Martin Früh: Antonio Geraldini (+ 1488). Leben, Dichtung und soziales Beziehungsnetz eines italienischen Humanisten am aragonesischen Königshof. Mit einer Edition seiner "Carmina ad Iohannam Aragonum" (= Bd. 2), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005, X + 402 S., ISBN 978-3-8258-8233-4, EUR 39,90
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Die als Dissertation bei Jürgen Petersohn an der Philipps-Universität in Marburg entstandene Arbeit gliedert sich in drei große Abschnitte. Im ersten Teil (8-71) legt Martin Früh die erste Biografie des bisher fast nur aus philologischem Blickwickel erforschten Antonio Geraldini vor. Über seine Jugend bis zur Überfahrt auf die iberische Halbinsel im Jahre 1469 ist nur wenig bekannt: Geboren zwischen Ende 1447 und Anfang 1449 in Amelia, wird er zunächst vom Ameriner Grifo unterrichtet, verlässt aber mit nicht einmal zehn Jahren Amelia und ist dann in Perugia, Bologna, Fano und Mailand nachweisbar, ehe er sich 1466 bis 1468 hauptsächlich in Florenz aufgehalten haben dürfte, wo er sich im Umkreis der Dichter des Mediceer-Kreises bewegte. 1468 kehrt er nach Amelia zurück, schließt sich aber schon wenig später seinem Onkel Angelo (dessen Vita er auch verfasst), dem Bischof von Sessa, an, der als Gesandter des neapolitanischen Königs Ferrante zunächst zu Alfons, Herzog von Kalabrien, und dann zu König Johann II. von Aragón entsandt wird (1469). Johann II. ernennt Antonio zu seinem Sekretär; die noch 1469 erfolgte Dichterkrönung dürfte die erste belegte auf der iberischen Halbinsel sein. Als Angelo Geraldini von Ferrante nach Italien zurückgerufen wird, bleibt Antonio bei Johann II. und wird königlicher Notar und Diplomat; gleichzeitig baut er enge Beziehungen zum humanistisch interessierten Kreis am Hof des Königs auf. 1474 überträgt ihm Johann die sizilianische Basilianerabtei Santa Maria di Gala als Kommende, die Antonio allerdings erst 1478 definitiv in seinen Besitz bringen kann (auch in der 1481 als Pfründe verliehenen Abtei S. Angelo de Brolo kann er sich erst Jahre später durchsetzen, gibt im Gegenzug aber Santa Maria die Gala ab). Besonderes Augenmerk richtet Früh im Folgenden auf die in den Quellen ausgezeichnet belegte Gesandtschaft nach Sizilien 1478/79, in deren Verlauf Geraldini während eines Piratenüberfalls verletzt wurde und vorübergehend in Gefangenschaft geriet. Nach seiner Rückkehr und dem Tod Johanns II. wird er Chronist und Hofdiener des neuen Königs Ferdinand des Katholischen und weiter für diplomatische Missionen eingesetzt. So reist er etwa 1481 zum Markgrafen von Monferrato; Ende 1484 begibt er sich an die Kurie und bleibt bis 1487 in Italien. Diesen Aufenthalt nützt er auch dazu, in Erbschaftsangelegenheiten und anlässlich des Todes seines Onkels Angelo seine Heimatstadt wieder aufzusuchen. In Florenz schließt er enge Freundschaft mit Humanisten wie Ugolino Verino, ehe er 1487 wieder auf die iberische Halbinsel zurückkehrt und dort wenig später stirbt.
Als Quellen für die Biografie wertete Früh zahlreiche Dokumente in Archiven sowie die eigenen Werke Geraldinis aus, die er im Anschluss an die Biografie auch kurz skizziert. Es handelt sich dabei, wenn man von der schon genannten Vita Angeli Geraldini und der Obödienzansprache vor Innozenz VIII. (1486) absieht, vor allem um Dichtungen wie das auf hohem Niveau stehende Carmen bucolicum (1484), die zwei in Florenz verfassten Odenbücher an Piero Medici und Paul II. sowie die 37, Johanna von Aragón gewidmeten Oden (s. u.). Einen Epodon liber widmete er Königin Isabel der Katholischen; dazu kommen noch verschiedene elegische Dichtungen; verloren sind unter anderem Verse auf Michele Verino sowie Geraldinis Fasti (christliche Dichtung in elegischen Distichen) und auch Prosawerke, etwa ein Corpus von Reden.
