Rezension über:

Luba Freedman: The Revival of the Olympian Gods in Renaissance Art, Cambridge: Cambridge University Press 2003, 301 S., 47 Abb., ISBN 978-0-521-81576-5, GBP 60,00
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Rezension von:
Michail Chatzidakis
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin / Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Michail Chatzidakis: Rezension von: Luba Freedman: The Revival of the Olympian Gods in Renaissance Art, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/02/7933.html


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Luba Freedman: The Revival of the Olympian Gods in Renaissance Art

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Die Haltung der späteren Perioden zur Antike und ihren künstlerischen Errungenschaften hat immer wieder das Interesse der kunstgeschichtlichen Forschung geweckt. Im Mittelalter war dieses Verhältnis zur Kunst der Alten, wie Erwin Panofsky in seiner brillanten Studie "Die Renaissancen der europäischen Kunst" deutlich gezeigt hat, ein sehr problematisches, ja zwiespältiges. [1] Die Menschen im Mittelalter, vor allem diejenigen, die in Italien weilten, waren umgeben von den Überresten einer längst untergegangenen Epoche. Sie sahen sich mit den Produkten einer Kultur konfrontiert, die in ihnen zweierlei Gefühle hervorzubringen vermochten; die antike Kunst erweckte in den Rezipienten einerseits grenzenlose Faszination vor dem ästhetisch ansprechenden Ergebnis und ehrfurchtvolle Anerkennung der künstlerischen Leistung in Anbetracht der technischen Bewältigung der Materie, andererseits aber auch schiere Angst auf Grund der heidnischen, "dämonischen" Konnotationen dieser lustvollen "Götzenidole". Um diesen heftigen Konflikt zwischen Bewunderung und Schrecken aufzuheben, wurden künstlerische Strategien entworfen, deren gemeinsamer Nenner die Bemühung war, sich Form und Inhalt, das heißt die erwünschte Darstellungsweise all' antica mit der erforderten, "kanonischen" religiösen Thematik in Einklang zu bringen. So wurden heidnische Themen "gereinigt", indem man sie einer interpretatio christiana unterzog; so wurde etwa Antoninus Pius als St. Peter, oder Phaedra zur Muttergottes uminterpretiert. Man konnte aber umgekehrt auch für ein Kunstwerk aus den antiken historischen und mythischen Erzählungen schöpfen, vorausgesetzt man verkleidete den antiken Inhalt in zeitgenössische Tracht. Hinsichtlich dieses Phänomens hat Panofsky den Begriff des "Disjunktionsprinzipes" geprägt, welches die Antikenrezeption im hohen und späten Mittelalter beherrscht und der christlichen Welt die Adaption der heidnischen Kunst zu legitimieren verhalf. [2]

Die Renaissance verhielt sich zur Antike anders als das Mittelalter. Der Humanismus des Cinquecento brachte einen perspektivischen Abstand mit sich, das heißt kritische Distanz und historisches Bewusstsein, beides unerlässliche Komponenten für die Erneuerung und Förderung der Altertumswissenschaften - der römischen und griechischen Archäologie, der Epigraphik, der antiken Topografie, der Numismatik. [3] Die Antike wurde nun als eine in sich abgeschlossene Periode wahrgenommen, deren Zeugnisse per se sorgfältig gesammelt, studiert und eifrig rezipiert wurden.

