Simone Roggendorf / Sigrid Ruby (Hgg.): (En)gendered: Frühneuzeitlicher Kunstdiskurs und weibliche Porträtkultur nördlich der Alpen, Marburg: Jonas Verlag 2004, 208 S., 48 s/w-Abb., ISBN 978-3-89445-338-1, EUR 25,00
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Eva-Bettina Krems / Sigrid Ruby (Hgg.): Das Porträt als kulturelle Praxis, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2016
Sigrid Ruby (Hg.): 150 Jahre Kunstgeschichte an der Universität Gießen. Unter Mitarbeit von Joachim Hendel, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2024
Sigrid Ruby: Mit Macht verbunden. Bilder der Favoritin im Frankreich der Renaissance, Freiburg: fwpf / Fördergemeinschaft wissenschaftlicher Publikationen von Frauen e.V. 2010
Der vorliegende Band zum weiblichen Porträt und dem Diskurs über die Geschlechter im Norden versammelt in chronologischer Abfolge vorwiegend kunsthistorische, aber auch literaturwissenschaftliche Beiträge zu Themen vom Porträt der Margareta van Eyck bis hin zu den Bildnissen Luises von Preußen. Es geht den Autorinnen und Autoren um eine Erweiterung des Kontextes und der Historizität des weiblichen Porträts, um einer rein ästhetischen und kunsttheoretischen Sicht zu entgehen, die bislang dazu geführt hat, dass die porträtierte Frau entindividualisiert und zur bloßen Chiffre eines Schönheitsideals reduziert werden konnte. Der zu Grunde liegende Porträtbegriff stammt folglich aus der Kultursemiotik, die die historisch und kulturell abhängigen Kodes des Porträtschaffens als eine eigene Symbolform begreift und deren geschlechtsspezifische Entstehung, Bedingungen und Funktionsweisen offen legt. Gender, so behaupten die Herausgeberinnen und Herausgeber entgegen postfeministischer Ansätze mit Recht, ist ein sozio-kulturelles Produkt, dessen Differenz erzeugendes semiotisches System für das kulturwissenschaftliche Verständnis von Kunst- und Literaturgeschichte von grundlegender Bedeutung ist.
Die Rahmeninschrift "coniunx meus [...] me complevit" auf einem der früheste Frauenporträts überhaupt, der Margareta van Eyck, gibt Karin Gludovatz Anlass, über die Beziehung der darin angesprochenen Geschlechter in den Gemälden Jan van Eycks nachzudenken. Der visuelle Befund zeigt eine deutliche Individualisierung des Männerporträts, sogar wenn es sich, wie beim Adam des Genter-Altars, um eine Fiktion handelt, und eine Tendenz zur Idealisierung weiblicher Bildnisse nach dem Kanon des gotischen Schönheitsideals, wie im Doppelporträt der Arnolfini. Margareta van Eycks Porträt trägt dagegen alle Merkmale individueller Gesichtszüge samt des porenfeinen Inkarnats, das einen Widerspruch zum 'entleibten', unter dem Tabbaert verschwindenden Körper darstellt. Die singuläre Rahmeninschrift "mein Ehemann [...] hat mich vollendet" führt zu der Frage, wer oder was hier vollendet wird, das Bildnis oder die Ehefrau. Nur Margarete selbst kann dies von sich behaupten, was Gludovatz dazu führt, die Inschrift als ein Bekenntnis des künstlerischen Schöpfungsaktes zu interpretieren: Jan van Eyck hat in Umkehrung des Pygmalionmythos aus seiner Ehefrau ein lebendiges Bild gemacht. Im Kontext der überlieferten Inszenierung des Gemäldes, das jährlich zum Lukasfest in der Kapelle der Brügger Malergilde wohl mit seinem Pendant, dem Selbstbildnis van Eyks, ausgestellt war, steht das Bildnis der Ehefrau für die Verkörperung der eyckschen Malkunst. Die Frau gibt sich als Kunstgeschöpf ihres Mannes preis, weist ihm die aktive Rolle des Zeugers und sich selbst die des passiven Modells zu, das sich in die Hände des Mannes begibt und wie die Malmaterie von ihm formen lässt.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts schreibt in Lyon eine selbstbewusste Dichterin, Louise Labé, in der Nachfolge Petrarcas Liebesgedichte. Alice Bolterauer kann zeigen, wie die Dichterin eine kritische Distanz zur petrarkistischen Liebeslyrik gewinnt und einen verbindlichen, konventionalisierten literarischen Kode von Liebe um leidenschaftliche, sinnliche oder Liebeserfahrungen erweitert, die auf Gegenseitigkeit beruhen. Labé hebt die unerreichbaren Geliebten des Petrarkismus vom Sockel und verharrt nicht länger in Ehrfurcht vor dem als Idol angebeteten Liebesobjekt. Das lyrische Ich fordert das Zwiegespräch, den Dialog, den sinnlichen Austausch der Liebenden. Die Schönheit des Geliebten entspricht nicht mehr einem Regelkanon, sondern ist die Konsequenz des sinnlichen Begehrens, eine wahre Empfindung. Formal äußert sich dies in einer Diskrepanz von Formvollendung einerseits und starker, alles auf den Kopf stellender Gefühlsaufwallung des Liebe empfindenden Subjekts andererseits. Dass die Abkehr von den Konventionen ein Programm der Dichterin ist, macht Labé bereits im Vorwort ihres Débat de Folie et d'Amour klar: die Zeit der strengen Gesetze der Männer, so heißt es dort, ist vorbei. Es sei nun Aufgabe der Frauen, sich in den Wissenschaften und Künsten zu erproben.
