Björn-Ola Linnér: The Return of Malthus. Environmentalism and Post-war Population-Resource Crises, Cambridge: White Horse Press 2003, XVI + 303 S., ISBN 978-1-874267-51-5, GBP 40,00
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Linnér zeichnet die Debatten über den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Ressourcenmangel vom Beginn des Kalten Krieges bis zum Ende des 20. Jahrhunderts nach. Gleich den Schriften von Sir Thomas Malthus, seinem historischen Anknüpfungspunkt, sieht er den Ernährungsmangel als dramatischste und dauerhafteste Krise der Menschheitsgeschichte an - trotz Verbesserungen bei der Schädlingsbekämpfung, Pflanzenzucht und Lagerung von Lebensmitteln. Gegenüber dieser Sichtweise blieben die europäischen Hungererfahrungen nach 1945 nur eine Episode. Sehr rasch wich dort die Angst vor der Krise im eigenen Land einer Sorge um die globale Dimension des Problems. Linnér beleuchtet die Kommunikation über Bevölkerungskrisen in Verbindung mit Wissenschaft, Umweltschutz und politischem System.
Eine neue Sicht auf die Beziehung zwischen Mensch und Natur kam bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts auf. Der traditionelle Naturschutz (nature protection) und seine Anhänger (conservationists) wurden durch eine umfassendere Umweltschutzidee herausgefordert. Diese weitete sich im Verlauf des Jahrhunderts zu einer Umweltschutzbewegung (environmentalism) aus. In diesen Kontext bettet sich der Neo-Malthusianismus, dessen Popularität der Autor in zwei Phasen am stärksten ausgeprägt sieht: in den Sechziger- bis frühen Siebzigerjahren sowie seit Beginn der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts.
Linnér zieht eine enge Verbindung zwischen der internationalen Umweltschutzdebatte und den während des Zweiten Weltkriegs entwickelten geopolitischen Strategien der USA. Obwohl dieses Land dem Naturschutzgedanken fern stand - zum Beispiel nahm es 1909 nicht an der ersten internationalen Naturschutzkonferenz teil -, brachte der US-Regierungsberater Gifford Pinchot den Plan einer weltweiten Umweltkonferenz auf. In einem utilitaristischen Schritt bezog Präsident Roosevelt diese Idee in ein Programm zur Erschließung neuer Märkte ein, das die "nicht-konsumierenden" Völker in den Welthandel einzubeziehen suchte. Truman verfolgte Pinchots Ansatz weiter, sodass die UNO 1949 zu einer solchen Konferenz einlud. Diese stand unter dem Eindruck der weltweiten Hungerproblematik und fand vor dem Hintergrund der Begrenztheit der irdischen Ressourcen statt.
An diesem Punkt wendet sich die Detailanalyse des Buches dem schwedischen Kontext zu. In diesem Land prägte der Ernährungswissenschaftler Georg Bergström (1912-1990) die aufkommende Debatte maßgeblich. Zunächst folgte seine Sicht auf Bevölkerung und Ressourcen der optimistischen Sichtweise und Technikgläubigkeit der Nachkriegsjahre, doch bald vollzog er eine Wende zu einer pessimistischen Sicht auf die weltweite Ernährungslage. Sein Gesinnungswechsel brachte ihm zahlreiche persönliche und berufliche Nachteile ein, sodass er von Teilen der Umweltbewegung als Märtyrer betrachtet wurde. Linnér macht den Aufstieg und Fall des Wissenschaftlers zu einem wichtigen Parallelthema. Es handelte sich um eine Debatte, welche die schwedischen Gemüter jahrelang erhitzte, weshalb sich sogar das Parlament mit seiner Person befasste.
Im Gefolge der 1949er UNO-Konferenz kam eine neue globale Sicht auf die Zusammenhänge von Menschheit und Natur (new conservation ideology) auf. Umweltschützer und Wissenschaftler bedienten sich vermehrt wissenschaftlicher Daten für ihre apokalyptischen Visionen. Angeheizt wurde das Diskussionsklima durch das atomare Wettrüsten. In diesem Kontext geriet der Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelspielraum in ein neues Licht.
