Dirce Marzoli: Die Besiedlungs- und Landschaftsgeschichte im Empordà von der Endbronzezeit bis zum Beginn der Romanisierung (= Iberia Archaeologica; Bd. 5), Mainz: Philipp von Zabern 2005, 423 S., 115 Abb., ISBN 978-3-8053-3389-4, EUR 65,50
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Wie kaum eine andere Region des nördlichen Spanien hat die Landschaft des Empordà die spanische und internationale Forschung beschäftigt. Zahlreiche Studien widmen sich nicht nur der Geschichte der griechischen Handelsniederlassungen Emporion und Rhode,
sondern auch der bedeutenden iberischen Siedlungen in ihrem Umfeld. Dieses große Interesse gründet sich vor allem in der herausragenden Stellung, die den beiden griechischen Siedlungen bei der kulturellen Entwicklung Nordspaniens zukommt. Der entsprechende Enthusiasmus der Forschung führte so z. B. zur Rekonstruktion eines griechischen Katasters auf der chora Emporions.
Mit dieser und weiteren voreiligen Annahmen räumt die vorliegende Habilitationsschrift von Dirce Marzoli nun endgültig auf. Die Arbeit entstand im Rahmen eines Küstenforschungsprojektes der Abteilung Madrid des Deutschen Archäologischen Institutes, bei dem vor allem auch mit naturwissenschaftlichen Methoden eine Rekonstruktion des vorgeschichtlichen und antiken Küsteverlaufs im Empordà angestrebt wurde. Die "Erforschung der Veränderung der Küstenlandschaft, der antiken Küstenlinie, der Ausdehnung der Meeresbuchten, der Mündungen und des Verlaufs der Flüsse sowie der Vegetationsgeschichte" (17) soll dabei zur Klärung verschiedener Fragen der Besiedlungsgeschichte der Region beitragen.
Dazu zieht die Autorin neben den 'klassischen' archäologischen und literarischen Quellen vor allem paläobotanische, geologische und geophysikalische Daten heran, die von entsprechenden Fachleuten im Rahmen des Projektes während dreier Geländeprospektionen 1996 gesammelt worden waren. Interessant ist auch ein Blick in die historische Kartografie der Region, die neue Einsichten in die rezenten Entwicklungen der Küstenlinie erlaubt.
Anders als das unübersichtliche Inhaltsverzeichnis vermuten lässt, folgt die Arbeit einer klaren und wohl durchdachten Gliederung. Nach der Einführung, die kurz die Quellen vorstellt, folgen als zweiter Teil die geografischen Voraussetzungen. Während sich das erste Unterkapitel "Gewässer" den Flüssen, Kanälen und Seen und ihrer Bedeutung für die landschaftliche Entwicklung widmet, geht Marzoli im zweiten Unterkapitel "Verbindungswege" vor allem auf die Möglichkeiten zur Schifffahrt an den Küsten der Region und ihren Beleg durch Wrackfunde und Schriftquellen ein.
Der dritte Teil der Arbeit bietet eine umfassende Darstellung der Forschungsergebnisse des Küstenprojektes. Ausgehend von den neuen Ergebnissen zu Verlagerung der Küstenlinie, Höhe des Meeresspiegels etc. werden im Folgenden Hafen- und Ankerplätze auf Grund der archäologischen, geologischen und geophysikalischen Daten in der Untersuchungsregion lokalisiert. Die gewonnenen Ergebnisse werden mit ähnlichen Hafenanlagen im westlichen Mittelmeerraum verglichen, um Aussagen über die Bedeutung der Häfen und Anlegeplätze des Empordá zu ermöglichen. Hier lässt sich festhalten, dass der nachweisliche Kontakt der Region zu Etrurien und Südgallien seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. nicht zu einem dort bereits üblichen Bau von Hafenanlagen führte. Auch scheint die griechische 'Kolonisierung' im Empordá keine Auswirkungen auf die Umwelt gehabt zu haben. Eine durch den Menschen bewirkte Veränderung der Landschaft tritt offenbar erst nach der Romanisierung ein.
Den weitaus größten Abschnitt innerhalb des dritten Teils nehmen die Fragen nach den vor- und frühgeschichtlichen Plätzen in der Untersuchungsregion und ihr Verhältnis zur jeweiligen Küstenlinie ein. Mit dem Neolithikum beginnend werden diese Siedlungsplätze aufgeführt und in ihren jeweiligen chronologischen und kulturellen Kontext eingebettet. Dabei zeigt sich, dass z. B. die iberischen Siedlungen in Ullastret offenbar ursprünglich an der Küste lagen und in Folge der Verlandung der Bucht an Bedeutung verloren.
Ein ausführliches Kapitel widmet sich der griechischen Siedlung Emporion und ihrem Territorium. Hier können die spektakulärsten Ergebnisse der Arbeit formuliert werden: Das bereits angesprochene, rekonstruierte griechische wie auch römische Kataster des Territoriums der Siedlung kann von Marzoli als nicht haltbar zurückgewiesen werden, da der Boden, auf dem diese Einteilungen stattgefunden haben sollen, in der griechisch-römischen Antike nachweislich noch im Meer lag (216-220). Die methodische Kritik der Autorin an der Rekonstruktion von Katastern anhand ungenauer und im Maßstab viel zu grober Karten sollte allen Limitations-Enthusiasten Grund zum Nachdenken liefern.
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit auswärtigen Einflüssen der mediterranen wie 'kontinentalen' Importe in kultureller wie ökonomischer Hinsicht sowie mit den ökologischen Auswirkungen der in eigenen Unterkapiteln beschriebenen Elemente der regionalen Wirtschaft. Dabei wird die punktuell durch paläobotanische Untersuchungen rekonstruierte natürliche Landschaft der vom Menschen durch Ackerbau und Viehzucht geformten Welt entgegengestellt.
In der abschließenden Zusammenfassung kann Marzoli überzeugend darlegen, wie stark die Siedlungsstruktur der Untersuchungsregion durch die natürliche Umwelt und deren Veränderungen bedingt war. Die großen Eingriffe in dieses Gebiet seit dem Mittelalter warnen zu Recht davor, allzu schnell das heutige Erscheinungsbild von Landschaften unkritisch als Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der antiken Lebenswelt zu nehmen.
Dem Textteil schließt sich ein geografisch geordneter, leider etwas klein gedruckter Katalog der vorrömischen und römischen Fundorte der Untersuchungsregion an, sowie ein Abkürzungsverzeichnis und eine ausführliche Bibliografie. Zusätzlich zu den schon im Text angebrachten Abbildungen folgt ein Tafelanhang mit teils farbigem Karten- und Bildmaterial.
Überraschend ist, dass bis auf eine kleine Ausschnittskarte (82) kein kartografischer Überblick über die in der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zum antiken Küstenverlauf in der Untersuchungsregion gegeben wird. Trotz dieses offensichtlichen Mangels muss die vorliegende Arbeit als sowohl in Methodik wie in Präsentation überaus gelungen bezeichnet werden. Dem Küstenforschungsprojekt der Abteilung Madrid des DAI sind daher zahlreiche Nachfolger zu wünschen.
Julia Hoffmann-Salz