Ebbe Nyborg / Hannemarie Ravn Jensen / Søren Kaspersen (eds.): Romanesque Art in Scandinavia (= Hafnia. Copenhagen Papers in the History of Art; No. 12), Copenhagen: Copenhagen University 2003, 208 S., ISBN 978-87-91444-06-7
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Anton Legner: Kölner Heilige und Heiligtümer. Ein Jahrtausend europäischer Reliquienkultur, Köln: Greven-Verlag 2003
Bernd Carqué / Hedwig Röckelein (Hgg.): Das Hochaltarretabel der St. Jacobi-Kirche in Göttingen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005
Uwe Albrecht (Hg.): Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur in Schleswig Holstein. 1. Hansestadt Lübeck, St. Annen-Museum, Kiel: Verlag Ludwig 2005
Der Band geht auf eine Tagung von 1987 zurück, deren Publikation sich außergewöhnlich lange hinzog. Auch wenn in einigen Punkten der neueste Stand der Forschung nicht mehr eingearbeitet werden konnte, enthält dieser Band einige beachtenswerte Beiträge, die den Reichtum und die Vielfalt der mittelalterlichen Kunst in Skandinavien und deren Bedeutung für das Verständnis der mitteleuropäischen Kunst vor Augen führen. Die Aufsätze, deren Palette von der Architektur über die Wandmalerei und Skulptur bis zum Bronzeguss reicht, thematisieren wiederholt Fragen, die einerseits das Nebeneinander von lokaler Produktion und Import betreffen und andererseits die künstlerischen Kontakte insbesondere mit England, Frankreich und Deutschland differenzierter ausleuchten.
Hans-Emil Lidén (19-27) stellt beispielsweise die Kirchenbauten des 12. Jahrhunderts in Bergen vor, einer damals aufblühenden Handels- und Bischofsstadt mit direkten Kontakten nach England und auf den Kontinent bis in das Rheinland. Diese Beziehungen spiegeln sich auch in den Kirchenbauten wieder, von denen in diesem Zeitraum allein 15 errichtet wurden. Davon zeugen neben der Marienkirche aber nur noch wenige Architekturfragmente.
Lidén weist an der Michaelskirche von Munkeliv eine lombardisch geprägte Werkstatt nach, wie sie auch für Speyer und Lund zu belegen ist. Munkeliv scheint im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts errichtet worden zu sein und damit etwa parallel zu den entsprechenden Bauteilen am Dom zu Lund, die in der jüngeren Forschung ebenfalls in diese Zeit datiert werden. Ausgehend von Speyer, das Lidén als "radiation centre of Classical impulses" nördlich der Alpen einstuft, könnten lombardische Formen somit auf verschiedenen Wegen nach Skandinavien gelangt sein. Angesichts der Bedeutung der Handelsstadt Bergen im 12. Jahrhundert erscheint dieser Gedanke zwar durchaus verlockend, doch ist dies angesichts der fragmentarischen Überlieferungslage nicht mehr eindeutig zu beantworten. Zudem bleibt zu diskutieren, ob man die Verbreitung lombardischer Bauformen allein auf Speyer zurückführen kann.
Dass das Auftreten norditalienischer Bauformen kein isoliert zu sehender Vorgang ist, legt Søren Kaspersen mit seinem Beitrag über die Ausmalung der Kirche von Vä in Schonen nahe. Vermutete man bisher eine Stiftung König Waldemars I. (1157-82) und seiner Frau Sofia, hält Kaspersen auch eine frühere Entstehung im Kontext der Errichtung des Kirchenbaus im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts für möglich.
Der Autor ordnet der Werkstatt von Vä weitere Ausmalungen vor allem in Seeland zu. Eher versteckt findet man dort einen weiteren Hinweis auf eine frühe Entstehung der Malereien: In der Kirche von Gundsømagle (Seeland) konnte der Chor dendrochronologisch in das beginnende 12. Jahrhundert datiert werden. Für die stark byzantinisch geprägt Malereien bringt der Autor einen aus dem südlichen Europa stammenden Meister ins Spiel. An dieser Stelle hätte man sich eine Diskussion im Zusammenhang mit den womöglich parallel arbeitenden Bauleuten am Dom zu Lund gewünscht. Gab es einen größeren Kontext dieser südlichen Einflüsse - so fragt man sich -, die über die Architektur und Bauskulptur hinausreichte?
Auch der Beitrag von Regine Marth (43-57) über eine Gruppe von 22 Bronzekreuzen, die sich an einen byzantinischen Typus anlehnen und ab zirka 1120 vermutlich in Lund entstanden, ergänzt diesen Aspekt. Alle Beispiele sind in der Form eines Medaillonkreuzes gebildet und weisen vegetabile Erweiterungen auf. Bis auf eine Ausnahme ist das Bild des Gekreuzigten eingraviert.
