Rezension über:

Alessandro Cristofori: Non arma virumque. Le Occupazioni nell'epigrafia del Piceno (= Tarsie; 2), Bologna: Editrice Lo Scarabeo 2004, 792 S., 74 Abb., ISBN 978-88-8478-068-3, EUR 58,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Heike Niquet
Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Heike Niquet: Rezension von: Alessandro Cristofori: Non arma virumque. Le Occupazioni nell'epigrafia del Piceno, Bologna: Editrice Lo Scarabeo 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/6694.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Alessandro Cristofori: Non arma virumque

Textgröße: A A A

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die durchgesehene und um epigrafische Neufunde erweiterte Zweitauflage einer Monografie, die im Jahre 2000 in kleiner Auflage im Druck erschienen und rasch vergriffen war. Alessandro Cristofori hat darin eine Untersuchung der für die 5. augusteische Region Italiens, Picenum, belegten Berufe und beruflichen Vereinigungen vorgelegt. Ziel seiner Regionalstudie ist die Auswertung der für diesen geografischen Raum überkommenen epigrafischen Quellen in ihrem sozioökonomischen und ideologischen Kontext. Ihr zeitlicher Rahmen reicht vom 3. Jahrhundert vor Christus bis in die konstantinische Zeit, wobei die erhaltenen Inschriften mit ihrer Konzentration in den beiden ersten nachchristlichen Jahrhunderten naturgemäß einen Schwerpunkt vorgeben.

Die Monografie gliedert sich in drei aufeinander aufbauende Teile. In ihrem ersten Teil (24-78) gibt der Autor zunächst einen Abriss zur Forschungsgeschichte und steckt den thematischen, geografischen und chronologischen Rahmen seiner Arbeit ab. Als Gegenstand seiner Untersuchung definiert er menschliche Erwerbstätigkeit im weitesten Sinne des Begriffes, "dalle attività manifatturie e commerciali all'agricoltura, dagli incarichi nell'amministrazione centrale o municipale ai servizi prestati all'intorno di una grande casata, dai mestieri intellettuali a quelli connessi con i giochi del circo e dell'anfiteatro" (24). Außer Betracht bleiben drei Gruppen: politische Würdenträger und Priester, die höheren Chargen Angehöriger des Dekurionenstandes und des ordo equester, schließlich Militärposten (27).

In einem weiteren Unterkapitel (35-78) zeichnet Cristofori auf der Grundlage von literarischer Überlieferung und instrumentum domesticum ein Gesamtpanorama der verschiedenen Wirtschaftszweige innerhalb des Picenum - Landwirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe - nach. In einem letzten Unterkapitel (79-103) resümiert er die verachtende, mit den Selbstzeugnissen der Erwerbstätigen kontrastierende, dabei aber keineswegs kohärente Haltung antiker Literaten gegenüber Landwirtschaft, gewerblicher und handwerklicher Tätigkeit sowie dem Dienstleistungssektor. Hinter dieser Haltung macht er unterschiedliche Mentalitäten und Konzeptionen aus, deren zugrunde liegendes Wertesystem sich seiner Ansicht nach auch die Erwerbstätigen zueigen machten und vereinzelt in wortreicheren Inschriften zu erkennen gaben. [1] Hier kommt er abschließend auch auf die methodisch wichtigen Fragen der Repräsentativität und Aussagefähigkeit des Inschriftenmaterials, auf mögliche Beweggründe für die Nennung von Berufsbezeichnungen und damit verbundene Aspekte antiken Statusdenkens zu sprechen.

