Iris Schröder / Sabine Höhler (Hgg.): Welt-Räume. Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900 (= Campus Historische Studien; Bd. 39), Frankfurt/M.: Campus 2005, 323 S., ISBN 978-3-593-37750-6, EUR 34,90
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In ihrem Band über "Welt-Räume" versammeln Sabine Höhler und Iris Schröder einige sehr originelle Beiträge zur historischen Dimension der Globalisierung. Das Buch nähert sich dem Phänomen aus einer bisher eher selten eingenommenen Perspektive, was angesichts der Literaturfülle zum Thema positiv überrascht. Verstanden als Verdichtung ökonomischer, politischer und kultureller Interdependenzen, ist Globalisierung ein Prozess, dessen Verlaufsform analysiert und beschrieben werden kann. Ökonomen, Politologen oder Soziologen wie Ulrich Beck sehen am Endpunkt dieser Entwicklung eine spezifische Form von Globalität entstehen, die zugleich Strukturmerkmal und Voraussetzung für eine als "Weltgesellschaft" wahrgenommene neue soziale Formation ist. [1] Diese oder ähnliche Fassungen der Globalisierung als Gegenwartsbegriff sind von der Geschichtswissenschaft bereits mehrfach aufgenommen und in eine vornehmlich wirtschafts- und politikgeschichtliche Narration eingerückt worden. Wandel wird dabei im Verhältnis von Politik und Wirtschaft und bezüglich des kommunikativen Vernetzungsgrades zwischen geografisch getrennten Regionen gesucht. Dass auch kulturelle Aspekte von Bedeutung sind, wird zwar meist mitreflektiert, aber selten ausgeführt. [2]
Hier setzen Höhler und Schröder ein. Sie suchen nach Ansätzen für eine "Kulturgeschichte der Globalität" (12), wobei ihr kulturalistischer Blick auf Praktiken des Wissens fokussiert. Die Herausgeberinnen wollen "mit dem Konzept der Globalität der Dominanz des Ökonomischen in den Globalisierungsdebatten eine andere Perspektive gegenüberstellen und dafür plädieren, mithilfe der historischen Wissenschaftsforschung, eine neue Aufmerksamkeit für die kulturelle Verfasstheit von Globalität im 20. Jahrhundert zu entwickeln" (29). Dass dieser Ansatz den Globalisierungsprozess aus seiner Finalität löst und dagegen historisch je spezifische Formen der Welt-Vergegenwärtigung aufdeckt, ist die eine originelle Idee. Die Zweite besteht darin, den Wissensbestand der Ganzheit der Welt - mithin den Referenzrahmen all dessen, was als Globalisierung verhandelt wird - als Teil des Vorganges selbst zu behandeln.
Ein so umfassendes und anspruchsvolles Forschungsprogramm kann nur exemplarisch realisiert werden. Die Herausgeberinnen haben sich entschlossen, ihre Absicht an Beispielen aus dem 20. Jahrhundert zu erörtern und dabei hauptsächlich die Geschichte der europäischen Geografie zum Thema zu machen. Das inhaltliche Programm wird angereichert mit Studien zur Anthropologiegeschichte und zum umweltnaturwissenschaftlichen Welt-System-Diskurs. Die Beiträge sind in drei Blöcke gegliedert, die je einen inhaltlichen Schwerpunkt in Aussicht stellen.
Unter dem Aspekt des "Verkleinerns und Abbildens" rückt im ersten Teil die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in den Aufmerksamkeitsbereich. Exemplarisch verdeutlicht Matthias Dörries in seinem Beitrag über den Ausbruch des Vulkans Krakatau 1883, wie mittels der wissenschaftlichen Erfassung dieses Phänomens eine neue Erdtotale eingeübt wurde. Die Problematik der Repräsentation ist auch in Glenn Pennys Diskussion der Ausstellungspraxis wissenschaftlicher Museen leitendes Thema. Angesichts der stetig wachsenden Fülle ethnologischer Exponate mussten die deutschen Museen um 1900 ihr von Adolf Bastian geprägtes Konzept aufgeben, die Welt als Ganzes in ihrer Mannigfaltigkeit abbilden zu wollen. Stattdessen gewann nun das angloamerikanische Konzept Oberhand, das die Ausstellungsstücke in imperialem Gestus nach einer universellen Evolutionskette ordnete. Eine Miniatur besonderer Art stellt Iris Schröder vor, die dem Weltarchivprojekt Albert Kahns nachgeht. In einer Art Umkehrung der Mission Civilisatrice wollte der französische Bankier in der Zwischenkriegszeit den Europäern den Reichtum der menschlichen Kultur vor Augen führen und ließ für seine "Archives de la Planète" Fotografen und Filmer durch die ganze Welt streifen. Ute Wardenga skizziert die Theoriediskussion der Deutschen Länderkunde, in der um 1900 nach universellen Gliederungskategorien für die Erdoberfläche gesucht wurde. Ein aussichtsloses Vorhaben, wie das Scheitern von Alfred Hettners "Gesamtdarstellung der Welt in 50 Bänden" deutlich zeigt: Es fehlte die Systematik des Ansatzes, die einem solchen arbeitsteiligen Projekt Kohärenz verliehen hätte.