Nimmt man die drei Beiträge zusammen, entsteht ein durchaus breit gefächertes Bild der skandinavischen Kunst in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als es dort einen enormen Aufschwung gab. Zeichen hierfür sind die Erhebung Lunds zum Erzbistum im Jahr 1104, der nachfolgende Domneubau und die Errichtung zahlloser Steinkirchen im südlichen Skandinavien, die alle ausgestattet werden mussten. Auf welche Weise lombardisch und byzantinisch beeinflusste Kunst ihren Weg nach Skandinavien fand, bedarf weiterer Forschung unter einem die Kunstgattungen übergreifenden Blickwinkel.
Die skandinavischen Handelszentren hatten - begünstigt durch ihre Küstenlage - weit reichende Handelskontakte, die sich auch in den Kunstwerken widerspiegeln. Dies wird besonders in dem Beitrag von Hiltrud Westermann-Angerhausen (79-95) zu den Rauchfässern deutlich. Hier wird auch klar, welch überragende Rolle die Einbeziehung der skandinavischen Objekte für die Beurteilung der mitteleuropäischen Produktion einnimmt, denn allein die Hälfte der heute bekannten Weihrauchfässer ist in Skandinavien zu lokalisieren. Westermann-Angerhausen stellt unter anderem eine Gruppe von Rauchfässern vor, von denen sich sieben in Schweden und Norwegen erhalten haben. Ähnlichkeiten in der Ornamentik mit dem Kreuzesfuß von St.-Omer machen eine Lokalisierung der Werkstatt im Maasgebiet (Lüttich?) wahrscheinlich. Parallel dazu kann Westermann-Angerhausen auch mehrere Gruppen herausarbeiten, die aus regional arbeitenden Werkstätten hervorgingen. Oft griff man dort auf importierte Vorbilder zurück und imitierte diese zum Teil über einen längeren Zeitraum hinweg. Die lokale Produktion war weit umfangreicher, als dies in der älteren Forschung vermutet wurde. Auf diese Weise revidiert die Autorin ältere Vorstellungen, wonach die große Mehrzahl der mittelalterlichen Weihrauchfässer aus Deutschland kam.
Große Beachtung verdient der Beitrag von Ebbe Nyborg und Verner Thomsen über die ehemalige Triumphkreuzgruppe im Dom zu Roskilde von zirka 1220/30, die einen wichtigen Platz in der Geschichte der mittelalterlichen Skulptur verdient, auch wenn sich nur noch der Kopf des Gekreuzigten und ein Relief der drei Frauen am Grabe - beide im Nationalmuseum Kopenhagen - erhalten haben. Letzteres kann Nyborg nun überzeugend der Triumphkreuzgruppe zuordnen. Zudem gelingt es dem Autor, auf der Basis älterer Schriftquellen die bemerkenswerte Ikonografie des Ensembles zu rekonstruieren. Der Gekreuzigte wurde neben Maria und Johannes von zwei Seraphim mit sechs goldenen Flügeln flankiert. Damit gehört Roskilde zusammen mit der ebenfalls verlorenen Triumphkreuzgruppe in der Braunschweiger Stiftskirche St. Blasius und jener im Halberstädter Dom zu einem Typus, dessen Ursprünge man im französischen oder anglo-normannischen Bereich vermutet.
Nyborg verweist hier auf enge Kontakte der Bischöfe von Roskilde nach Frankreich. Für zwei von ihnen kann ein Studium in Paris belegt werden, und auch bei der Heirat von Philippe Auguste mit der dänischen Prinzessin Ingeborg waren sie involviert. Wenig überraschend nimmt der Neubau des Domes in Roskilde um 1200 direkt auf französische Architektur Bezug. Insofern liegt es nahe, auch die prägenden Muster für die Roskilder Triumphkreuzgruppe dort zu suchen, auch wenn man hierfür kein direktes Vorbild mehr benennen kann.
Für den Gekreuzigten ist die Frage der Einordnung besonders schwierig, hat sich doch nur noch der Kopf erhalten. Nyborg kann aber mit guten Gründen weitere Beispiele aus Dänemark anführen, die in der Gestaltung des Kopfes so große Ähnlichkeiten zeigen, dass man sie mit Roskilde in Verbindung bringen kann. Herausragend ist das Walrosszahn-Kruzifix in Herlufsholm, die größte und eine der bedeutendsten Elfenbeinarbeiten des Mittelalters, deren Zuordnung und Datierung zwischen Frankreich (1. Drittel 13. Jahrhunderts) und England (Mitte 13. Jahrhundert) schwankt. Ähnelt das Werk in der Gestaltung seiner Falten eher den englischen Werken von ca. 1240/50, spricht die Verbindung mit Roskilde für eine frühere Datierung.
Gerade das Beispiel des einzigartigen Kruzifixes in Herlufsholm zeigt eindrücklich, dass der Blick auf Skandinavien wichtige Erkenntnisse über die Kunst Mitteleuropas liefern kann. Der vorliegende Band gibt hier zahlreiche wertvolle Anstöße.
Gerhard Lutz