Rezension über:

Desiderio Vaquerizo Gil: Immaturi et innupti. Terracotas figuradas en ambiente funerario de Corduba, Colonia Patricia (= Col.lecció Instrumenta; Vol. 15), Barcelona: Edicions. Universitat de Barcelona 2004, 277 S., ISBN 978-84-475-2645-1
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Antonio Peña
Departamento de Humanidades - Área de Arqueología, Universidad Pablo de Olavide Sevilla
Redaktionelle Betreuung:
Sabine Panzram
Empfohlene Zitierweise:
Antonio Peña: Rezension von: Desiderio Vaquerizo Gil: Immaturi et innupti. Terracotas figuradas en ambiente funerario de Corduba, Colonia Patricia, Barcelona: Edicions. Universitat de Barcelona 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 3 [15.03.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/03/6850.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Desiderio Vaquerizo Gil: Immaturi et innupti

Textgröße: A A A

Seit der Etablierung der Klassischen Archäologie als wissenschaftlicher Disziplin hat die Forschung häufig ihrer Vorliebe für die 'großen' Themen wie Urbanistik, Architektur oder Skulptur nachgegeben, während sie andere, als 'Kleinkunst' qualifizierte Materialien, zu denen die Koroplastik, das heißt genauer die Terrakotten, gehören, nicht beachtet hat. Meiner Meinung nach verdienen diese und andere Stücke ein außerordentliches Interesse, weil wir uns durch diese dem Alltagsleben sowie der Mentalität der Antike nähern können. Mit umso größerer Freude stelle ich die vorliegende Monografie vor, deren Verfasser Desiderio Vaquerizo sich der Aufgabe gewidmet hat, ein Ensemble figürlicher Terrakotten aus Córdoba zu untersuchen, die sowohl im Archäologischen Museum von Córdoba als auch im Archäologischen Nationalmuseum von Madrid aufbewahrt werden (15 ff.). Mit dieser Arbeit, die im Rahmen eines Forschungsprojektes zu Grabraum und Bestattungssitten in Corduba entstanden ist, das sich das Ziel gesetzt hat, die Nekropolen des römischen Córdoba aufzunehmen (12), möchte der Autor Fundstücke wieder kontextualisieren, die andernfalls wahrscheinlich in den Magazinen dieser Museen dem Vergessen anheim gefallen wären.

Für diejenigen, denen Teile dieser Arbeit schon bekannt waren - hatte Desiderio Vaquerizo sie doch bereits in seiner Antrittsvorlesung an der Universität von Córdoba im Jahre 2002 vorgestellt -, ist das hohe Niveau der Arbeit nicht überraschend. Bisher waren die Cordobenser Terrakotten nur teilweise untersucht worden: A. Laumonier, A. Blanco und M. Blech sind hier zu nennen (16). Desiderio Vaquerizo verfährt, wie im Bereich der Skulpturen üblich, das heißt obwohl dieses Material zur so genannten 'Kleinkunst' gehört, verbietet es diese Kategorisierung nicht, sie wie jede andere Skulptur zu behandeln. So gliedert sich seine Studie in zwei Teile: der erste ist der Materialanalyse gewidmet, der zweite versucht eine Deutung der Stücke.

Der erste Teil enthält einen Katalog der 53 Terrakotten, die nach Typen geordnet und dann einzeln aufgelistet werden. Wie üblich nehmen die Fragen der Typologie und Ikonografie den größten Raum ein, eben weil sie unsere ergiebigste Informationsquelle darstellen (Kapitel IV). Der Verfasser stellt 14 Typen zusammen: eine mögliche Attis, eine Opfernde, nackte Kinder, Minervabüsten, Büsten von Kindern, weibliche Büsten, ein Togatus, wahrscheinlich ein cucullatus, eine Art Rucksackträger, ein Gladiator, eine Menschengruppe mit Kind, eine Maske, eine Puppe und ein Stier. Von diesen Typen erweist sich die größte Gruppe, die Frauenbüsten, als sehr hilfreich für die Erstellung einer Chronologie der Stücke (Kapitel VI), da man die Frisuren der Frauenbüsten mit denen der Frauenporträts der Zeit vergleichen und insofern mit einiger Sicherheit datieren kann. Aus diesem Grund lassen sich die Cordobenser Terrakotten in den Zeitraum zwischen der Dynastie der Flavier und der Severer datieren. Auch technische Fragen werden diskutiert (Kapitel V); dies gilt sowohl hinsichtlich der Herstellung der Stücke - es dominiert einerseits der Gebrauch von zweischaligen Modellen und andererseits die Polychromie - als auch der Herstellungszentren: Wenigstens sechs Werkstätten lassen sich ausmachen, in denen diese Terrakotten gefertigt wurden. Es ist festzuhalten, dass das Panorama, das sich aufgrund der Analyse ergibt, dem in den westlichen Provinzen des Imperiums durchaus ähnelt.

