Jochen Johrendt: Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (896-1046) (= Monumenta Germaniae Historica. Studien und Texte; Bd. 33), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2004, XXII + 305 S., ISBN 978-3-7752-5733-6, EUR 40,00
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Mit der Münchener Dissertation von Jochen Johrendt liegt eine systematische Auswertung der Rechtsinhalte vor, welche die von Harald Zimmermann edierten Papsturkunden aus den Jahren 896-1046 festhalten. Das Quellenkorpus besteht aus Texten, die zwar formal vom Inhaber der Cathedra Petri ausgestellt worden sind, aber de facto von ihren Empfängern formuliert wurden. Johrendt reagiert auf diese Besonderheit seines Materials mit einem Ansatz, der die Erwartungen ins Zentrum der Analyse stellt, welche die unterschiedlichen Empfänger an die Päpste herangetragen haben. Indem die Rechtsinhalte der Papsturkunden für Deutschland, Italien, Frankreich und Katalonien zusammengestellt und verglichen werden, soll die Studie nachzeichnen, was sich die jeweiligen Landeskirchen von Rom erhofften.
Nach einer kurzen Skizze der Kernfragen in der Einleitung (1-5) finden sich unter der Überschrift "Erkenntnisziel" Ausführungen zum Begriff Landeskirche (5-9) sowie zum Anliegen, in komparatistischer Weise "die Rolle des Papstes bei der Gewährung und Bestätigung von Rechtstiteln innerhalb der einzelnen Landeskirchen" zu untersuchen (9-13, Zitat 9). Zu diesem Zweck beruft sich Johrendt auf den von Berger / Luckmann entwickelten wissenssoziologischen Institutionsbegriff. Auf der Basis dieser Überlegungen bietet der folgende Abschnitt, der mit "Methode" überschrieben ist, eine erste quantitative Übersicht über das Quellenkorpus (13-20). Weitere Vorbemerkungen betreffen die Rolle einer vermeintlichen päpstlichen 'Kanzlei' (22-25). Ausführlich wird der Rechtscharakter der frühmittelalterlichen Papsturkunde diskutiert und mit einem alternativen Verständnis kontrastiert, nach dem ein vom Nachfolger Petri ausgestelltes Schriftstück analog zu einer Berührungsreliquie geeignet gewesen sein könnte, den Heiligen auch außerhalb von Rom präsent zu setzen (28-36). Die einführenden Passagen enden mit einer Skizze der Interventionen, bei denen sich eine herausragende Stellung der deutschen Könige herausschält (36-48).
Nach diesen umfangreichen Vorklärungen besteht die Studie aus zwei Hauptteilen, einer ausführlichen Deskription der Befunde (49-198) und ihrer Deutung (199-271). Im Einzelnen stellt Johrendt folgende Rechtsinhalte zusammen: Abtwahlfreiheit (50-61), Palliumverleihungen (62-75), Besitzbestätigungen (76- 115), Formen päpstlicher Schutzbestimmungen, aufgeschlüsselt nach Exemtion, Immunität und Papstschutz (116-167), Ehrenrechte (168-181) sowie Vikariate und Primate (182-198). Unter diesen Kategorien wird der Quellenbestand in die Befunde für die einzelnen Landeskirchen aufgeschlüsselt und nach der chronologischen Verteilung der Gewährung der Rechte, nach den Institutionen, an welche die einschlägigen Papsturkunden adressiert waren, und nach der Formelhaftigkeit der Urkundentexte gefragt. Diese detailliert erhobenen Informationen werden in einem zweiten Hauptteil ausgewertet, indem nun die Befunde für Deutschland (200-226), Frankreich (227-243), Italien (244-261) und Katalonien (262-271) zusammengetragen werden. In seinem knappen "Resümee und Ausblick" (272-275) betont Johrendt folgende Punkte: Die Passivität der Päpste bewirkte große Unterschiede in den gewährten Rechtsinhalten und ihrer Interpretation in den einzelnen Landeskirchen. Diese Unterschiede resultieren aus dem Spielraum, den die regionalen politischen Strukturen dem Papsttum zuwiesen, vor allem aus der Stellung der Könige in den jeweiligen Herrschaftsverbänden. Die lokal verschiedene Deutung der Rechtsinhalte stellte kein Problem dar, da Rom nicht beanspruchte, eine authentische Interpretation vorzugeben. Das sollte sich ab 1046 grundsätzlich ändern, als das Reformpapsttum sich intensiv um eine Systematisierung bemühte.
