Rezension über:

Heinz Spielmann / Ortrud Westheider (Hgg.): Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Katalogbuch zur Ausstellung im Bucerius Kunst Forum und Jenisch-Haus, Hamburg 2004; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 2004/2005; Aargauer Kunsthaus 2005, München: Hirmer 2004, 256 S., 320 Farbabb., ISBN 978-3-7774-2135-3, EUR 39,90
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Rezension von:
Martina Peters
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Martina Peters: Rezension von: Heinz Spielmann / Ortrud Westheider (Hgg.): Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels. Katalogbuch zur Ausstellung im Bucerius Kunst Forum und Jenisch-Haus, Hamburg 2004; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie 2004/2005; Aargauer Kunsthaus 2005, München: Hirmer 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/05/6442.html


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Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.

Heinz Spielmann / Ortrud Westheider (Hgg.): Wolkenbilder

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Das "Bucerius Kunstforum" hat sich mit der Ausstellung "Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels" die Aufgabe gestellt, die durch das Wolkenstudium ausgelösten Veränderungen in der Landschaftsmalerei zu diskutieren.

Drei Kapitel behandeln folgende Themenbereiche: 1. Landschafts- und Wolkenstudium in Ölskizze, Aquarell und Pastell; 2. Versuche, Wolken naturwissenschaftlich, meteorologisch und systematisch zu erfassen; 3. Das Abstraktionspotenzial der Wolken in der Moderne.

Ein Prolog bietet drei einführende Aufsätze von Werner Hofmann, Heinz Spielmann und Werner Busch. Hofmann befasst sich einer mittelalterlichen "Zeitenwende", die schon in einem "Wolkenfleck" des Meisters Francke nachzuweisen ist und in den "blots" von Alexander Cozens gipfelt. Die christliche Ikonografie der Wolke setzte demnach deren Formlosigkeit bewusst in Kontrast zum Formkonzept des Sterns, ihre Wirklichkeitsnähe in Kontrast zur formalen Wirklichkeitsferne des Sterns. Werner Busch hat mit seinem Aufsatz unter dem Titel "Die Wolken: protestantisch und abstrakt. Theoretische und praktische Empfehlungen zum Himmelmalen" gezeigt, wie eng die Bindung der Wolkenmalerei an die Farbe ist. Erklärt wird, warum die klassische Kunsttheorie mit ihrer Bindung an die Linie die Farbmalerei kaum würdigen konnte. Logisch ist also die Entstehung des ersten Farbanweisungsbuches (Boltz) im protestantischen Holland: der Protestantismus erachtete alles in Gottes Schöpfung der Darstellung wert. Protestantische Länder waren in dieser literarischen Gattung führend, und so brachte England mit Alexander Cozens den ersten Künstler hervor, der mit den Wirkungsmechanismen der malerischen Mittel systematisch experimentierte. Der anschließende Bildteil beinhaltet konsequenterweise einen Aufsatz zum Wolkenstudium in der niederländischen Landschaftsmalerei (Westheider).

Das 1.Kapitel stellt vor allem Ölskizzen vor, ausgehend von Pierre-Henri de Valenciennes.

Erst im folgenden Beitrag wird der eigentliche Begründer der Freilichttradition in Rom im 18.Jahrhundert, Claude-Joseph Vernet, genannt. Die Forschung kennt Vernets Bedeutung seit langem, erst die jüngste Forschung hat den Einfluss seines Naturstudiums und seiner traditionsstiftenden Bildtypen für die englische Aquarelltradition und für Valenciennes nachgewiesen. [1] Die von Werner Busch [2] konstatierten landschaftlichen Richtungen, die einerseits zu Constable und Turner, andererseits zu Corot und der Schule von Barbizon führen, werden genannt. Nicht logisch scheint also die Abfolge der Aufsätze mit Valenciennes am Anfang. Hier werden leider auch die Probleme des Katalogs deutlich, die durch die acht von Richter-Musso verfassten Texte hineingetragen werden. Man hätte zumindest Grundbegriffe der Forschung wie den Begriff der "Klassischen Ideallandschaft" klären müssen, bevor man eine "internationale [...] neue Bildsprache" postuliert. Ein Postulat ohne Boden, wie die Bildbeispiele zeigen. Gerade um 1800 erfuhren die verschiedenen Bildtypen, die das 18.Jahrhundert hervorgebracht hatte, Modifikationen aus den Positionen ganz unterschiedlicher ästhetischer Kategorien, die alles andere als eine homogene Bildsprache hervorbrachten. Das beginnende 19.Jahrhundert tradierte pittoreske, antipittoreske und sublime Bildtypen, und das Naturstudium wurde "salonfähig".

