Rezension über:

Jeffrey M. Hurwit: The Acropolis in the Age of Pericles, Cambridge: Cambridge University Press 2004, XXVI + 304 S., 144 halftones, 1 CD-ROM, ISBN 978-0-521-52740-8, GBP 17,99
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Rezension von:
Karl-Wilhelm Welwei
Fakultät für Geschichtswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: Jeffrey M. Hurwit: The Acropolis in the Age of Pericles, Cambridge: Cambridge University Press 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 6 [15.06.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/06/7379.html


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Jeffrey M. Hurwit: The Acropolis in the Age of Pericles

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Das mit 144 Illustrationen und Plänen prachtvoll ausgestattete Buch ist eine verkürzte und überarbeitete Fassung von Hurwitts monumentalem Werk "The Athenian Acropolis". [1] Hurwitt beschränkt sich in seiner neuen Publikation keineswegs auf eine Erläuterung der Bauten aus der im Titel genannten Epoche, sondern verbindet zunächst mit einer Skizze der Geologie des Akropolis-Felsens einen Überblick über Siedlungsspuren in diesem Areal seit den frühesten dort nachweisbaren menschlichen Aktivitäten (1-48). Zudem erörtert er in diesem Zusammenhang die Entstehung und Entwicklung des griechischen Pantheon und polemisiert gegen die ältere These einer Überlagerung vorgriechischer chthonischer Gottheiten durch 'Himmelsgötter' der einwandernden Proto-Griechen. Beachtung verdient hier des Weiteren seine Interpretation der Athena in ihrer Rolle als Schutzherrin Athens sowie ihrer Bedeutung für den Mythos und für die politische Selbstdarstellung der Athener.

Dementsprechend beschreibt er im zweiten Kapitel (49-86) die Akropolis als Stätte der historischen Erinnerung unter dem Aspekt des Waltens der Götter in kritischen Phasen der Geschichte Athens. Er versucht hier zu zeigen, dass ein tieferes Verständnis der klassischen Akropolis die Kenntnis der Legenden von den Interventionen der athenischen Götter während der Schlacht bei Marathon und im Verlauf der Invasion des Xerxes voraussetzt.

Die "Erinnerungskultur" galt natürlich auch den sichtbaren Folgen der Verwüstung der Akropolis durch die Perser. Hurwitt nimmt dies zum Anlass, um im Rückgriff auf Herodots Bericht über die persische Eroberung des Burgberges die damalige Zerstörung des Baubestandes aus der archaischen Periode und den zögernd beginnenden Wiederaufbau vor dem Beginn der Hohen Klassik (um 450 vor Christus) zu erörtern. Hervorzuheben ist sein Hinweis (53), dass zwischen 479 und 450 auf der Akropolis offenbar mehr Werke entstanden sind, als vielfach angenommen wird. Allerdings wurden in dieser Zeit keine monumentalen Bauwerke errichtet.

In seinen Erläuterungen zum großen Bauprogramm nach der Mitte des 5. Jahrhunderts vor Christus (87-105) verdeutlicht Hurwitt durch eine Übersetzung exemplarischer Abschnitte aus der berühmten Verherrlichung des Gesamtbildes der Akropolis in Plutarchs Periklesvita (12-13), wie sehr der antike Betrachter der Bauten aus der Zeit des Perikles auch durch die ingeniöse Einbeziehung der Reste älterer Mauern und Statuen beeindruckt gewesen sein muss. Seine Erklärungen zur Lage des so genannten Alten Athena-Tempels und des unfertig gebliebenen "Vor-Parthenon" vermitteln eine gewisse Vorstellung von dem Bild, das die Akropolis vor der Errichtung der klassischen Bauten auf dem Burgweg bot.