Die Art dieser Antikenrezeption am Beispiel einer in sich schlüssigen Themengruppe, nämlich der Olympischen Götter, untersucht Luba Freedman in ihrer Studie. Der Titel ihres Buches "The Revival of the Olympian Gods in Renaissance Art", das sich mit der Darstellung des Olympischen Pantheons in den bildenden Künsten des Cinquecento befasst, scheint in bewusster Auseinandersetzung mit Jean Seznecs grundlegendem Werk "The Survival of the Pagan Gods" gewählt zu sein. [4] Die Autorin stimmt zwar der Schlussfolgerung Seznecs, die Olympier seien nie in Vergessenheit geraten und stets im kollektiven Gedächtnis der Europäer präsent gewesen, zu, doch stellt sie als Ausgangspunkt ihrer eigenen Überlegungen die Feststellung voran, dass nur eine Kategorie der künstlerischen Wiedergabe der Olympischen Gottheiten, die der "autonomen Repräsentation", in der Renaissance eine nachantike "Wiederbelebung" erfuhr (8). Dieser für die Epoche der ausgeprägten Individualität so passende Begriff der "autonomen Repräsentation" steht im Mittelpunkt der ganzen Argumentation und wird im ersten Teil des Buches nach einer Darlegung der Geschichte der Phrase "Olympische Götter" (13-19), ausgiebig erörtert (19f.). Unter diesem Terminus versteht die Autorin eine erweiterte Kategorie von Kunstwerken, bei denen die Figur so wiedergegeben ist, dass sie zum Beispiel durch frontalen Habitus und heftige Gestik die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich lenkt, unabhängig davon, ob sie allein dargestellt ist, oder als deutlich hervorgehobener Bestandteil einer multifiguralen Komposition (zum Beispiel der Apoll in Raffaels Parnass). Die geläufige Praxis, die Olympier im Cinquecento als schöne, individuelle, wohlproportionierte Figuren zu repräsentieren, wird von Freedman als ein Renaissance-Phänomen deklariert (24), das quantitativ nur in der Antike eine vergleichbare Parallele finden kann.

Im zweiten Kapitel werden Künstler, Auftraggeber, ihre Intentionen und die Aufstellungsorte solcher Werke behandelt. Zu Recht betont die Autorin, Darstellungen mit den Olympiern seien an erster Stelle für säkulare, nicht religiöse Kreise bestimmt. Während die Renaissance-Künstler, unter denen die des Raffael-Kreises eine hervorragende Rolle einnahmen, durch solche Kreationen die Konkurrenz mit ihren antiken Vorfahren aufnahmen, um ihr eigenes Können unter Beweis zu stellen, trachteten die Mäzene danach, durch den Besitz von Werken in der klassischen Darstellungsweise sich selbst zu glorifizieren und ihrem hohen sozialen Status ein prestigeträchtiges Element hinzuzufügen.

Im zweiten Teil ihres Buches (Discoveries and their impact) untersucht Freedman dann die visuellen und literarischen Quellen, die im Cinquecento den Künstlern und Antikenliebhabern zur Verfügung standen, um die Olympier in den aus der Antike in der Regel fragmentarisch überlieferten Kunstwerken wieder zu erkennen. Die Autorin konstatiert, was durchaus zutrifft, eine Diskrepanz zwischen der umfangreichen literarischen Überlieferung und den vorhandenen visuellen Zeugnissen, das heißt den wenigen makellos erhaltenen antiken Statuen (55). Diese hatte zur Folge, dass trotz des wissenschaftlichen Umgangs mit der Antike im 16. Jahrhundert falsche ikonografische Deutungen von antiken Kunstwerken sehr geläufig waren. Die Monumente standen jeweils in ihren eigenen ikonografischen, typologischen und formalen Traditionen, welche sehr oft in ihrer Eigengesetzlichkeit nicht erkannt wurden. Die Antiquare gaben sich jedoch mit ihren Bemühungen, die Olympier in antiken Statuen korrekt zu identifizieren, nicht geschlagen, wovon die Deutungsversuche in den Zeichnungskonvoluten und Grafiken nach der Antike (Cavallieri, Franzini, Lafreri, Vacaria), in den Sammlungsinventaren (Sammlungsinventar da Carpi, Medici) und in den Romführern (Aldrovandi) zeugen, die nach 1550 zahlreich erschienen. Auch die Versuche im Feld der antiken Numismatik (das heißt die illustrierten Kompendien von Vico, Erizzo, Du Choul, Kapitel 4) und im Bereich der modernen Mythografie (die Werke von Cartari, Giraldi, Kapitel 5), legen Zeugnis vom zunehmenden Interesse der Antiquare und Literaten des 16. Jahrhunderts ab, mithilfe der antiken visuellen und literarischen Quellen die Natur und die jeweils individuellen Charakteristika jeder antiken Gottheit zu erfassen. In dieser konstatierten wissenschaftlich-hermeneutischen Beschäftigung mit der Antike um 1550 erkennt die Autorin die unabdingbare Voraussetzung für die "Wiederbelebung" der "autonomen Repräsentation" der Olympier in der Kunst des Cinquecento. Im Kapitel 6 beeilt sie sich allerdings klar zu stellen, dass diese "Wiederbelebung" dekorativen Zwecken diente (120) und vorwiegend der äußeren Erscheinung der heidnischen Götter, das heißt ihren hohen ästhetischen Qualitäten, Tribut zollte. Inhaltliche Konnotationen dieser Neuschöpfungen konnten ausnahmsweise nur insofern beibehalten werden, als diese nicht in Konflikt mit den Idealen einer christlichen Gesellschaft gerieten, wie zum Beispiel im Falle der Mars und Neptun-Statuen Sansovinos im Palazzo Ducale, in denen sich auf allegorische Weise die Machtstellung der Republik Venedigs widerspiegelte.