Auch die Funktion von Valenciennes' Ölskizzen wird eher verunklärt (Richter-Musso). Dabei wird ihre Entstehung vor der Natur hinterfragt, ohne die wesentliche Frage nach der Funktion der Ölskizzen in ihrer Gesamtheit zu stellen. Insgesamt lassen sie zweifellos den Versuch erkennen, sämtliche Darstellungstraditionen im Naturstudium auszuloten, womit auch die "komponiert" (50) wirkenden Skizzen neue Bedeutung erlangen. Ihr Sinn ist wohl kaum auf reine Vorbildfunktion zu reduzieren, sondern sie hatten eine entscheidende Funktion im Werkprozess zur Übertragung authentischer Wetterstimmung in die "paysage historique", ganz im klassizistischen Sinne zur gefühlsmäßigen Einbindung des Betrachters.

Im Aufsatz zu Rom wird Vernet zwar erwähnt (Richter-Musso), nicht aber sein Grundsatz, der Himmel solle das "foyer", der Farbgeber, der Landschaft sein. Tradiert wurde dies von Valenciennes, vor allem aber seit 1750 von Vernets Schüler Alexander Cozens. Er entwickelte daraus eine komplizierte Methode zur Systematisierung des Werkprozesses ohne Einbuße der vor der Natur aufgenommenen Eindrücke und beeinflusste damit eine ganze Generation englischer Landschaftsmaler. Unlogisch erscheint hier Caspar Wolf im Bildteil, zumal es bei Wolfs Ölskizzen und Gouachen um subjektives Naturstudium mit naturwissenschaftlicher Funktion geht. Alexander Cozens erscheint erst im Bildteil des Aufsatzes zu Constable und Turner (Richter-Musso), und das im Kontext mit dem Terminus des "Pittoresken", was für erneute Begriffsverwirrung sorgt. Die seit 1770 von William Gilpin propagierte Ästhetik des Pittoresken strebt eine theoretisch begründete formale Landschaftsstruktur an, veranschaulicht weder durch Farbe noch durch "Lichtkolorit" (82), sondern allein durch die formale Ordnung der "pittoresken" Linie, der die Naturansicht unterworfen werden soll. Gerade Alexander Cozens hat Linien in der Natur vehement abgelehnt, denn Naturformen werden für ihn nicht durch Linien kenntlich gemacht. Darüber hinaus hätte der Begriff des "Pittoresken" und seine Rezeption klassischer Ideallandschaft seit Salvator Rosa wenigstens andeutungsweise eine Erwähnung der antipodischen Positionen Constables und Turners erfordert.

Das Kapitel schließt mit zwei fundierten Aufsätzen zur nordeuropäischen Wolkenmalerei (Westheider). Besonders der Funktion der Wolken bei Friedrich wird sie gerecht, indem sie auf dessen Auseinandersetzung mit Valenciennes hinweist und seine wenigen bekannten Naturstudien dem Einfluss Dahls zuordnet.