Hinsichtlich der Bedeutung der Stücke kommt Vaquerizo zu dem Ergebnis, dass diese Terrakotten als Spielzeug zu deuten sind, die früh verstorbenen Kindern oder jungen Frauen als Grabbeigabe mitgegeben wurden: immaturi et innupti mit den Worten Tertullians; eben als Sinnbild eines abgeschnittenen Lebens (196 ff.). Diese Hypothese, die auf dem archäologischen Befund einer beachtenswerten Anzahl von Kindergräbern in Städten Hispaniens, Galliens, Britanniens, Germaniens und Italiens basiert (Kapitel VII), wird außerdem durch die Schriftquellen gestützt: Autoren wie Seneca oder Macrobius erwähnen Terrakottafiguren als Geschenke, die man den Kindern während der sigillaria machte (186 ff.). Das ist also zweifelsohne eine äußerst suggestive Idee, die ich teile, wenn ich auch der Meinung bin, dass sie in Anbetracht des vorliegenden Materials etwas modifiziert werden könnte. Zum einen ist zu bedenken, dass von den 53 ausgewerteten Terrakotten 32 über keinen Fundkontext verfügen (Kapitel III), sodass man vorsichtig sein sollte, sie als Grabbeigabe zu charakterisieren (erstaunlich ist es meiner Meinung nach nämlich schon, dass sich in Córdoba bis heute keine Terrakotte aus dem häuslichen Bereich gefunden hat). Die Tatsache, dass man viele Terrakotten extra muros gefunden hat, sollte nicht allein aussagekräftig sein, denn außerhalb der Stadt finden sich Häuser, eine Art von 'Industrieanlagen' oder auch Heiligtümer, also durchaus Bereiche, in denen Terrakotten ebenfalls vorstellbar sind (Kap. II). Zum anderen bestätigt von den elf Fällen nur einer die Verbindung zwischen Terrakotte und Kindergrab - nämlich das Grab VI aus El Avellano mit zwei Stücken (51 ff.) sowie ein neues Grab in der Avda. del Corregidor mit neun Funden, das der Katalog jedoch noch nicht berücksichtigt (43 mit Anmerkung 67) -, sodass es nicht möglich scheint, die übrigen Stücke einem Grabkontext zuzuweisen: man denke, auch wenn das außergewöhnlich ist, an die Beigabe von Terrakotten in einem Grab von Erwachsenen in Puteoli (179 mit Anmerkung 378).

Zusammenfassend können wir die Monografie von Desiderio Vaquerizo als sehr solide und gut dokumentiert charakterisieren; die Bibliografie wird souverän gehandhabt, Abbildungen - und zwar auch von Parallelbefunden - erleichtern dem Leser die Beurteilung der Stücke sehr. Das Buch präsentiert durch Materialanalyse und Deutung in dieser Form einen neuen Ansatz zur Auswertung von Grabterrakotten, der hoffentlich auch dem Projekt Funus noch zu Gute kommen wird. In seiner Bedeutung entspricht es durchaus den Beiträgen von A. Blanchet, M. Rouvier-Jeanlin, C. Bémont, V. von Gonzenbach, G. von Boekel oder M. Blech auf diesem Gebiet und wird zu einem unverzichtbaren Referenzwerk werden. Die Studie hat überzeugend gezeigt, dass das Material in der Dunkelheit unserer Museen durchaus Licht auf die Vergangenheit werfen kann. Als Archäologen ist es unsere Pflicht, solche Stücke in ihren ursprünglichen Kontext zu stellen, das heißt sie sprechen zu lassen. Dieses Ziel hat Desiderio Vaquerizo wahrlich erreicht.

Antonio Peña