Torsten Kelp: Die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Konstituante (1789-1791) (= Schriften zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte; Bd. 4), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2004, 416 S., ISBN 978-3-8300-1567-3, EUR 110,00
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Die erste französische Nationalversammlung stand einem immensen Aufgabenberg gegenüber, galt es doch zum einem eine Verfassung zu schaffen und sie gegen den widerstrebenden König und konservative Kräfte durchzusetzen, und zum anderen mussten die Parlamentarier auf die schwere wirtschaftliche und finanzielle Krise reagieren, obwohl es doch viele von ihnen vorgezogen hätten, sich auf die drängenden politischen Aufgaben zu konzentrieren. Die vorliegende, an der Berliner TU entstandene Dissertation widmet sich den finanz- und wirtschaftspolitischen Diskussionen und Modellen, welche in der Nationalversammlung erörtert wurden. Dabei stützt sich die Arbeit von Thomas Kelp vor allem auf die zahlreich publizierten zeitgenössischen Schriften, Pamphlete und Reden sowie die umfangreichen Arbeiten zur Finanzpolitik, die während der Dritten Republik zu dieser Problematik entstanden sind. Die Sicht auf die Politik der Nationalversammlung war lange von Historikern geprägt, die ihre Standardwerke an der Wende zum 20. Jahrhundert vorlegten; verwiesen sei hier lediglich auf R233 én233 é Stourm, Charles Gomel und Marcel Marion. Ganz im Sinne der liberalen Tradition bewerteten sie die Schaffung eines nationalen Binnenmarktes, die Abwicklung von Handelsmonopolen und die Auflösung der Zünfte zu Beginn der Revolution als bahnbrechende Wirtschaftsreformen, wobei man aber auch nicht mit Kritik sparte. So sei der Bevölkerung unrealistischerweise die Tilgung der Staatsschuld versprochen und wichtige Zeit mit zu langwierigen Diskussionen vertändelt worden, und zudem seien die Revolutionäre zu nachgiebig bei der Eintreibung von Steuern gewesen. Dem hatte Georges Lefebvre schon 1928 entgegen gehalten, dass die Regierung wohl schlecht auf das Militär hätte zurückgreifen können, um die ausstehenden Steuern einzutreiben, ohne sich politisch völlig zu diskreditieren. Kelp geht nun in seiner Monographie davon aus, dass die Spannweite der von der constituante diskutierten politischen und ökonomischen Ziele weitaus größer war als bisher angenommen, und genau dies intendiert er minutiös nachzuzeichnen. Er geht den Fragen nach, für welche Aufgaben das Parlament sich als kompetent erachtete. Wer übernahm ab welchem Zeitpunkt die Gesetzestätigkeit auf dem Gebiet der parlamentarischen Finanz- und Wirtschaftspolitik? Wie gestaltete sich das Verhältnis zwischen der Nationalversammlung und dem Finanzminister Jacques Necker, dem man zunächst noch Vertrauen entgegenbrachte, dessen Pläne aber zusehends nicht mehr einfach abgesegnet wurden. So kann Kelp darlegen, dass das Parlament seit Beginn des Jahres 1790 eine eigene Finanz- und Steuerpolitik betrieb, ohne sich mit Necker abzustimmen. An heutige politische Problemlösungsversuche erinnert das Verfahren, Ausschüsse und Gremien zu bilden, denen es dann beispielsweise oblag zu klären, wie hoch die Staatsschuld eigentlich zu beziffern sei.
Nach der Einleitung, die schon die wichtigsten Ergebnisse von Kelps Arbeit vorwegnimmt - was bei diesem Buch kein Nachteil ist, da eine zusammenfassende Bilanz am Ende fehlt -, widmet der Autor das erste umfangreiche Kapitel Fragen nach der wirtschaftlichen und finanziellen Situation Frankreichs am Vorabend und während der ersten Phase der Revolution. Ausführlich werden verschiedene Positionen zu grundlegenden Steuerreformen vorgestellt. Zunehmend entwickeln sich die Diskussionen zum politischen Machtkampf, die sich in aller Deutlichkeit in den Auseinandersetzungen über die Finanzkrise spiegeln.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Stabilisierungspolitik unter dem Einfluss Neckers. War er zuvor mit seiner Finanzpolitik am Widerstand der Hofpartei gescheitert, so hoffte der Minister zu Beginn der Revolution bei seinen Maßnahmen vom Parlament unterstützt zu werden. In dieser Phase überließ die Nationalversammlung die Finanzpolitik noch dem Kabinett, gemäß der Maxime, erst verabschiedet man eine Verfassung und widmet sich dann der Finanzreform. Diese eher kooperative Phase der Finanzpolitik steht allerdings ganz im Schatten des Verfassungskonfliktes. Zudem verschärfte die Aufhebung der alten Steuern die finanzielle Krise seit 1790. Das Parlament genehmigte Necker eine weitere Anleihe, um Chaos zu vermeiden, die aber nicht gezeichnet wurde. In dieser verfahrenen Situation wurde im Parlament erstmals erörtert, die Anleihe mit den säkularisierten Kirchengütern als hypothekarische Sicherheit attraktiv zu gestalten. Weiterhin wurde in diesem Zeitraum intensiv über den Getreidehandel und die Versorgungsfrage diskutiert. Da sich der überwiegende Teil der Bevölkerung hauptsächlich von Brot ernährte, kam diesem Thema eine enorme Bedeutung zu. In diesen Debatten standen sich auf der einen Seite Vertreter der Freihandelstheorie und auf der anderen Seite die Abgeordneten gegenüber, die darauf hinwiesen, dass der Freihandel die aktuelle Versorgungskrise und die Verteilungskämpfe nur weiter anheizen würde. So wurde zwar der Freihandel eingeführt, zugleich aber ein Exportverbot erlassen und der Marktzwang in der Ile de France ausgeübt.