In den zukunftsgläubigen Fünfzigerjahren gewann die neue Umweltideologie noch wenig Anhänger. Das Modell des demografischen Übergangs wurde für die Entwicklungsländer als anzustrebendes Vorbild betrachtet. Erst in den Sechzigerjahren schärfte sich angesichts anhaltender Hungerkatastrophen auf der südlichen Welthalbkugel das Krisenbewusstsein. Statistiken belegten, dass viele Länder der Dritten Welt sich seit der Zwischenkriegszeit von Nettoexporteuren von Lebensmitteln zu Nettoimporteuren gewandelt hatten. Beispielsweise musste die Volksrepublik China nach dem Scheitern des "Großen Sprungs nach vorn" Weizen importieren. Die "Bevölkerungsexplosion" rückte auf die Titelseiten der Nachrichtenmagazine, wie zum Beispiel in das Time Magazine im Januar 1960. Unter Führung der USA konzipierten die Vereinten Nationen das Projekt der "grünen Revolution", zunächst für Indien, Mexiko und die Philippinen, als technologisch-optimistische Lösung der Ernährungskrise. Das partielle Scheitern dieses Programms gab den Pessimisten Auftrieb, wobei Bevölkerungsentwicklungen prognostiziert wurden, die weit über aktuellen Schätzungen lagen.
Der aufkommende Neo-Malthusianismus, wie ihn zum Beispiel Bergström vertrat, wies Parallelen zu seinem historischen Vorbild auf, indem er etwa von einem geometrischen Bevölkerungsanstieg bei zurückbleibender, arithmetisch wachsender Nahrungsmittelversorgung ausging. Nach dieser Argumentation war Hunger nicht nur ein Verteilungsproblem, sondern eine biologische Grundkonstante der Menschheitsgeschichte. Diese Prognosen erwiesen sich in ihrer Schärfe nicht als haltbar. Seit den frühen Siebzigerjahren verlangsamte sich das weltweite Bevölkerungswachstum - ein Trend, der bis in die heutige Zeit anhält. Gleichzeitig stieg die Nahrungsmittelsproduktion der Entwicklungsländer langsam. Schon waren Stimmen zu hören, die die alarmierenden Rufe der Sechzigerjahre als amüsierende Episode der Weltgeschichte abtaten. Als Modethema verlor der Neo-Malthusianismus gerade zu dem Zeitpunkt an Schwung, als sich die Umweltschutzbewegung formierte.
Eine neomalthusianische Renaissance sieht Linnér in den Neunzigerjahren ("The Ghost of Malthus Continues to Haunt", 199), obgleich die weltweite Produktion von Kilokalorien pro Kopf zwischen 1962 und 1999 von 2.000 auf 2.800 am Tag anwuchs. Aber nach wie vor lebten zur Jahrtausendwende 790 Millionen Menschen in einem Zustand ständiger Nahrungsmittelknappheit. Statistisch gesehen fiel 1999 alle 3,6 Sekunden ein Mensch dem Hunger zum Opfer. Die UNO-Publikationen prangern die anhaltende Nahrungsunsicherheit und die verbreitete Unterernährung an. Während dessen macht sich die Nahrungsmittelindustrie die wieder auflebenden Sorgen zu Nutze, um Technologien wie die Genmanipulation als Ausweg zu propagieren.
Zusammenfassend stellt Linnér die Frage, ob das weltweite Angebot an Nahrungsmitteln zu knapp sei, weil zu viele Menschen auf der Welt lebten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht der Autor diesen Zusammenhang nicht, denn die Welternährungsproblematik sei im Gegensatz zu Malthus' Annahmen als Verteilungsfrage anzusehen. Obwohl die Lücke zwischen Entwicklungs- und Industrieländern sich weiterhin vergrößere, wachse der Welthandel (um das 15-fache seit 1960) und das Pro-Kopf-Einkommen (um das Doppelte seit 1960).
Linnérs Verdienst ist es, die Aufmerksamkeit auf die historische Genese eines im 21. Jahrhundert anhaltenden, globalen Problems zu lenken. Wohltuend sind dabei seine Ansätze, die apokalyptischen Visionen in rationale Bahnen zu lenken. Den älteren Bevölkerungsprognosen, die Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden, muss er allerdings eine hohe Genauigkeit für das Jahr 2000 attestieren. Linnér konstatiert, dass sich aber ihre Hypothesen über die beschränkte Tragfähigkeit des Planeten Erde vorerst als falsch erwiesen haben. Angesichts der Verteilungsprobleme auf der Welt stellt er abschließend seinen eigenen Buchtitel in Frage, indem er anzweifelt, dass die Hungerkrisen des 20. Jahrhundert tatsächlich maßgeblich auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen seien. Er modifiziert den dort hergestellten Zusammenhang dahingehend, dass der Nahrungsmittelspielraum lediglich auf bestimmte (Welt-)regionen und -perioden bezogen mit der Bevölkerungsentwicklung nicht Schritt zu halten vermag.
Marcel Boldorf