Eine Bewertung der vorgelegten Dissertation kann bei Johrendts Rückgriff auf einen wissenssoziologischen Institutionsbegriff ansetzen, der die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen der Institution des Papsttums und den Petenten ins Zentrum des Ansatzes stellt. Entscheidend, so Johrendt, sei die Kommunikation zwischen beiden Seiten, durch die "eine reziproke Typisierung" bewirkt werde, "die zu bestimmten Rollen führt". Die weitere Kommunikation sei durch eine kontinuierliche Modifikation der Rollenerwartungen geprägt, sodass "der Kommunikationsakt [...] damit in stetiger Weise die so beschriebene Institution" formt (10f., Zitate 11). Diese Frage nach den Wechselwirkungen zwischen Aussteller, Empfänger (und Intervenienten) greift Johrendt in seiner gesamten Arbeit kaum auf. Dadurch, dass er sich bei der Analyse der Inhalte der Kommunikation auf die Rechtsinhalte der Urkunden beschränkt, kann er eine reziproke Typisierung kaum beobachten, weil das Papsttum ja bei ihrer Formulierung passiv blieb. Vor dem Hintergrund jüngerer Ansätze zur kommunikativen Funktion von Urkunden (Rück, Keller), die Johrendt kurz diskutiert (25-36), ist es bedauerlich, dass das Potenzial, das in den Ausführungen zur Institutionstheorie steckt, weitgehend ungenutzt bleibt. Denn wenn Institutionen von kontinuierlichen Wechselwirkungen zwischen ihnen und ihren 'Benutzern' geprägt und modifiziert werden, muss ihre Analyse Felder erschließen, auf denen tatsächlich derartige Prozesse zu beobachten sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ein offensichtlich nicht wechselseitig ausgehandeltes Thema wie die Rechtsinhalte einen schlechten Indikator für den Charakter einer Institution darstellt.
Die Beschränkung der Analyse auf die Rechtsinhalte der Papsturkunden führt zu Ungereimtheiten in der Bewertung der Befunde. Eingangs formuliert Johrendt die These, eine Papsturkunde habe eine der Berührungsreliquie ähnliche Funktion erfüllen können. Diese Überlegungen "stehen zwar nicht im Zentrum des Erkenntnisinteresses, doch müssen sie als eine Art Hintergrund berücksichtigt werden" (25-36, Zitat 36). Wenn hingegen die Überlieferungschancen von Papsturkunden diskutiert werden, tritt dieser Hintergrund nicht in Erscheinung, denn im Anschluss an Esch wird die Wahrscheinlichkeit der Tradierung eines Dokuments allein von seinem dauerhaften rechtlichen Wert abhängig gemacht (16f.), konkret etwa im Fall von Palliumverleihungen, die ad personam erfolgten (64, 67, 75). Abgesehen davon, dass in der mittelalterlichen Rechtskultur personengebundene Präzedenzfälle durchaus über den Tod der Beteiligten hinaus ihre rechtliche Relevanz behielten, fällt auf, dass die außerrechtlichen Funktionen der fraglichen Urkunden in diesem Zusammenhang nicht in Anschlag gebracht werden, die weiter vorne als Hintergrund für die Analyse der Rechtsinhalte ausgeführt worden waren. Wie dieses Beispiel demonstriert, kann die Reduzierung der Analyse wechselseitiger Typisierungen zwischen Papsttum und Petenten auf eine einseitige Kommunikation über Rechtsinhalte zu problematischen Wertungen der Erwartungen einer Landeskirche an Rom führen.
Ein letzter Punkt: Es sticht ins Auge, dass sich Johrendt auf eine breite methodische Palette beruft. Er verfolge einen komparatistischen Ansatz (9), die Arbeit sei "in weiten Teilen quantifizierend ausgerichtet" (14), zugleich erfolge "eine qualitativ differenzierende Untersuchung" der Papsturkunden (18), die lediglich den Anspruch einer "case-study" erhebe (18), Letzteres unter Hinweis auf Esch, der gerade vor dem zitierten Ansatz warnt. Wie diese verschiedenen Forschungsparadigmen methodisch unter einen Hut gebracht werden, wird nicht systematisch diskutiert. Der von Johrendt reklamierte Begriff einer Fallstudie sei kurz aufgegriffen. Die Entstehung und Überlieferung der frühmittelalterlichen Papsturkunden waren von höchst kontingenten Umständen geprägt, sodass in machen Kategorien der Deskription einzelne Empfänger sehr stark vertreten sind. Diese Ballung wird aber nicht zum Ausgangspunkt für eine "case-study" im klassischen Sinn, also der präzisen Rekonstruktion eines herausragend dokumentierten Einzelfalls im Dienste einer umsichtigen Interpretation seiner Repräsentativität. So wird etwa aus der breiten Überlieferung von Exemtionsurkunden für Fulda (10 von insgesamt 19 Belegen) ein statistischer Sonderfall, der "nicht repräsentativ für das Bedürfnis der gesamten Landeskirche ist" (120). Im Falle der Ehrenrechte für italienische Empfänger hingegen übernehmen die vier von insgesamt sieben für Klöster ausgestellten Papsturkunden, die aus Montecassino vorliegen, die wesentliche Beweislast für das Bedürfnis der italienischen Landeskirche (178-180). Derartig problematische Gewichtungen hätten vermieden werden können, wenn Johrendt konkret auf die Spezifika der Entstehungs- und Überlieferungssituation der fraglichen Papsturkunden eingegangen wäre, um eben den Anspruch von "case-studies" einzulösen.
Insgesamt wird die Arbeit sicherlich ihren bleibenden Wert als Hilfsmittel zur Erschließung der Rechtsinhalte besitzen, die die von Harald Zimmermann edierten Papsturkunden für die Jahre 896-1046 besitzen. Darüber hinaus bietet sie interessante Ansätze, deren Potenzial sie jedoch bei weitem nicht ausschöpft.
Christoph Dartmann