Meininger Museen (Hg.): Hexen und Hexenverfolgung in Thüringen. Begleitbuch zur Ausstellung 'Hexen in Thüringen' im Schloß Elisabethenburg Meiningen vom November 2003 bis April 2004 (= Hexenforschung; Bd. 8), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2003, 288 S., 80 Abb., ISBN 978-3-89534-492-3, EUR 24,00
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Das frühneuzeitliche, territorial zersplitterte Thüringen gehörte mit rund 1500 Prozessen zu den Kernregionen der Hexenverfolgung, der mindestens 900 Personen zum Opfer fielen. Dies ist das Ergebnis der zeitgleich zum zu besprechenden Band 2004 erschienenen Monografie von Ronald Füssel über die Hexenverfolgung in Thüringen, der hier auch mit zwei Aufätzen vertreten ist. Die Kartierung der europäischen Hexenverfolgung wird damit immer vollständiger. Es macht deshalb Sinn, diese Ergebnisse auch einem breiten Publikum vorzustellen, bei dem zu aller Faszination des Phänomens allerlei obskure Vorstellungen mit erstaunlichem Beharrungsvermögen vorherrschen.
Ein halbes Jahr war im Schloss Elisabethburg in Meiningen eine Ausstellung über Hexen in Thüringen zu sehen, über die der Leser des Begleitbuches allerdings nichts erfährt. Ausstellung und Band sind nur durch die lokale Komponente verbunden, denn die Absicht der Herausgeber war es, "Lesestoff" zu Themen zu bieten, die sich ausstellungstechnisch nicht umsetzen ließen. Ansprechend und grafisch interessant - wenn auch etwas beliebig - sind die schwarz-weiß gehaltenen Fotoarbeiten von Studenten der Bauhaus-Universität Weimar zwischen den zehn Beiträgen, die alle mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat versehen sind. Zur Vorbereitung dieser Ausstellung fand bereits 1996 eine Tagung des Arbeitskreises Interdisziplinäre Hexenforschung im Staatsarchiv Gotha statt, deren Vorträge leider nur teilweise in den Ausstellungsband einflossen, so etwa der Beitrag des leider kürzlich verstorbenen Kirchenhistorikers Jörg Haustein über Martin Luthers Stellung zu den Hexenprozessen.
Vor allem die ersten vier Beiträge führen in die Hexenverfolgung in Thüringen ein. Füssel stellt sie solide dar und hebt noch einmal besonders die schweren Verfolgungen im Henneberger Land mit 500 Opfern hervor, die er mit den Bamberger und Würzburger Hexenprozessen in eine Linie stellt. Eine erste große Verfolgungswelle ist für die Zeit zwischen 1600 und 1630 festzuhalten. Die Verfolgungsintensität wies starke Schwankungen auf und fand einen Höhepunkt im Jahr 1629. Die zweite Welle erlebte ihren Höhepunkt 1666. Trotz der hohen Opferzahlen betont Füssel, dass jeder einzelne Fall individuell entschieden wurde (64) und es nicht zu Massenhinrichtungen gekommen sei. Einmal mehr wird auch für Thüringen bestätigt, dass Hexenprozesse teuer waren und Konfiskationen oftmals nicht zur Deckung der Unkosten ausreichten.
Zwischen Füssels Aufsätzen findet sich ein ausführlicher allgemeiner Überblick über die frühneuzeitliche Gerichtsverfassung und den Strafprozess von Hagen Rüster. Dabei kommt es allerdings zu Überschneidungen mit den Ausführungen Füssels. Hier hätte man sich eher noch intensivere quellennahe Analysen gewünscht, die über die allgemeinen Fakten und stark obrigkeitlich orientierte Darstellung von Füssel hinausgehen. Auch Johannes Mötsch nutzt diese Chance in seiner Edition von neun Dokumenten nicht wirklich. Er stellt die Kostenfrage und den formalen Ablauf in den Mittelpunkt, indem er exemplarisch Akten vorstellt, in denen ein Hexenprozess seinen Niederschlag finden kann. Das letzte wichtige Dokument von 1623, das beweist, dass "wohl erfolgreich" (122) durchaus Kritik am Verfahren gegen die Hexen geäußert wurde, wird kaum kommentiert und lediglich als "bemerkenswert" eingestuft.
Der Band versucht gleichzeitig den Sprung von der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung zu sehr breit gefassten Facetten des Hexenthemas im 19. und 20. Jahrhundert, die die Hälfte der zehn Beiträge ausmachen. So wertet die Studie von Thomas Schwämmlein die handschriftlichen Examensarbeiten des Lehrerbildungsseminars in Hildburghausen um 1900 aus, die in das Sonnenberger Spielzeugmuseum gelangt sind. Hieraus allerdings auf den tatsächlichen "Aberglauben des Volkes" schließen zu wollen erscheint vermessen, zeigen die vorgestellten Texte doch eher die Denkmuster der Verfasser. Der Beitrag von Burghard Schmidt über Ludwig Bechstein und die Hexen im literarisch-anthropologischen Diskurs des Vor- und Nachmärz hängt seltsam in der Luft, erklärbar dadurch, dass es sich um ein Unterkapitel aus seiner 2004 erschienenen Habilitationsschrift über Bechstein und die literarische Rezeption frühneuzeitlicher Hexenverfolgung im 19. Jahrhundert handelt. Achim Fuchs beschreibt die thüringischen Flurnamen mit Bezug zu Hexen, Teufeln und anderen Gestalten des Volksglaubens wie wilde Jäger, Totengeister, Zwerge und Dämonen. Die Zusammenstellung bleibt jedoch im Deskriptiven stecken.
Materialreich und sozialgeschichtlich bedeutend sind vor allem die beiden letzten Beiträge von Hannelore Schneider über die Geschichte der Hebammen in Sachsen-Meiningen und Andrea Jakob über die Totenfrauen in Südthüringen und Nordfranken. Sie berühren allerdings nur sehr am Rande das Thema der Hexen. So bietet der Band sehr unterschiedliches Lesematerial, kann aber auch deshalb nicht allen Ansprüchen genügen.
Karen Lambrecht