Der zweite Themenblock blickt auf Weltordnungsversuche geopolitischer Natur, die territoriale Grenzziehungen und politisch-soziale Identitätskategorien aufeinander beziehen wollten. Dieser Teil des sonst hervorragenden Sammelbandes überzeugt nicht ganz. Die drei Texte, die sich der europäischen Präsenz in chinesischen Städten (Michael Stoyke), den Territorialkonzepten der Weimarer Republik (Gruntram Herb) und den Europa-Konzepten deutscher Geografen (Hans-Dietrich Schultz) widmen, entfernen sich zu weit von der leitenden Fragestellung. Sie hätte gelautet, wie gerade durch das Ziehen von Grenzen die Einheit des Gegenstandes Welt hergestellt worden ist. Stattdessen beschränken sich die Autoren darauf, die Legitimität geopolitischer und topografischer Grenzziehungen kritisch zu hinterfragen.
Gut gelungen ist dagegen der dritte Themenblock, der das ausgehende 20. Jahrhundert in den Blick nimmt und nach Praktiken des Welt-Managements fragt. Mechtild Rössler setzt bei der UNESCO-Welterbekonvention von 1972 ein und folgt der Vergabepraxis des Titels "Weltkulturerbe" bis in die Gegenwart. Sie zeigt, dass die Institution, die ursprünglich zur Bewahrung vorgefundener Zustände geschaffen worden war, die zu schützenden Objekte einem beschleunigten Wandel aussetzte und sie zugleich politisch instrumentalisierbar und ökonomisch verwertbar machte. Gleichwohl sei in den teilweise heftigen Auseinandersetzungen, die auch die Begriffsdefinition des Kulturguts selbst betreffen, "eine Form der kulturellen Globalität entstanden, die auf der weltweiten Kommunikation über kulturelle Werte beruht" (254). Dem Management der natürlichen Ressourcen des Planeten widmen sich die zwei letzten Texte. Sabine Höhler geht der Vorstellung eines "Raumschiffs Erde" nach, die sich spätestens seit Richard Buckminster Fullers "Operating Manual for Spaceship Earth" von 1969 einer weltweiten Konjunktur erfreut. Überzeugend zeigt sie, wie der Planet beispielsweise in den Berechnungen des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums oder auch im "Man and Biosphere"-Programm der UNESCO modellhaft verdoppelt wurde. Es entstanden "Zweite Naturen" wie in dem Projekt "Biosphere 2", das ein physisches Surrogat für das planetarische Ökosystem in Aussicht stellt. An den Allmachtsfantasien, die von solchen Modellen beflügelt werden, übt Timothy Luke eine scharfe Kritik. Er untersucht die Forschungsrichtung der "Biocomplexity in the Environment"-Studien als ein Modus der Globalisierung und warnt vor den Machtwirkungen des ihnen zu Grunde liegenden Szientismus.
Dass ein Band über wissenschaftlich-technische Formen der Weltvergegenwärtigung die Geografie besonderes berücksichtigt, liegt nahe. Und auch der ausschließliche Blick auf Weltentwürfe aus dem euro-amerikanischen Raum ist der Dominanz der skizzierten Diskurse angemessen. Aber der Ansatz, den Schröder und Höhler in der substanziellen Einleitung entwickeln, und den sie im Schlusswort noch einmal synthetisieren, weist weit über eine kritische Geografiegeschichte hinaus. Er könnte überdies gewinnbringend auch zur Analyse außereuropäischer Formen von Globalität herangezogen werden. Es bleibt das zwiespältige Fazit, dass "Welt-Räume" als ein Buch mit ungeheurem Potenzial zu lesen ist, dessen volle Realisierung künftigen Publikationen vorbehalten bleibt.
Anmerkungen:
[1] Ulrich Beck: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten auf Globalisierung, Edition Zweite Moderne, Frankfurt am Main 1999.
[2] Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson: Geschichte der Globalisierung: Dimensionen, Prozesse, Epochen, München 2003.
Daniel Speich