Rezension über:

Hans-Peter Ullmann: Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München: C.H.Beck 2005, 270 S., ISBN 978-3-406-51135-6, EUR 14,90
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Rezension von:
Mark Spoerer
Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Hohenheim
Redaktionelle Betreuung:
Michael C. Schneider
Empfohlene Zitierweise:
Mark Spoerer: Rezension von: Hans-Peter Ullmann: Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 1 [15.01.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/01/8322.html


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Hans-Peter Ullmann: Der deutsche Steuerstaat

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Angesichts der seit Jahren anhaltenden Diskussion über die Reform des deutschen Steuersystems ist es erstaunlich, dass erst jetzt eine umfassende historische Darstellung der öffentlichen Finanzen in Deutschland erschienen ist, die auch das 20. Jahrhundert umfasst. Die letzte bis an die Gegenwart heranreichende steuerhistorische Darstellung hat niemand anders als Adolph Wagner verfasst - in zwei Bänden 1899 und 1901. Selbst die verdienstvolle, im Oldenbourg-Verlag erscheinende "Enzyklopädie deutscher Geschichte", die doch eigentlich dem Anspruch nach auch die Entwicklung der öffentlichen Finanzen Deutschlands abdecken müsste, hat keinen entsprechenden Band vorgesehen. Hans-Peter Ullmann stößt also in eine echte Marktlücke - und dürfte sie nachhaltig besetzt halten, denn seine Darstellung überzeugt durchweg.

Ullmann geht es vor allem um die Einbettung der öffentlichen Finanzen in den jeweiligen politischen Kontext. Als (eher lockeren) theoretischen Bezugsrahmen hat er sich daher die Finanzsoziologie gewählt. Dies ist angesichts des zu erwartenden Leserkreises sicherlich sinnvoll. Nicht überzeugend ist allerdings die Begründung, weshalb Ullmann finanzwissenschaftliche Konzepte zur Strukturierung des Stoffes ablehnt. Wenn er schreibt, diese lösten sich zunehmend aus den politischen, sozialen und kulturellen Bezügen und somit letztlich auch aus der historischen Dimension, so scheint er die vor allem mit dem Namen des in Harvard lehrenden Ökonomen Alberto Alesina verknüpfte Wiederhinwendung an gerade jene Felder nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Diese neueren Ansätze hätten es zudem erlaubt, die deutsche Entwicklung besser mit der anderer Staaten zu vergleichen. Doch dies war nicht Ullmanns Thema und wäre auch sicherlich nicht im Sinne des Verlags gewesen.

Ullmann gliedert seine Darstellung geradezu klassisch in fünf Perioden: vor der Reichsgründung, Kaiserreich, Weimarer Republik, 'Drittes Reich', Bundesrepublik (einschließlich eines Abschnitts über die Staatsfinanzen der DDR). In den entsprechenden Kapiteln handelt er jeweils die Ausgaben- und Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte ab, wobei er sich erfreulicherweise auch bemüht, die oft vernachlässigten Kommunalfinanzen mit einzubeziehen. Ullmanns besonderes Augenmerk gilt zudem dem Verhältnis von Bund / Reich, Länder und Kommunen, in denen sich zentrale verfassungspolitische Setzungen widerspiegelten.

Besonders hervorzuheben ist Ullmanns Blick für das Wesentliche. Weder finden sich persönliche Steckenpferde, noch fallen größere Lücken auf. Die Kehrseite dieser Solidität ist, dass angesichts der trockenen Materie zuweilen eine gewisse Langeweile beim Lesen droht, der Ullmann jedoch mit zwei Mitteln begegnet. Zum einen ist die Darstellung flüssig geschrieben; zum anderen hat er zwei Abschnitte eingebaut, die man als "Bonbons" bezeichnen könnte, wäre das Thema speziell des Zweiten nicht so unerfreulich. Sehr interessant sind erstens seine Ausführungen über "Steuerprotest und Steuerhinterziehung" im 18. und vor allem 19. Jahrhundert. In der Reihung dieser beiden Substantive steckt schon die halbe Geschichte. Steuerwiderstand fand nämlich im Beginn des Betrachtungszeitraums häufig (auch) kollektiv statt. In dem Maße jedoch, wie die fiskalischen Aufdeckungs- und Zugriffsrechte der steuerlichen Veranlagung zunehmend in die privaten Angelegenheiten der Zensiten reichten, und diese Rechte zudem in immer stärkerem Maße Resultat demokratischer Aushandlungsprozesse wurden und somit an Legitimität gewannen, individualisierte sich der Steuerwiderstand. Nun wurde nicht mehr offen protestiert, sondern nur noch hinterzogen. Zweitens widmet Ullmann dem Thema "Fiskus und Juden", in dem er die Mitwirkung der Steuerbehörden an der Ausplünderung der deutschen und österreichischen Juden dokumentiert, einen ganzen Abschnitt. Hier wie auch anderswo zeigt sich, dass Ullmann auf dem Stand der historischen Forschung ist.

Dem Charakter einer Überblicksdarstellung entsprechend hat Ullmann allerdings darauf verzichtet, Diskussionen und Kontroversen der Forschung wiederzugeben. Etwas überraschend ist der vollständige Verzicht auf Tabellen und Grafiken, mit dem Ullmann sich (bzw. der Verlag ihm?) einige ermüdende Aufzählungen von Zahlen erspart hätte. Überhaupt der Verlag: Gerade weil Ullmanns Buch die einzige Überblicksdarstellung zum Thema ist, wird es der typische Leser zur Hand nehmen, um sich rasch über eine spezielle Frage zu informieren. Wenn jedoch ein Buch mit 222 Seiten Text in nur 26 Abschnitte unterteilt ist, so bedarf es eines Registers. Was bei angelsächsischen Wissenschaftsverlagen seit Jahrzehnten Standard ist, enthält der Beck-Verlag den Käufern dieses Buchs vor, genauso übrigens wie ein Literaturverzeichnis. Schade, dass es dafür keine Strafsteuer gibt. Für eine etwaige zweite Auflage könnte der Verlag jedenfalls den Gebrauchswert von Ullmanns rundum gelungener Darstellung mit nur geringem Aufwand noch beträchtlich erhöhen.

Mark Spoerer