Dieter Janssen: Gerechte, heilige und zivilisatorische Kriege. Legitimation des Krieges und Bedeutung von Feindbildern in der angelsächsischen Welt der frühen Neuzeit, ca. 1550-1650 (= Studien zur Geschichtsforschung der Neuzeit; Bd. 39), 2004, 562 S., ISBN 978-3-8300-1610-6, EUR 98,00
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Am Ausgangspunkt der Überlegungen Dieter Janssens steht die Frage, wie die "Diskrepanz zwischen dem Streben nach Frieden und der Realität kontinuierlicher Kriege" (11) erklärt werden könne, warum also die philosophischen und religiösen Ideen, die den Frieden als Idealzustand ansahen, in der Praxis so geringe Wirkung gezeigt haben. Denn der empirische Befund nicht nur der europäischen Geschichte der Neuzeit zeigt deutlich, dass der Frieden eher ein Ausnahmezustand als die Regel war. In seiner an der Universität Saarbrücken entstandenen Dissertation wagt Janssen so den zukunftsweisenden Versuch, die traditionelle Ideengeschichte auf die historischen Handlungen zu erweitern, die Ideen also nicht gleichsam im luftleeren Raum der abgeschlossenen philosophischen Diskurse zu untersuchen, sondern ihre Wirkungen oder Nicht-Wirkungen auf das tatsächliche Handeln auch solcher Menschen zu betrachten, die an derartigen Diskursen nicht unmittelbar beteiligt waren.
Konkret fragt er nach der Legitimation, die die am Krieg oder an gewaltsamer Auseinandersetzung beteiligten Personen ihrem Handeln gaben, wie sich also zum Beispiel Soldaten davon überzeugten, dass ihr Kriegseinsatz und damit die Tötung von Gegnern gerechtfertigt waren. Als Beispiel wählt er den angelsächsischen Raum im Jahrhundert zwischen 1550 und 1650. Diese Epoche hat er ausgesucht, weil es sich um eine Phase großer Umbrüche (Entdeckung Amerikas, Reformation, Entwicklung eines modernen Staats- und Völkerrechts beziehungsweise neuer Formen der Staatlichkeit und des internationalen Systems) gehandelt hat, die die Menschen dazu bringen konnten, vertieft über sich und ihr Handeln zu reflektieren. Der angelsächsische Kulturraum wurde mit der Begründung gewählt, hier verschiedene Kriegstypen beobachten zu können: Äußere Konflikte mit anderen (werdenden) Staaten, Bürger- beziehungsweise Religionskrieg im Innern sowie erste koloniale Unternehmen.
Janssen stellt den Begriff der Kultur ins Zentrum seiner Betrachtung. Er will - und dabei weiß er sich mit einem Mainstream der neueren Forschung einig - kulturelle "Bedeutungsgewebe" (21) rekonstruieren und deshalb die Legitimation von Gewalt ganzheitlich in ihrem kulturellen Kontext untersuchen. Wichtig sind ihm dabei die Muster der interkulturellen Kommunikation, das heißt etwa die Frage, wie Gegner wahrgenommen werden, wie kulturelle Unterschiede erklärt werden und welche Stereotypen dabei angelegt werden.
Janssen wertet drei Fallbeispiele aus, um den Formen der interkulturellen Kommunikation im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen im angelsächsischen Kulturraum zwischen 1550 und 1650 auf die Spur zu kommen: Die edierten Lebenserinnerungen des Sir James Turner (1615-1686), den er als "Soldat" (27) bezeichnet, der aber präziser als Offizier der mittleren Führungsebene zu beschreiben ist. Sodann untersucht Janssen eine Predigt von William Beech, die im Rahmen der Eroberung von Basing House durch Truppen des Parlaments vor den stürmenden Soldaten 1645 gehalten wurde. Und schließlich betrachtet er Auseinandersetzungen zwischen puritanischen Siedlern und Indianern in Amerika im Jahr 1636. Diese drei Beispiele stehen für den gerechten Krieg (wobei die Annahme zu Grunde liegt, dass Soldaten ihr Handeln als Tätigkeit in einem gerechten Krieg legitimieren), den heiligen Krieg (indem ein Prediger eine entsprechende Predigt vor Soldaten hält) und den zivilisatorischen Krieg (indem puritanische Siedler gegen die wenigstens partiell als zivilisatorisch unterlegen empfundenen Indianer vorgehen).
