Horst Möller / Alexandr O. Tschubarjan (Hgg.): Die Politik der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) auf dem Gebiet von Kultur, Wissenschaft und Bildung 1945-1949. Ziele, Methoden, Ergebnisse. Dokumente aus russischen Archiven (= Texte und Materialien zur Zeitgeschichte; Bd. 15), München: K. G. Saur 2005, 468 S., ISBN 978-3-598-11733-6, EUR 98,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Marcus Böick: Die Treuhand. Idee - Praxis - Erfahrung. 1990-1994, Göttingen: Wallstein 2018
Mark Schiefer / Martin Stief (Bearb.): Die DDR im Blick der Stasi 1989. Die geheimen Berichte an die SED-Führung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2019
Ines Weber: Sozialismus in der DDR. Alternative Gesellschaftskonzepte von Robert Havemann und Rudolf Bahro, Berlin: Ch. Links Verlag 2015
Horst Möller / Alexandr O. Tschubarjan (Hgg.): SMAD-Handbuch. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland 1945-1949, München: Oldenbourg 2009
Horst Möller / Claus Scharf / Wassili Dudarew u.a. (Hgg.): Deutschland - Russland. Stationen gemeinsamer Geschichte, Orte der Erinnerung. Band 1: Das 18. Jahrhundert, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018
Horst Möller / Ilse Dorothee Pautsch / Gregor Schöllgen / Hermann Wenkter / Andreas Wirsching (Hgg.): Die Einheit. Das Auswärtige Amt, das DDR-Außenministerium und der Zwei-plus-Vier-Prozess. Bearb. v. Heike Amos und Tim Geiger, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015
Der vorliegende Band ist ein Produkt des vom Russischen Staatlichen Archivdienst und dem Bundesarchiv initiierten Pilotprojekts "Erschließung, Reproduktion und Erforschung der Akten der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949". Die Edition präsentiert 150 Dokumente aus SMAD-Beständen im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), im Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation (AWP RF) sowie des Russischen Staatarchivs für soziale und politische Geschichte (RGASPI) über die Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in den Jahren von 1945 bis 1949. Damit steht der Forschung zur Vorgeschichte der DDR eine überaus wertvolle Quellenbasis zur Verfügung, die noch immer strittige Fragen nach dem Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung, Fragen nach dem tatsächlichen Grad und der Reichweite der Sowjetisierung sowie dem totalitären Charakter der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beantworten helfen kann.
Überwiegend werden so genannte Geschäftsakten, Vollzugs- und Kontrollberichte unterschiedlicher hierarchischer Handlungsebenen der Besatzungsverwaltung abgedruckt. Es handelt sich dabei vor allem um Überlieferungen zentraler kulturpolitischer Instanzen der SMAD sowie der Militärräte der Besatzungstruppen und der SMAD auf zentraler und Landesebene. Die Herausgeber betonen einerseits ihr Anliegen einer repräsentativen Auswahl, weisen andererseits in ihren editorischen Vorbemerkungen jedoch auf die unabdingbare Quellenkritik hin: Die dokumentierten Primärquellen aus russischen Archiven weisen massive Spuren von Zensur, Selbstzensur, politischer Korrektheit und einer "verfahrensspezifischen Leistungsantizipation" auf. Dementsprechend kann die Edition zwar das ganze Spektrum der Kulturpolitik der SMAD aufzeigen, die Rekonstruktion konkreter Entscheidungs- und Handlungsabläufe bleibt jedoch schwierig, zumal politische Führungsbeschlüsse, Konzeptions- und Planungspapiere nur in minimalem Umfang erschlossen werden konnten.
Die Dokumente sind in drei Abschnitte gegliedert: Kontrolle und Lenkung; Bildung und Wissenschaft; Kulturpropaganda. Innerhalb der drei Gliederungsabschnitte werden die Dokumente chronologisch angeordnet. Während im ersten Teil der Edition Primärquellen zu den kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen sowjetische Kulturpolitik in Deutschland umgesetzt wurde, im Vordergrund stehen, konzentriert sich der zweite Teil auf zentrale Momente im kulturellen Austausch zwischen der UdSSR und Deutschland nach dem Krieg. Tatsächlich gelingt es der Edition, den Blick mehr auf wirklich kulturelle als auf politische Aspekte der deutsch-russischen Beziehungsgeschichte zu richten. Eine Zeittafel zur Kulturpolitik der SMAD, ein Namens- und Ortsregister erleichtern die Handhabbarkeit des Bandes für den Leser.
