Rezension über:

Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hgg.): Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert (= Siebenbürgisches Archiv; Bd. 37), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, X + 240 S., ISBN 978-3-412-10504-4, EUR 24,90
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Rezension von:
Ivo Cerman
Tübingen / Prag
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Ivo Cerman: Rezension von: Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hgg.): Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen. Politik, Religion und Kunst im 16. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/04/6406.html


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Ulrich A. Wien / Krista Zach (Hgg.): Humanismus in Ungarn und Siebenbürgen

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Die Beiträge im vorliegenden Sammelband setzen sich mit einer sehr schwierigen Thematik auseinander. Denn die Verbindung von Reformation und Humanismus stellt nicht nur eine sachliche Herausforderung dar, sondern birgt auch konzeptionelle Probleme. Es geht nicht nur darum, Belege für den Zusammenhang zwischen diesen geistigen Bewegungen zu erbringen. Vielmehr muss man sich auch überlegen, was unter Humanismus zu verstehen ist, weil gerade dieser Begriff sehr differenzierte Konnotationen besitzt. In der bisherigen Forschung haben sich zumindest drei Deutungen des Humanismusbegriffs herausgebildet: Am häufigsten versteht man darunter ein rein philologisches Phänomen. Humanismus gilt dann als eine auf die Wiederbelebung der lateinischen Sprache und Kultur ausgerichtete Bewegung, die zur Verbesserung des menschlichen Lebens beizutragen versuchte (Paul Oskar Kristeller). Viele Studien gehen stillschweigend von dieser Konzeption aus, meist ohne dass dieser Ausgangspunkt explizit gemacht wird. Dieser formalen Auffassung kann man eine inhaltliche gegenüberstellen. Hier bedeutet Humanismus eine auf die "Würde des Menschen" ausgerichtete philosophische Denkströmung (wie etwa bei Eugenio Garin). Damit hängen Fragen der praktischen Philosophie zusammen, zum Beispiel die des freien Willens. Zum Dritten gibt es aber auch eine äußerliche, sozialhistorische Zugangsweise, die Humanismus durch eine spezifische Geselligkeit definiert. Diese von Christine Tremel vertretene Ansicht wird in diesen Beiträgen aber überhaupt nicht aufgegriffen.

In dem vorliegenden Sammelband wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Humanismus und Reformation mehrmals aufgeworfen, wenn auch nicht in allen Beiträgen. Wie der Untertitel andeutet, geht es in vielen Aufsätzen um kunsthistorische Untersuchungen, die sich für inhaltliche Fragen des humanistischen Gedankenguts nicht interessieren. Die meisten Beiträge kreisen um die Beziehungen zwischen Humanismus und Reformation und versuchen die ungarisch-siebenbürgischen Besonderheiten genauer herauszuarbeiten. Widmen wir uns zuerst dieser Gruppe von Beiträgen: Zoltán Csepregi unternimmt in seiner Studie eine wichtige Untersuchung des reformatio-Begriffs bei dem Kronstädter Reformator Johannes Honterus. In seinem Text kritisiert er die anachronistischen Vorstellungen der älteren Forschung über das Denken der frühen Reformatoren, zeigt die komplexen Beziehungen der reformierten Städte zur katholischen Kirche und korrigiert zahlreiche sachliche Fehler, die in der bisherigen Literatur über Honterus vorgekommen sind.

Der Kronstädter Gelehrte wird häufig für seine Synthese von erasmianischen und lutherischen Ideen gelobt. Die Beiträge von Christine Christ-von Wedel und Márta Fata fokussieren die Verbindungen des Erasmus von Rotterdam zu Ungarn. An eine längere Forschungstradition anknüpfend betont Frau Christ-von Wedel die Bedeutung des Kreises von Erasmus-Bewunderern in Ungarn und geht dann zu zwei konkreten Fragen über. Die erste ist der Kontakt zwischen Erasmus und Königin Maria von Habsburg. Das Witwenbuch von 1529 inspirierte den berühmten Humanisten zu neuen Überlegungen über die weibliche Bildung und generell zur Frage nach der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Erasmus blieb in dieser Hinsicht noch in den Schranken der traditionellen Auffassung, obwohl er der Frau eine modifizierte Form der Bildung zubilligte. Ungarn inspirierte Erasmus noch zu Überlegungen hinsichtlich der Türkenfrage. Ähnlich wie andere Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts rief auch er die Christen zum Abwehrkampf gegen die Ungläubigen auf. Jedoch ging es in beiden Fällen nur um indirekte Kontakte zu Ungarn. Der erste Fall steht eher für die Kontakte des Erasmus zu den Habsburgern, die auch in seiner Heimat regierten; im zweiten Fall geht es vielmehr um den Topos des Bollwerks des Christentums und seine Rolle im politischen Denken des 16. Jahrhunderts.