Der Betrachtung dieser Fallbeispiele folgt eine ideengeschichtliche Beschreibung der Einflüsse, die auf die Akteure der Beispiele und ihre Zeitgenossen einwirkten, also eine Untersuchung verschiedener englischer Theoretiker der Kriegslegitimation. Am Ende werden schließlich die Erkenntnisse anhand des Kriegsmanifests der englischen Krone gegen Spanien von 1589 geprüft. Den Erfolg seiner Arbeit will Janssen schließlich daran messen, ob es gelungen sei, "Argumente" und "Denkstrukturen" der Kriegslegitimation "besser zu verstehen" (29).
Die Beurteilung der Arbeit hängt stark vom Blickwinkel des Betrachters und seinen Erwartungen ab. Seine Stärken kann Janssen in den Teilen entfalten, die eher der traditionellen Ideengeschichte verhaftet sind, also vor allem im zweiten Teil der Arbeit, der in der Analyse der "bellum iustum"-Vorstellungen und des Anti-Katholizismus, der "Schwarzen Legende" sowie anti-irischer Stereotype in England wenig Wünsche offen lässt.
Dort aber, wo er sich dem Sitz der Ideen im Leben zuwendet, also ihren praktischen Auswirkungen, sind deutliche Fragezeichen anzubringen. Die Fallbeispiele sind zwar nicht ohne Interesse, doch wird ihre Relevanz für die allgemeine Fragestellung nicht recht deutlich. James Turner war sicher kein durchschnittlicher Soldat, auch kein durchschnittlicher Offizier, denn schon allein der Umstand seiner publizistischen Tätigkeit unterscheidet ihn von dieser Gruppe. Die Predigt des William Beech mag die einfachen Soldaten zu Gewalttaten aufgestachelt haben, doch wird diese Annahme an keiner Stelle belegt. Janssen stützt sich ausschließlich auf publizierte Quellen, die es nicht zulassen, die Gedanken und Muster der interkulturellen Kommunikation der Soldaten zu ermitteln. Es ist noch nicht einmal zu klären, ob diese Predigt wirklich so gehalten wurde und wie viele der Soldaten ihr tatsächlich beigewohnt haben. Und auch der exakte Verlauf der kulturellen Kommunikationen im kolonialen Amerika lässt sich schwerlich anhand eines Beispiels ermitteln. Es fehlen in diesen Teilen eine genaue quellenkritische Reflexionen wie auch Überlegungen zu der Frage, ob und inwieweit es sich um typische oder gar repräsentative Beispiele handelt. Dennoch verallgemeinert Janssen ständig, denn er will ja kulturelle Gegebenheiten analysieren und nicht Einzelbeispiele. Hier ist er nicht zuletzt an einem Mangel an einschlägigen Vorarbeiten zu diesem Thema gescheitert, die eine bessere Einordnung und Vergleichbarkeit ermöglicht hätten.
So bleibt das solide und gut erarbeitete Ergebnis der Arbeit der eher traditionellen Ideengeschichte verhaftet, indem verschiedene Beispiele für kriegslegitimierendes Gedankengut analysiert werden: Die Legitimation als gerechter Krieg, als heiliger beziehungsweise religiöser Krieg und als zivilisatorischer Krieg. Der weitere Schritt, diese Denkmuster tatsächlich in der kulturellen Praxis zu verfolgen, konnte hingegen nur in ersten Ansätzen gegangen werden, denen eine Untersuchung auf breiterer Quellenbasis folgen müsste. Es ist jedoch in jedem Fall Janssens Verdienst, diese Fragestellung überhaupt angerissen zu haben. Denn in der Tat wird es künftig darauf ankommen, nicht ohne nähere Überprüfung anzunehmen, dass die gelehrten Diskurse zum Beispiel zum "bellum iustum" von Fürsten oder anderen Entscheidungsträgern direkt in ihr Handeln übernommen wurden. Von großem Interesse wird vielmehr die Frage sein, wie ihre Strategien waren, Diskrepanzen zwischen den theoretischen Lehren und dem, was man heute Sachzwänge nennen würde, zu erklären, und die kulturelle Praxis im Schnittpunkt zahlreicher Einflüsse auf die Individuen zu untersuchen.
Max Plassmann