächlich für rechtliche oder sozial institutionalisierte Regelungen zu betrachten sind, sondern sich auch auf die emotionalen Bindungen der einzelnen Familienmitglieder zueinander auswirken.
In den Kapiteln IV und V geht Krause jeweils für Athen und Rom in zahlreichen Unterkapiteln auf einzelne Aspekte des Familienlebens ein. Im ersten Unterkapitel geht es dabei schwerpunktmäßig um die Beziehung der Partner zueinander. Antike Definitionen, der Zweck der Ehe, die Partnerwahl, die Eheschließung als solche beziehungsweise die Hochzeit sowie finanzielle Aspekte der Heirat werden ebenso behandelt wie das Eheleben, die rechtliche und soziale Lage der Ehefrau, geschlechtsspezifische Arbeiten und Aufgaben und partnerschaftliche Beziehungen in Ideal und Praxis. Auch die Auflösung der Ehe durch Scheidung oder Todesfall und deren Konsequenzen in vermögensrechtlicher und sozialer Hinsicht sowie außereheliche Lebensgemeinschaften werden berücksichtigt. In diesen Abschnitten kommt Krause auch auf die heikle und in der Forschung trotz zahlreicher grundlegender Veröffentlichungen immer noch äußerst kontrovers geführte Diskussion um die Stellung der Frau zu sprechen. Er vertritt im großen und ganzen eine ausgleichende Position. Zwar verweist er auf die Diskrepanz zwischen der alltäglichen Praxis und den Rechtsnormen, die auf ein eher düsteres Bild gerade von der Stellung der Frau in Athen schließen lassen und betont, dass auch die literarischen Quellen hier größtenteils nur ein Idealbild einer Frau der Oberschicht entwerfen, aber er negiert auf der anderen Seite die Verbindlichkeit dieses Idealbildes für die praktische Lebensführung nicht völlig, wie es in der Forschung oftmals zumindest in der Tendenz geschieht, sondern er räumt ein, dass diese Normen das Leben der Frauen wesentlich bestimmten (54-63). Gleichzeitig verweist er auf Faktoren, welche die Handlungsspielräume der Frauen nach heutigen Maßstäben erheblich erweitern konnten, wie zum Beispiel vermögensrechtliche Aspekte oder die Abwesenheit des Mannes (61-62).
In einem weiteren Abschnitt wendet Krause sich den Beziehungen zwischen den Eltern und den Kindern zu. Anhand des Kapitels zu den römischen Verhältnissen wird ein Aspekt besonders deutlich, der den Wert des Gesamtbeitrages ausmacht. Einen Schwerpunkt der Untersuchung bilden die juristischen Voraussetzungen. Dies ist vor allem durch die Quellenlage begründet. Unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes geht Krause aber weit über einen Abriss des antiken Familienrechts hinaus und weist an mehreren Stellen auch explizit darauf hin, dass das Recht allenfalls den Rahmen der Handlungsspielräume absteckt, mitnichten aber die reellen Verhältnisse innerhalb der Familien widerspiegelt (135). Vor diesem Hintergrund und unter Einbeziehung unterschiedlicher Quellenarten entwickelt er zu den jeweiligen Themenkomplexen Fragestellungen, die mehr die soziale beziehungsweise auch die emotionale Komponente in den Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder zueinander berücksichtigen. Positiv hervorzuheben ist dabei, dass er trotz der Einbeziehung dieser zumindest für die deutsche althistorische Forschung relativ neuen Ansätze strikt quellenorientiert arbeitet, ohne der vor allem im anglo-amerikanischen Raum verbreiteten Theorieüberfrachtung zu erliegen, die für viele Fragestellungen angesichts der zweifelhaften Übertragbarkeit moderner soziologischer Modelle auf antike Verhältnisse der Rezensentin häufig unangebracht scheint.
Die patria potestas und die damit verbundene Rolle des römischen pater familias wird in bezug auf rechtliche Möglichkeiten und tatsächliche Ausprägungen intensiv behandelt (132-138), da dieses Charakteristikum die römische Familie nicht nur von neuzeitlichen Gesellschaften unterscheidet, sondern auch von denen im klassischen Griechenland. Die Ausführungen zur Beziehung der Mutter zu ihren Kindern werden allerdings vergleichsweise knapp abgehandelt, obwohl hier die Quellenlage ausreichend Ansätze zu einer intensiveren Darstellung bietet. Innerhalb dieses Unterkapitels wendet sich der Autor des weiteren der rechtlichen und sozialen Lage von Waisenkindern, der Kinderlosigkeit sowie Adoptionen zu. Auch der Umgang mit den Eltern im Alter und vor allem die Versorgung und der soziale Status der Witwe werden nicht vernachlässigt. Weitere kleinere Abschnitte behandeln die Stellung der Sklaven innerhalb des athenischen oikos beziehungsweise der römischen domus, die Häuser und die Verwandtschaftsfamilie.
Insgesamt lässt sich schließen, dass der Beitrag seinem Anspruch gerecht wird. Ziel dieses Bandes ist es nicht, neue Forschungsergebnisse zu präsentieren, sondern ein Überblickswerk auf aktuellem Forschungsstand zu liefern. Trotz seiner guten Lesbarkeit handelt es sich nicht um eine geglättete Darstellung, sondern Krause konfrontiert den Leser mit den Problematiken, die auf die Quellenlage zu diesem Thema zurückzuführen sind und schafft es, angesichts der Tatsache, dass viele der behandelten Aspekte in der Forschung kontrovers diskutiert werden, auf knappem Raum ein kritisches und umfassendes Bild von der Familie in der Antike zu zeichnen, ohne sich in einzelne Kontroversen oder in Details zu verlieren.
Karen Ermete