Sigrid Ruby stellt das Gemälde Dame au bain (um 1570) von Francois Clouet, das bisher gern als Porträt einer königlichen Mätresse identifiziert wurde, ins Zentrum einer kritischen Betrachtung der Gattung des Porträts und des nackten weiblichen Körpers. Das Gemälde, das eindeutig porträthafte Züge der badenden Dame zeigt, hatte, so vermutet Ruby, wohl kaum die Funktion, darin eine bestimmte Frau zu verkörpern. Die Verschränkung der Gattungen Porträt, Genre, Stillleben verweist vielmehr auf einen Kunstdiskurs über Malerei, in dem das Porträt eine anderer Funktion als die der Identifikation einnehmen muss. Ronsards Élégie à Janet, die der Dichter an Clouet richtete, bietet einen Schlüssel für ein Verständnis des Gemäldes als Rekurs auf die Malerei, wie Ruby im Anschluss an Stoichita ausführt. In dem Gedicht wird der Maler aufgefordert, das Gemälde der Geliebten des Dichters zu malen, die er dann mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Rhetorik beschreibt. Dies läuft auf einen Wettstreit der beiden Medien hinaus, in dem der Dichter seine Überlegenheit beweisen will. Dass die beschriebene Dame ein Kunstprodukt ist, liegt in der rekursiven Struktur dieser Dichtung, die weibliche Schönheit als ihre Metapher vereinnahmt. Clouets Gemälde antwortet darauf unter Aufbietung all seiner Kunst, die die Schönheit des nackten weiblichen Körpers in das synästhetische Erleben von kostbaren Stoffen, frischen Früchten, betörenden Düften einbettet, wobei das Gemälde das künstliche Arrangement ausdrücklich exponiert. Die Porträthaftigkeit der Dame, dies klärt die Bild-Text-Analyse, hat in diesem Kontext mehr die Funktion der Suggestion von Lebendigkeit als die der Identifikation eines weiblichen Subjekts.
Den Wettstreit zwischen zwei Malern des 18. Jahrhunderts, Reynolds und Gainsborough, revidiert Simone Roggendorf, indem sie am Beispiel von Gainsboroughs Mr and Mrs Hallett die Synthese von Vernunft und Gefühl in den Kontext einer Kultur der Empfindsamkeit und den zum antiakademischen Außenseiter stilisierten Maler in das Zentrum der Seh- und Wahrnehmungstheorien der Aufklärung stellt. Die von Reynolds heftig kritisierte Malweise des Kollegen, seine nur die Sinne reizende und das Gefühl ansprechende Kunst, der es an Intellektualität mangele, spaltete die Kunst in eine männliche, akademische und eine weibliche, antiakademische. In dem genannten Porträt eines Ehepaars aus der gehobenen Mittelschicht beobachtet Roggendorf die Demonstration von Reichtum, Modebewusstsein und Naturnähe sowie beste Umgangsformen und harmonisches Eheglück im Gleichklang der Körper und in der farblichen Zusammenbindung des Paares. Das Doppelbildnis lässt außer dem Verzicht auf geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen auch die Annäherung der Schönheitsideale der Geschlechter erkennen, die die Sensibilität für das Farb- und Malmaterial sekundiert.
Der Band bietet sowohl eine eindrucksvolle Bandbreite der Geschlechterdiskurse im Norden als auch einen kritischen Blick auf die Forschung, sodass sich eine Fülle neuer und interessanter Aspekte zum Thema ergeben. Die Frage, warum die Malerei nördlich der Alpen in der kunsthistorischen Forschung immer im Schatten der italienischen stand und steht, geben die Herausgeberinnen nur zu bedenken. Das vorliegende Buch gibt durchaus Anlass auch über diese Frage einmal gründlich nachzudenken.
Christiane Kruse