Im zweiten Abschnitt des Buches (72-169) untersucht Früh das soziale Beziehungsnetz Antonio Geraldinis, indem er (geografisch gegliedert: Katalonien-Aragón - Amelia - Florenz - Rom) prosopografische Skizzen jener Personen vorlegt, die nachweislich mit dem Protagonisten in Verbindung standen. Der illustre Kreis umfasst Angehörige des Königshauses (etwa Johann II. und die Katholischen Könige Ferdinand und Isabel), Adelige und Würdenträger bei Hof (hier konstatiert der Autor soziale Distanz und fehlende persönliche Nähe; die diesen Personen gewidmeten Dichtungen sollten wohl vor allem der Förderung des eigenen Werks dienen), Geraldinis Kollegen der königlichen Kanzlei (etwa den bisher wenig erforschten Bernart Boyl oder Pere Miquel Carbonell) und weitere Kontakte in Katalonien-Aragón (unter anderen Jeroni Pau) sowie seine Verwandten aus Amelia (unter ihnen sein jüngerer Halbbruder und langjähriger Begleiter Alessandro und sein Onkel und Förderer Angelo), Florentiner Humanisten (etwa Bartolomeo Scala, Ugolino und Michele Verino) und Gelehrte aus dem Umkreis von Letos Akademie in Rom. Besonders was die bisher kaum in der Literatur bekannten beziehungsweise nur wenig erschlossenen Personen aus dem spanischen Umfeld Geraldinis betrifft, leistet der Autor hier aufwändige Pionierarbeit und erschließt detailgenau die persönlichen Verbindungen des Humanisten.
Beim dritten Teil (170-331) des Buches schließlich handelt es sich um die erste moderne Edition von Geraldinis Carmina ad Iohannam Aragonum, also jener zwei Odenbücher mit insgesamt 37 Gedichten in horazischen Metren, die er Antonio Johanna von Aragón, der Tochter Ferdinands des Katholischen, widmete, und die zwischen 1476 und 1483 entstanden. Früh analysiert die Oden, die in Spanien "völlig einzigartig" (174) dastehen, vor der eigentlichen Edition auf sprachliche, metrische und inhaltliche Vorbilder und erweist die Lyriker der Goldenen Latinität, vor allem Horaz, als Vorbild Geraldinis, kann aber auch Parallelen zu spätantiker christlicher Literatur (Alcimus Avitus, Paulinus von Nola etc.) und zum Epos (Lucan, Claudian etc.) festmachen. Die folgende Edition der Carmina beruht auf dem einzigen, wohl von Geraldini selbst überwachten Druck des Werkes (GW 10666; Rom, wahrscheinlich 1487), die der Autor überzeugend als Fassung letzter Hand und Überarbeitung jenes Textes erweisen kann, der in der Mailänder Ambrosiana (R 12 sup., etwa neuntes Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts) handschriftlich überliefert ist. Eine kurze Erläuterung und Einordnung weiterer Textzeugen von geringer Relevanz bzw. Hinweise auf den Druck einzelner Oden aus dem Corpus runden die Einleitung der darauf folgenden Edition der Oden ab, die auch mit einem ausführlichen Sach- und Similienapparat versehen ist.
Insgesamt stellt das Buch einen sehr wertvollen Beitrag für die Erforschung des im deutschen Sprachraum wenig rezipierten Humanismus der iberischen Halbinsel dar. Es führt exemplarisch die Karriere und das soziale Netz eines Humanisten und Diplomaten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sowie den Einfluss des italienischen Humanismus auf die iberische Halbinsel überzeugend vor. Besonders hervorzuheben ist die aufwändige Quellenarbeit in zahlreichen Archiven Spaniens und Italiens, die das Buch auch zu einer Fundgrube für Forschungen zu Personen im Umkreis Geraldinis macht, die bisher kaum bekannt oder wenig erforscht waren.
Martin Wagendorfer