Die These der Unvereinbarkeit dieser heidnischen Götter mit dem Christentum prägt auch den dritten und interessantesten Teil der Studie (Cinquecento works of art). In ausführlichen, eindringlichen Analysen, in denen die Autorin mit sehr guten Kenntnissen der antiken Ikonografie glänzt, untersucht sie in zwei Kapiteln (7-8) Renaissance-Werke auf "klassische" und "nicht-klassische" Elemente. Dabei werden Zustimmungen beziehungsweise Abweichungen der Cinquecento-Götter gegenüber der antiken kanonischen Form im Bereich der Haltung, der Tracht, der Frisur ("pertinent qualities") und der beigefügten Attribute ("attributes") festgestellt. Doch an dieser Stelle hat sich das ganze Argumentationskonstrukt einer Kritik zu stellen. Die Autorin meint zu erkennen, dass die Verletzung beziehungsweise die Vermischung der klassischen Norm in den Renaissance-Göttern von den in den Künstlern, Auftraggebern und anderen Adressaten tief verwurzelten religiösen Hemmungen der Zeit bestimmt worden seien (zum Beispiel 186f., 240f.). Mit anderen Worten: Panofskys für das Mittelalter als allgemein gültig angenommenes "Gesetz" behielte auch in der Hochrenaissance seine Gültigkeit. Auch wenn im Kapitel 9 zeitgenössische Stimmen herangezogen werden, die die ambivalente "Liebe-Hass-Beziehung" der Renaissance-Menschen zur Kunst heidnischer Thematik belegen, ist die Überzeugungskraft der These auf Grund der dünnen Beweise nicht schlagend. Das betrifft zumindest die künstlerischen Selbstäusserungen der Zeit. Denn indem man die künstlerische Kreativität dieser Werke unter dem Mantel religiöser Unterdrückung versteckt, beraubt man sie ihrer Anziehungskraft. Zudem darf man sich fragen, ob die ungewöhnliche, teils unnatürliche Erscheinungsweise der Götter in der Zeit des "Manierismus" - denn die meisten angegebenen Beispiele stammen aus dieser "postklassischen" Periode - ein epochenspezifisches Merkmal darstellt und nicht religiös bedingt ist, sondern der Forderung der Zeit nach varietas, nach detaillierender Formenvielfalt, folgt.

Alles in allem ist Freedmans Buch sehr gut lesbar, klar strukturiert, und in einer unkomplizierten, gut verständlichen Sprache geschrieben. Auch wenn sie nicht in allen Aspekten ohne Widerspruch bleiben wird, setzt sie doch neue Akzente, die die Forschung zur Antikenrezeption beleben werden.


Anmerkungen:

[1] E. Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst (übersetzt von H. Günther), zitiert nach der 2. Auflage, Frankfurt am Main, 1996, hier 57f.

[2] E. Panofsky: wie oben, 90.

[3] E. Panofsky: wie oben, 112f. Siehe auch R. Weiss, The Renaissance Discovery of Classical Antiquity, Oxford 1969.

[4] J. Szenec: The Survival of the Pagan Gods. The Mythological Tradition and it s place in Renaissance Humanism and Art, Princeton 1972 (übersetzt vom Französischen, erstpubliziert 1940).

Michail Chatzidakis