Den Dokumenten vorangestellt sind die jeweiligen Einleitungen der zwei verantwortlichen Bearbeiter Natalja P. Timofejewa und Jan Foitzik. Die russische Historikerin Timofejewa umreißt die Intentionen der sowjetischen Besatzungsmacht in den verschiedenen Sektoren der Kulturpolitik: Kunst, Theater, Presse, Schule, Hochschule und Wissenschaft, kulturelle Propaganda. Den Grundzug sowjetischer Besatzungspolitik auf kulturellem Gebiet definiert sie als "Werbung" für ein attraktives Bild von der Sowjetunion in der ostdeutschen Bevölkerung: "Ziel war es, die Bevölkerung Ostdeutschlands für die Unterstützung der SMAD zu motivieren. Die Information und die Einwirkung auf das Bewusstsein der Deutschen sollten mit allen Mitteln der politischen Propaganda und Agitation erfolgen" (13). In dieser Diktion werden sowjetische Herrschaftskonzepte kaum thematisiert, wie auch der Erklärungsansatz der Sowjetisierung implizit zurückgewiesen wird. Die Einleitung Timofejewas veranschaulicht noch einmal ihre Ansicht, wonach in der Nachkriegszeit ein gesamtdeutscher Konsens der Kulturschaffenden ursächlich nicht an der Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern an der kompromisslosen Durchsetzung der kulturellen und kulturpolitischen Hegemonie der KPD bzw. SED gescheitert sei.
Foitzik skizziert in seiner Einleitung die Kulturpolitik der SMAD, die er als integralen Bestandteil der Gesellschafts- und Ordnungspolitik interpretiert und die von der Besatzungsmacht dementsprechend auch nicht isoliert verfolgt wurde. Ziel dieser Ordnungspolitik der SMAD sei die Festschreibung des im Rahmen der Besatzungsdiktatur entstandenen Organisations- und Informationsmonopols und damit die Transformation der Besatzungsdiktatur zu einer politischen Herrschaft totalitären Typs gewesen. Vor dem Hintergrund besatzungsrechtlicher Rahmensetzungen betont er die "instrumentelle Funktion von Kultur als politisches Disziplinierungs- und soziales Absorptionsmittel zwischen der diktatorischen Parteienherrschaft und elementaren demokratischen Regungen der Gesellschaft" (42).
Mit dieser Interpretation, die sich auf die entsprechenden Quellen stützen kann, steht Foitzik in einem nicht zu übersehenden Widerspruch zu den Auslegungen Timofejewas. Für Foitzik befand sich der gesamte Kulturbereich in der SBZ spätestens seit 1947 in einer völligen Abhängigkeit von der zentralen und lokalen SMAD-Verwaltung. Das hatte zur Folge, dass der ostdeutsche Kulturbereich sich auf Grund seiner instrumentellen Ausrichtung vom weitgehend autonomen kulturellen Leben in den westlichen Zonen nicht nur grundlegend unterschied, sondern auch gezielt von der nationalkulturellen Kommunikation isoliert wurde. Damit stellt er die Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in das Zentrum jener Vorgänge, die zu einschneidenden kulturellen Brüchen zwischen West und Ost führten.
Ungeachtet der begrenzten Aussagefähigkeit und Widersprüche der in der Edition präsentierten Archivalien wird das bisher vorherrschende Bild von einer in ihren Zielen, Methoden und Resultaten vollkommen homogenen Kulturpolitik der SMAD zumindest in Frage gestellt. Vielmehr wird in dem Vorgehen der sowjetischen Besatzungsmacht im Kulturbereich eine erhebliche strukturelle und funktionelle Auffächerung der Arbeitsabläufe sichtbar. Gleichwohl kann der hohe Grad an zentraler politischer Koordination, Konzentration und Kontrolle im Verwaltungshandeln der SMAD auf dem kulturpolitischen Sektor nicht ignoriert werden.
Was die Wirkung dieser äußerst verdienstvollen Edition angeht, so wird das vorgestellte Quellenmaterial die Fachdiskussion mehr anregen als endgültige Antworten liefern. Auch das jetzt präsentierte Aktenmaterial kann die noch immer umstrittenen Fragen nach Motiven, Intensität, Verlauf und Resultaten der Intentionen der Besatzungsmacht nicht abschließend klären. Zu hoffen ist aber, dass das vorgelegte Quellenmaterial eine Diskussion über die Grundrichtung der Kulturpolitik der SMAD und über die sowjetische Politik in der deutschen Frage insgesamt anregt, die über die Fachdiskussion im Kreis der Spezialisten sowjetischer Deutschlandpolitik hinausgeht. Die vorliegende Edition bietet in jedem Fall eine solide und methodisch überzeugende Basis dafür. Insofern wird der Band dem Anliegen, den Zugang zu entscheidenden Jahren sowjetischer Besatzungsherrschaft zu erleichtern, vollauf gerecht.
Andreas Malycha