Kernstück der Monografie ist ihr zweiter Teil (105-550), mit dem Cristofori eine komplette Neuedition der 71 relevanten Grab-, Ehren- und Weihinschriften aus 18 Städten des Picenum vorlegt. Der Autor folgt darin auf der Grundlage modernster Editionstechnik einem bewährten Katalogschema: frühere Texteditionen und Erwähnungen; genaue, oft durch Autopsie gewonnene Beschreibung des Inschriftträgers; im Text belegte Berufsbezeichnung beziehungsweise Berufsvereinigung; begründete Datierung; Minuskeltext; Kommentar. Der außerordentliche Umfang des Editionsteils kommt dabei durch die penible, durch umfangreiche Literaturverweise abgesicherte Kommentierung aller bemerkenswerten Informationen der jeweiligen Inschrift zu Stande. Schwerpunkte bilden durchweg die Onomastik der erwähnten Personen, ihre soziale Einordnung und die von ihnen ausgeübte Tätigkeit. Den Detailreichtum der Kommentare und die Fülle der verarbeiteten Forschungsliteratur [2] illustriert nicht zuletzt die mehr als 50 Seiten lange Bibliografie (613-670). Den Editionsteil vervollständigen ausführliche Konkordanzlisten (671-679) und ein Tafelteil am Ende des Buches (713-792) mit Fotos der katalogisierten Inschriften beziehungsweise der früheren Editionswerken entnommenen Textreproduktionen. Sorgfältige Indices der Berufsbezeichnungen, der beruflichen Vereinigungen und der herangezogenen literarischen, epigrafischen und papyrologischen Quellen (681-711) gewährleisten eine rasche Orientierung.

Im dritten Teil des Buches (551-602) legt Cristofori eine Synthese der Ergebnisse seiner im zweiten Teil geleisteten Edition und Analyse der Inschriften vor. Er bilanziert den Inschriftenzuwachs seit der Edition des 9. Bandes des Corpus Inscriptionum Latinarum: Neufunde belegen unter anderem drei bislang im Imperium Romanum unbekannte berufliche Spezialisierungen - einen lusor folliculator aus Urbs Salvia, einen actor ali(mentorum) aus Auximum und einen scriba quin(quennalicius) aus Asculum. Seine Auswertung zu den 71 von ihm neu edierten Inschriften beginnt er mit einem Blick auf ihre geografische und chronologische Verteilung (553-562). Die belegten Berufsbezeichnungen und Nennungen von Berufsvereinen wertet er nach einer Reihe sozialer, juristischer und religiöser Aspekte aus (563-574). Der ausführlichste Abschnitt dieses dritten Teils (574-601) gilt einer Übersicht über die im Picenum bezeugten Berufsgruppen, für die Cristofori eine von Frézouls [3] entwickelte Schematisierung übernimmt, und über die fast ausschließlich im Zusammenhang mit Ehrungen von Patronen oder Bestattungen von Mitgliedern hervortretenden Berufsvereine. Ein Appendix (603-612) bietet eine vorläufige Belegliste der in den zehn augusteischen Regionen Italiens epigrafisch belegten medici.

Cristoforis Buch besticht gleichermaßen durch seinen wohl durchdachten Aufbau wie durch die in jeder Hinsicht vorbildliche Arbeitsweise des italienischen Gelehrten und weist seine große epigrafische Kennerschaft aus. Sein beeindruckender Inschriftenkatalog ersetzt für die darin behandelten Testimonia frühere Editionen vollständig. Auch für eine Arbeit, die die komplette Neuedition so vieler Zeugnisse mit deren Auswertung verbindet, stellt sich allerdings in manchen Fällen die Frage, ob die Kommentare im Editionsteil nicht knapper hätten ausfallen können, ja: müssen, ohne deshalb lückenhaft zu werden. Im Rahmen eines Editionswerkes hätten beispielsweise anstelle der vielen langen Beleglisten mit vollständigen Inschrifttexten - etwa für die in Italien belegten fabri tignuarii (202-204) - Fußnoten mit Verweisen auf existierende Zusammenstellungen und darüber hinaus bekannt gewordene Texte vollauf genügt. Auch an anderer Stelle hätten sich der Umfang und damit der Preis des Buches ohne inhaltliche Beeinträchtigung verringern lassen. Dies gilt in besonderem Maße für den Abbildungsteil, in dem viele Seiten mit Reproduktionen von Zeichnungen nicht einmal die Hälfte der Seite ausfüllen.