Konkreten Problemen widmet sich Márta Fata. Sie stellt die Frage nach erasmianischen Einflüssen auf das ungarische Bildungswesen und beantwortet sie am Beispiel der Stadt Bartfeld. In der Stadtschule waren als Lehrer zwei Erasmianer tätig, deren Ideen die Verfasserin nachzeichnet. Vorbildhaft wird hier der Übergang vom Humanismus zur Reformation nachvollzogen. Valentin Eck, der in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in der Schule unterrichtete, verkörperte den vorreformatorischen Humanismus. Er verfügte über internationale Kontakte und vertrat die erasmianische Menschenauffassung. Sein Nachfolger Leonard Stöckel gehörte schon der Bewegung der Reformation an. Allerdings bevorzugte auch er die erasmianischen Ansichten vor den lutherischen. Stöckels Modell des Unterrichts kann zudem, wie eine tiefergehende Analyse beweist, als eigenständige Konzeption gelten. So werden in diesem Beitrag inhaltliche und konzeptionelle Fragen des Humanismus und der Reformation verknüpft.

Von ideengeschichtlichen Fragestellungen weicht Mihály Balázs bewusst ab. In seiner Studie über die siebenbürgischen Anti-Trinitarier geht es um gattungsspezifische Züge ihrer Schriften, die bis dahin ausschließlich ideenhistorisch untersucht wurden. Balázs fokussiert die kleinen Erzählungen, die verwendet wurden, um die trockenen Ausführungen aufzufrischen. Er beweist, dass diese fiktiven Geschichten den Schriften und Drucken der Basler Humanisten entnommen waren. Wichtiger ist vielleicht der Hinweis auf eine gattungsorientierte literarische Methode, die neue Sichtweisen eröffnet. Der Aufsatz von Tünde Katona verfolgt die Entstehung und Wirkung der testamentarischen Stiftung von Alexis Thurzó, welche die Auslandsstudien der Knaben aus Letschau förderte.

Die kunsthistorischen Aufsätze von Evelin Wetter und Emese Nagy-Sarkadi zeigen, dass die ikonografischen und sachlichen Befunde vieles über die Geschichte der Reformation aussagen können. Beiträge von István Monok und Attila Verók widmen sich der Geschichte des Buches. Im ersten Fall wird die Rolle der Drucker als Vermittler reformatorischer Ideen dargelegt, im zweiten Fall wird die Hinwendung der ungarischen Sachsen zur Reformation anhand der Bücherverzeichnisse veranschaulicht.

Der Sammelband zeichnet sich durch viele neue Ansätze aus. Es ist nicht nur die im Vorwort angekündigte Komparatistik, sondern auch eine neue Methodik im Umgang mit den historischen Texten oder begriffsgeschichtlichen Untersuchungen und Mikrostudien zu einzelnen Städten. Dabei findet der vergleichende Ansatz hier nur selten Anwendung. Die meisten Aufsätze beschäftigen sich eher mit internationalen Einflüssen beziehungsweise mit dem Kulturtransfer. Die Beiträge sind sich im Verständnis von Humanismus nicht einig; manche gehen davon aus, dass der Begriff keiner Erläuterung bedarf, andere versuchen inhaltliche Fragen aufzugreifen. Ertragreich ist der Ansatz von Mihály Balázs, der eine literaturhistorische Methode anwendet.

Aus der begrifflichen Disparatheit ergeben sich Unterschiede in der Bewertung der untersuchten Reformationen. Dabei sind sich die Beiträge darin einig, dass die ungarischen und siebenbürgischen Reformationen der Melanchthon'schen Auffassung näher standen. Mit Blick auf Luther wird diese Ausrichtung von Ulrich A. Wien als "konservativ" bezeichnet; in den meisten Beiträgen findet der humanistische Kompromiss eine positive Resonanz. Offensichtlich werden hier unterschiedliche Fragen vermischt: 'Konservativismus' in der Einstellung zur katholischen Kirche, 'Progressivität' in der Menschenauffassung (Luthers Anthropologie war eher konservativ) und im Unterricht. Uneinigkeit herrscht auch in der Sicht auf das soziale Milieu: die Beiträge tendieren dazu, die Städte als Förderer des Humanismus überzubewerten, die Herausgeber betonen dagegen die Rolle des Hofes. Dabei geht es aber immer nur um den Hof der Statthalterin Maria. Niemand thematisiert die Rolle des Wiener Hofes, der auch ungarische Gelehrte anzog. Mit der Ausnahme des Aufsatzes über die Letschauer Stiftung bleibt auch die Rolle der Aristokratie etwas unterbelichtet. Doch darf man an der Stelle nicht vergessen, dass es eben nicht das Ziel dieses Sammelbandes war, eine alles umfassende sozialhistorische Studie vorzulegen.

Ivo Cerman