Im folgenden Kapitel beschreibt Kelp detailliert den Weg zur Papiergeldwährung und die auch zu dieser Problematik heftig tobende Diskussion in der Nationalversammlung. Für die Papiergeldwährung sprachen ökonomische und politische Argumente. Münzgeld war nicht in ausreichender Menge vorhanden, der Wert der Anleihescheine sank, sie wurden mit Abschlägen von 5-10 % gehandelt. Letztendlich entschied man sich nach langem Hin und Her, Assignaten im Wert von 400 Millionen Livres auszugeben, also regelrechte Schatzanweisungen mit dem üblichen Zinssatz von 5 %, die aber nicht in Bargeld, sondern in enteignetem Kirchenbesitz rückzahlbar waren. Man ging davon aus, dass die Assignaten lediglich ein Notgeld waren, das mit dem Verkauf der säkularisierten Kirchengüter - so rasch wie möglich - wieder eingezogen werden würde. Die äußerst kontrovers geführte Debatte um die Nationalgüter, vor allem über die Modalitäten der Veräußerungen und die Papiergeldmenge führte zur Spaltung der so genannten Patrioten in Jakobiner, mit mehrheitlich bürgerlichen Abgeordneten aus der Provinz, und in die Société de 1789, in der vor allem Adlige, liberale Abgeordnete und das Gros der Pariser Abgeordneten saßen. Erbitterte Auseinandersetzungen wurden darüber geführt, ob eine möglichst breite Streuung der Güter unter ärmeren bäuerlichen Schichten vorrangig sei oder die Tilgung der Staatsschuld und damit verbunden der Aufbau eines größeres Vertrauens in den Kapitalmarkt.
Das letzte thematische Kapitel trägt die Überschrift das "Streben nach einem Abschluß der Revolution" (281). Hier werden die Diskussionen über die Neuorganisation des Steuersystems referiert. Die Nationalversammlung betrieb die Auflösung der ferme g233 é n233 é rale, also des Verpachtungssystems, und strebte eine grundlegende Verwaltungsreform mit neuen Steuern an. Gemäß den liberalen Prinzipien des freien Marktes wurden die Akzisen - also die Stadtzölle - abgeschafft, was zu erneuten Unruhen führte, da sich die Munizipalitäten über Nacht ihrer wichtigsten Einnahmequelle beraubt sahen und nicht mehr in der Lage waren, Gelder für dringend benötigte sozialpolitische Maßnahmen aufzubringen. Weiterhin geht Kelp in diesem Kapitel auf die Zwangsmaßnahmen gegen die Emigranten ein. Den geflohenen Aristokraten wurde im Parlament vorgeworfen, sie beabsichtigten, durch Kapitalflucht das Land zu ruinieren. Wieder entbrannte ein heftiger Streit darüber, ob man dieses Verhalten als Landesverrat bestrafen oder das Prinzip der Freizügigkeit - ein elementares Freiheitsrecht - auch für die emigrierten Adligen akzeptieren sollte. Das letzte Kapitel bietet einen kurzen Ausblick, in dem Kelp nochmals die Haltung der Jakobiner in der Emigrantenfrage skizziert, die lautstark wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Emigranten forderten, welche sie zu Sündenböcken einer anhaltenden wirtschaftlichen Misere machten. Die Folgen der Kapitalflucht fürchteten sie mehr als das militärische Potential der Emigranten.
Wer sich ausführlich in deutscher Sprache über die finanzpolitischen Diskussionen der Nationalversammlung informieren will, der greife zu dem vorgestellten Buch, das nichts grundsätzlich Neues bietet. Die Lektüre gestaltet sich leider mühsam. Zum einen aufgrund der sehr detaillierten Schilderung, zum anderen tauchen immer wieder unvermittelt Akteure auf, die gleich wieder verschwinden. Dabei erfährt man generell zu wenig über den biographischen und politischen Hintergrund der Diskussionsteilnehmer. Ein Register wäre hier sehr hilfreich gewesen. Viele finanz- und steuertechnische Begriffe (genannt sei hier nur die gabelle) werden völlig unvermittelt ohne kurze Erläuterung eingeführt. Eine historische Kontextualisierung fehlt weitgehend, auch auf methodische oder theoretische Überlegungen wurde verzichtet. Ärgerlich sind zudem zahlreiche Formfehler. Und ist man bei kleineren Verlagen bezüglich des Druckbildes ohnehin nicht verwöhnt, so verblüfft es dann doch, mehrfach Satzspiegelfehler zu finden. Sätze, die am unteren Rand einer rechten Seite abgedruckt werden, findet man auf der nächsten Seite am linken oberen Rand ganz oder halb wiederholt wieder (91/92, 141/142, 167/168 und 175/176).
Gabriele B. Clemens