Mit seiner epigrafisch ausgerichteten Untersuchung der Berufsbezeichnungen, Berufsfelder und -vereine für eine spezifische italische Region steht Cristofori in einer Reihe mit den zahlreichen Studien, die bereits für einzelne Städte oder Provinzen vorgelegt wurden. [4] Seinem Forschungsansatz gegenüber stehen die nicht auf einen bestimmten geografischen Raum begrenzten Arbeiten zu bestimmten Berufen und Berufszweigen oder zu für antike römische Wirtschaftsgeschichte relevanten Einzelaspekten, etwa dem Phänomen der starken Spezialisierung in Handwerk und Gewerbe. [5] Beide Zweige tragen fundamental zu einem möglichst vollständigen Gesamtbild der Wirtschaft des republikanischen, kaiserzeitlichen und spätantiken Römischen Reiches bei, dessen derzeitigen Stand einzelne Synthesen der jüngsten Zeit, die nicht in Cristoforis Buch eingegangen sind, zusammentragen. [6]

Cristoforis eigene Gesamtbilanz (601 f.) ist angesichts der beschränkten Zahl der erhaltenen inschriftlichen Dokumente mit Berufsbezeichnungen, deren Anteil er für die Gesamtheit der picenischen Grabinschriften auf nur 5-10 % schätzt (93), und angesichts ihrer Einsilbigkeit, die viele Fragen unbeantwortet lässt, eher ernüchternd (601): "Il quadro che emerge dai 71 documenti che menzionano le occupazioni umane nel Piceno a prima vista sembra fatto soprattutto di silenzi, [...] assolutamente insufficiente per dare un'idea del peso relativo che i diversi settori economici avevano nella regione e sostanzialmente muta su alcune delle attività che pure da altre fonti sappiamo ebbero una notevole importanza." Ihm gebührt nichtsdestoweniger das Verdienst, diese Inschriften erstmals in vorbildlicher Weise zusammengetragen, kommentiert und bis an die Grenzen ihrer Aussagefähigkeit ausgewertet zu haben. Für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der 5. Region wird seine Monografie auf lange Sicht grundlegend bleiben.


Anmerkungen:

[1] Zur römischen Wirtschaftsmentalität erschien zeitgleich mit Cristoforis Arbeit ein instruktiver und in vielen Punkten weiterführender Sammelband: J. Andreau / J. France / S. Pittia (éds.): Mentalités et choix économiques des Romains (= Scripta Antiqua; 7), Bordeaux 2004. Vgl. bereits H.-J. Drexhage / H. Konen / K. Ruffing: Die Wirtschaft der römischen Kaiserzeit in der modernen Deutung, in: K. Strobel (Hrsg.): Die Ökonomie des Imperium Romanum. Strukturen, Modelle und Wertungen im Spannungsfeld von Modernismus und Neoprimitivismus. Akten des 3. Trierer Symposiums zur antiken Wirtschaftsgeschichte (= Pharos; 17), St. Katharinen 2002, 1-66.

[2] Einige wichtige deutsche Beiträge zur römischen Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahre, die vor allem für den ersten Teil seines Buches relevant sind, waren Cristofori noch nicht bekannt oder nicht zugänglich. Siehe etwa den hervorragenden Forschungsüberblick von Chr. Witschel zur römischen Landwirtschaft (Klio 83 [2001], 113-133; für Italien); Drexhage / Konen / Ruffing: Die Wirtschaft der römischen Kaiserzeit in der modernen Deutung (wie Anm. 1), 1-66; dies.: Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.-3. Jahrhundert). Eine Einführung, Berlin 2002.

[3] Les noms des métiers dans l'épigraphie de la Gaule et de la Germanie romaine, in: Ktèma 16 (1991), 33-72, insbesondere 55-65.

[4] Siehe Cristoforis eigene umfangreiche Literaturhinweise (21 f.); vgl. auch die ausführliche Bibliografie bei Drexhage / Konen / Ruffing: Wirtschaft des Römischen Reiches (wie Anm. 2), 327-374.

[5] Siehe dazu in Kürze Kai Ruffing: Die berufliche Spezialisierung in Handel und Handwerk. Untersuchungen zu ihrer Entwicklung und zu ihren Bedingungen in der römischen Kaiserzeit im östlichen Mittelmeerraum auf der Grundlage der griechischen Inschriften und Papyri, Habilitationsschrift Marburg 2004 (im Druck); summarisch Drexhage / Konen / Ruffing: Wirtschaft des Römischen Reiches (wie Anm. 2), 113 f. mit Bibliografie. Zu den beruflichen Vereinen siehe jetzt für die östliche Reichshälfte C. Zimmermann: Handwerkervereine im griechischen Osten des Imperium Romanum (= Römisch-Germanisches Museum. Forschungsinstitut für Vor- und Frühgeschichte. Monographien; Bd. 57), Mainz 2002.

[6] Siehe oben Anm. 2.

Heike Niquet