Das 2.Kapitel versucht den gesellschaftlichen Diskurs nachzuvollziehen, der sich auf verschiedenste Weise mit dem Verhältnis von Natur und Kunst, beziehungsweise Naturwissenschaft und Kunst beschäftigte. William Hamiltons Erkenntnisse zur Vulkanologie und William Gilpins Ästhetik des "Picturesque" finden ihren Ort. Der Aufsatz zu Loutherbourgs Eidophusikon (Joppien) vermittelt, wie sehr sich die bürgerliche Gesellschaft für Naturvorgänge interessierte. Der Aufsatz zu Transparentmalerei und Dioramen (Verwiebe) hätte hier besser als am Ende des Kapitels das Interesse an der sublimen Wirkung des Lichts untermauert.

Überzeugend ist die Darstellung John Constables aus der Sicht eines Meteorologen (Thornes). Thornes bestätigt, dass Constables' meteorologisches Wissen nicht nur weit über die Howard'sche Wolkenklassifikation hinausreichte, sondern dass seine Himmel meteorologische Phänomene präzise wiedergeben. Dies entspricht Constables' Grundsatz, der Himmel sei die "key-note" der Landschaft (Vernet's "foyer"), was ihm bei der Kritik den Vorwurf der Aufdringlichkeit seiner Himmel einbrachte. Der Einfluss der Wolkenklassifikation Luke Howards wird anschließend referiert. Weiterhin werden Goethes meteorologischen Studien, die in seiner "Wolkenlehre" gipfelten (Beyer), untersucht. Goethe hatte bekanntlich, begeistert von der Wolkenklassifikation Luke Howards, sein Ziel in erreichbarer Nähe gesehen, dem Formlosen der Wolken Form zu geben.

Das 3.Kapitel "Wolken und Abstraktion" (Westheider) bringt am Beispiel von Blechen, Menzel, Strindberg, Nolde, Hodler und Mondrian auf den Punkt, was Westheider für Friedrichs Mönch am Meer in einer Paraphrase auf Heinrich von Kleist formuliert: "In diesem offenen Bildkonzept spiegelte sich die frühromantische Debatte über Sinnstiftungsfragen und die Fortschreibung des unabgeschlossenen Werks durch den Betrachter." (101) Westheider argumentiert wie in allen ihren Beiträgen kreativ auf der Basis der Forschung. Ihre Interpretation von Blechens Wolken auf der Leinwand als "Tabula rasa" beispielsweise argumentiert ganz im Sinne der Ausstellungsidee, die künstlerischen "Anstöße" zur Auflösung der Gegenständlichkeit in der Moderne aus der Wolkenmalerei zu vermitteln. Das Postulat der Wolke als Vermittlerin von "Bedeutung und Wirkung des Ungegenständlichen" (Busch, 31) wird im letzten Kapitel verifiziert.

Die Kuratoren der Ausstellung haben reiches Bildmaterial zusammengetragen, viele der Beiträge vermitteln wissenschaftlich fundiert die Landschaftspositionen um 1800. Man tut dem Autorenteam kaum Unrecht, wenn man die Beiträge von Ortrud Westheider, Werner Busch, Andreas Beyer und Rüdiger Joppien hervorhebt. Ein etwas differenzierteres Gesamtkonzept hätte gerade dieser Ausstellung, die sich ausschließlich den "Wolken" verschrieben hat, jedoch sehr viel mehr Einheit und Erkenntnis gebracht. Es fehlt vor allem an einem Leitfaden, der die verschiedenen Funktionen von Wolkendarstellungen in den verschiedenen Bildtypen herausgearbeitet hätte. So kommt der eigentliche Sinn dieser "Entdeckung des Himmels" etwas zu kurz.


Anmerkungen:

[1] Martina Peters: Italienreise und Italienansicht. Die Wirkung Claude-Joseph Vernets auf die Freilichtpraxis am Beispiel von Francis Towne und Pierre-Henri de Valenciennes, Berlin / Wildeshausen 2002. (Dissertation, publiziert Januar 2005)

[2] Werner Busch (Hg.): Landschaftsmalerei. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Band 3, Berlin 1997, 238.

Martina Peters