Des Weiteren ordnet Hurwitt das Bauprogramm der perikleischen Zeit in einen größeren historischen Kontext um 450 vor Christus ein, um zu zeigen, dass die Bauten Macht und Größe der Polis Athen in jener Epoche symbolisieren sollten. Zugleich weist er aber hier auch schon darauf hin, dass der Ausbau der Akropolis erst 406/405, relativ kurze Zeit vor der Kapitulation und dem Ende der Großmachtstellung Athens (404), abgeschlossen war. Dadurch dass Hurwitt die einzelnen Bauphasen mit den ungefähr zeitgleichen politischen Entwicklungen und militärischen Großereignissen in Verbindung bringt, wird der Leser gut über die erheblichen Schwierigkeiten informiert, die im Verlauf der Ausführung jenes einzigartigen Projekts zu überwinden waren. Der Verfasser zeigt zudem, dass die Baukosten mit etwa 700 bis 800 Silbertalenten für den Parthenon, 700 bis 1000 Talenten für die Statue der Athena Parthenos im Inneren des Parthenon und vielleicht 200 Talenten für die Propyläen nicht sehr viel höher waren als die Ausgaben für eine größere militärische Aktion zu Beginn des Peloponnesischen Krieges (97). Erwünscht wären in diesem Zusammenhang allerdings nähere Ausführungen zu innerathenischen Debatten über die Finanzierung der Bauten auf der Akropolis (Plutarch, Perikles 12,1-14,2). Relativ kurz werden auch die Kontroversen über die Datierung des unfertigen "Vor-Parthenon" behandelt. So vermisst man eine klare Stellungnahme zu nicht verifizierbaren Vermutungen, wonach mit der Wiederverwendung von Teilen eines halb fertigen Tempels aus der Kimonischen Ära ein Affront gegen Kimon beabsichtigt gewesen sei. [2] Die Politik Kimons war nach dem Sieg der Athener und ihrer Bundesgenossen bei Salamis (Kypros) keineswegs generell diskreditiert, und es wäre verfehlt anzunehmen, dass Kimon im athenischen Demos als Vertreter einer strikten antidemokratischen Politik galt. [3] Als die athenische Volksversammlung das Bauvorhaben beschloss [4], fand die Entscheidung zweifellos in allen Schichten der Bürgerschaft breite Zustimmung, und Kimons Leistungen als Strategos waren nach seinem überraschenden Tod während der athenischen Belagerung des kyprischen Salamis nicht plötzlich vergessen.

In fünf weiteren Kapiteln erläutert Hurwitt detailliert die viel bewunderten klassischen Bauten (Parthenon, Propyläen, Erechtheion, Nike-Tempel) sowie die übrigen Projekte des großen Bauprogramms. Zunächst erörtert er ausführlich die Forschungsdiskussionen über die Funktion des Parthenon (106-154). Es handelt sich um das Problem, ob der Bau überhaupt ein Tempel war. Die Statue der Athena Parthenos im Innern des Parthenon war nämlich wohl kaum ein Kultbild im eigentlichen Sinne, da die abnehmbaren Goldplatten auf dem Standbild eine Art Finanzreserve der Polisgemeinschaft für Notsituationen darstellten. Zudem lässt sich kein Altar mit dem Bau in Verbindung bringen. Hurwitt verweist freilich darauf (112, 269, Anm. 11), dass auch das Hephaisteion keinen Altar erhalten hat und der Poseidontempel in Sunion kein Kultbild besaß. Er betont, dass der Parthenon natürlich wie ein Tempel aussah, aber gleichwohl hauptsächlich als Schatzkammer fungierte. Dennoch möchte er nicht gänzlich ausschließen, dass der Bau auch als Tempel genutzt werden konnte.

Gelungen sind Hurwitts Ausführungen zu dem an der Cellamauer des Parthenon umlaufenden Fries mit der Darstellung des Festzuges an den Großen Panathenäen. Er interpretiert ausführlich die politische und religiöse Symbolik der Reliefs sowie auch die hiermit verbundenen Intentionen athenischer Propaganda. Informativ sind zudem seine Erläuterungen zu der schon erwähnten mehr als zehn Meter hohen Gold-Elfenbein-Statue der Athena Parthenos, die einen überwältigenden Eindruck auf antike Betrachter gemacht haben muss. Das Fazit seiner Beschreibung des Parthenon lautet, dass der Bau ein Marmordenkmal athenischer Größe und gleichsam der Fokus der Polisideologie der Athener war (154).

Verlässlich und informativ sind ferner Hurwitts Ausführungen zu den zwischen 437 und 432 entstandenen monumentalen Propyläen und zu ihrer Baugeschichte sowie zu den technischen Problemen, die bei ihrer Errichtung infolge der enormen Niveauunterschiede zu bewältigen waren (155-163). Nach seiner Auffassung waren die Propyläen, deren Baukörper zu einer gewaltigen Einheit zusammengefügt waren, sogar eine noch größere Präsentation athenischer Macht als der Parthenon, weil die üblichen Eingangsbauten nicht derart prunkvoll gestaltet waren (162f.).

Anschließend beschreibt Hurwitt den vermutlich zwischen 409 und 406 vollendeten mehrgliedrigen Baukomplex des Erechtheion an der Stätte des mythischen Königs Erechtheus und den in den Zwanzigerjahren des 5. Jahrhunderts vor Christus erbauten Nike-Tempel, das Heiligtum der Sieg bringenden Athena (164-191). Zu den Kontroversen über den Baubeginn des Erechtheion nimmt Hurwitt dezidiert Stellung, indem er die Anfänge dieses Projekts noch in die dreißiger Jahre des 5. Jahrhunderts datiert. Einen Baubeginn nach den so genannten Kallias-Dekreten 434/33, die die Anlage eines Reservefonds vorsahen, möchte er indes ausschließen (174), weil die Athener zu diesem Zeitpunkt bereits - wie er in anderem Zusammenhang betont (160) - den Krieg mit Sparta für unvermeidbar gehalten hätten. Hierzu ist freilich zu bemerken, dass die These von einer Zwangsläufigkeit des Konflikts großer Mächte zwar 434/33 allem Anschein nach von Perikles und seinem engeren Kreis vertreten wurde, aber weder damals noch einige Zeit später bei allen Athenern Zustimmung fand, wie Thukydides' Darstellung (1,31-44; 1,139-145) der Diskussionen in der athenischen Volksversammlung über das Bündnisangebot der Kerkyraier im Sommer 433 und über das spartanische Ultimatum im Winter 432/31 vor Christus zeigt. Zutreffend ist aber auf jeden Fall Hurwitts Auffassung, dass das Erechtheion und der Parthenon nicht als "architectural antigonists" zu verstehen sind (179), sondern vielmehr unter den Aspekten der sakralen Topografie und der ikonografischen Komposition komplementäre Funktionen haben und als Ensemble eben die klassische Akropolis ausmachen.

Die These, dass das Erechtheion und der Nike-Tempel eine "konservative Antwort" auf das von einer "radikaldemokratischen Partei" Athens favorisierte Projekt der Propyläen gewesen seien [5], ist in mehrfacher Hinsicht eine Fehleinschätzung, die der politischen Realität in Athen in keiner Weise gerecht wird und schon aus terminologischen Gründen in die Irre führt. Die Begriffe "Partei", "radikaldemokratisch" und "konservativ" sind in diesem Zusammenhang Anachronismen. Hurwitt vermeidet erfreulicherweise derart pointierte Behauptungen.

Im achten Kapitel bespricht er alle weiteren Projekte des klassischen Bauprogramms (192-223). Er unterstreicht hier, dass die "perikleischen" Bauten in ihrer Gesamtheit ein ganz anderes Bild ergaben als die heutige Akropolis nach den 'Aufräumarbeiten' des 19. Jahrhunderts und der folgenden 'Neugestaltung' des dortigen Ruinenfeldes.

Im Schlussteil (224-251) rückt Hurwitt noch einmal den Parthenonfries ins Zentrum seiner Betrachtungen, um zu unterstreichen, dass die Präsentation des Panathenäischen Festzuges als Darstellung von kultischen Ritualen und athletischen Agonen aus der damaligen Lebenswelt der Athener in Verbindung mit der mythologischen Symbolik der Skulpturen des Parthenon eine einzigartige Komposition bildet, die wie die klassische Akropolis insgesamt der Glorifizierung Athens und des Demos dieser Polis dienen sollte. Hurwitt sieht hier in der Gestaltung des Parthenonfrieses sogar die Quintessenz der Aussagen eines Bauprogramms, das als monumentales Pendant zum thukydideischen Epitaphios des Perikles Athen als "Schule von Hellas" feiert.

Eine Zeittafel, ein Glossar und ein Anmerkungsteil bilden den Anhang zu einer gelungenen Gesamtdarstellung der Akropolis. Außerdem bietet eine dem Buch beigefügte CD-Rom zusätzliche Illustrationen und Informationen zu der behandelten Thematik.


Anmerkungen:

[1] Jeffrey M. Hurwitt: The Athenian Acropolis. History, Mythology, and Archaeology from the Neolithic Era to the Present, Cambridge 1999.

[2] Vgl. Ch. Schubert: Perikles, Darmstadt 1994, 61.

[3] Vgl. dazu überzeugend E. Stein-Hölkeskamp: Kimon und die athenische Demokratie, in: Hermes 129 (1999), 145-164.

[4] Vgl. W. Will: Thukydides und Perikles. Der Historiker und sein Held, Bonn 2003, 312 f.; s. hierzu auch die Rezension von Timo Stickler, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 12, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/12/6266.html.

[5] So L. Schneider / Chr. Höcker: Die Akropolis von Athen. Eine Kunst- und Kulturgeschichte, Darmstadt 2001, 167.

Karl-Wilhelm Welwei