Matthew D. Evenden: Fish versus Power. An Environmental History of the Fraser River (= Studies in Environment and History), Cambridge: Cambridge University Press 2004, xvii + 309 S., 5 tables, 3 fig., 7 photographs, 9 maps, ISBN 978-0-521-83099-7, GBP 40,00
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Unter den diversen Nutzungskonflikten an Flüssen ist der Konflikt zwischen Wasserkraft und Lachsfischerei besonders kompliziert, weil Lachse darauf angewiesen sind, vom Meer aus stromaufwärts in ihre Laichgründe zu ziehen. Blockiert ein Staudamm ihren Weg, ist ihnen jede Chance auf Reproduktion genommen. Bis heute gibt es keine technische Lösung, um in besonders lachsreichen Flüssen die Züge tausender Fische an Staudämmen vorbei in die Laichgebiete zu ermöglichen. Dennoch wird der weitaus größte Teil der Flüsse weltweit hydroelektrisch genutzt. [1] Am kanadischen Fraser River hingegen behielt der Lachs die Oberhand. Matthew Evenden, der an der University of British Columbia im Fachgebiet Historische Geografie arbeitet, fragt in seiner Dissertation nach den Gründen.
In seiner auf breiter Quellengrundlage erarbeiteten Analyse kommt der Autor zu dem Schluss, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg vor allem deshalb zu keiner Nutzung der Wasserkraft zur Stromgewinnung kam, weil die regionale Nachfrage für ein Projekt solcher Dimension nicht ausreichte. Die Privatwirtschaft hatte insbesondere im Gefolge der Weltwirtschaftskrise keine Veranlassung, in riskante Riesenprojekte zu investieren. Statt den Hauptstrom zu erschließen, baute sie an den Zubringerflüssen Staudämme kleineren Ausmaßes. Anders als in den USA gab es keinen New Deal, der staatlicherseits große Entwicklungsprojekte vorantrieb. Stattdessen lagen die Fronten der Debatte quer zu den föderalen Behördenebenen, sodass gerade die uneinheitlichen Positionen der Behörden den Ausgang des Nutzungskonflikts offen hielten. Auch in der Hochzeit des weltweiten Dammbaus, den Fünfzigerjahren, blieb der Fluss verschont, obwohl in British Columbia der Entwicklungsdruck während des Zweiten Weltkriegs und im Kontext des Kalten Krieges enorm gestiegen war: Mit dem Beginn des pazifischen Krieges und unter den Vorzeichen der Systemkonkurrenz rückte British Columbia in eine strategisch wichtige Position. Die Nutzung der riesigen brachliegenden Energiepotenziale wurde zur weltpolitischen Frage, und eine ehrgeizige Provinzregierung bemühte sich, in einem umfangreichen Entwicklungsprojekt am Nechako River der Aluminiumindustrie Energie und Absatzwege zu verschaffen. Für Evenden markiert dieser Zeitpunkt den Beginn der Debatte "Fish versus Power". Im Zuge der progressiven Stimmung geriet auch der Fraser River selbst wieder ins Visier der Planer, die dabei in Kauf nahmen, dass der Lachs "den Weg der Büffel gehen" müsse (16, 219 f.). Bereits zu diesem Zeitpunkt stießen solche Argumente jedoch auf den Widerstand einer transnationalen Interessenkoalition, der allerdings nicht ökologisch inspiriert war, sondern handfesten Fischereiinteressen folgte. Dabei dienten die Erfahrungen mit dem Niedergang der Fischbestände am vielfach gestauten Columbia River in den USA als Folie der Entwicklungsentscheidungen in British Columbia. [2] Wichtig für das Ergebnis des Nutzungskonflikts war außerdem, dass in den kritischen Entscheidungssituationen jeweils Entwicklungsalternativen vorhanden waren. Letztlich nahm ein kanadisch-amerikanischer Vertrag über die Nutzung des Columbia River im Jahr 1961 den Entwicklungsdruck vom Fraser River. British Columbia hatte somit keine harte Entweder-oder-Entscheidung zu treffen, sondern konnte für Lachs und Energie optieren. Trotz periodisch wiederkehrender Ausbaupläne ist der Fraser River bis heute ohne Damm geblieben. Seit 1997 verbietet ein Provinzgesetz eine Stauung seines Hauptlaufes.
Durch eine gelungene Kontextualisierung erhellt Evenden die Hintergründe dieser Entscheidungen und verfolgt dabei drei Schwerpunkte: Zum einen bindet er die Fish-versus-Power-Debatte an ihre materiellen Voraussetzungen zurück - die Verhältnisse der Energieversorgung und die Fischereiwirtschaft im Einzugsgebiet des Fraser River sowie naturräumliche Gegebenheiten. Zweitens arbeitet er unterschiedliche räumliche Bezüge der Debatten heraus, die von lokalen Ansprüchen auf flächendeckende Stromversorgung genauso bestimmt wurden wie von dem Interesse der USA, ihren Fanganteil an dem im Fraser River laichenden Lachs zu sichern. Als drittes Ziel strebt der Autor eine Verbindung von Umweltgeschichte und Wissenschaftsgeschichte an. In einem besonders ausführlichen Erzählstrang beschäftigt er sich damit, wie Fischbiologen und Wasserbauingenieure den Verlauf der Debatte, und die politischen Auseinandersetzungen wiederum die Wissenschaften prägten - bis hinein in die inhaltliche Schwerpunktbildung und die institutionellen Strukturen. Auch in diesem Zusammenhang achtet Evenden auf die transnationale Vernetzung der Forschungen sowie ihre Abhängigkeit vom kulturellen und sozialen Kontext. Darüber hinaus zeigt er, wie immer wieder zufällige Ereignisse den Erkenntnisfortschritt in bestimmte Richtungen lenkten. So lösten übereilte und unterfinanzierte Eisenbahnarbeiten zwischen 1911 und 1914 an einer Schlucht des Fraser River (Hells Gate) Erdrutsche aus, die den Zug der Lachse blockierten, noch bevor überhaupt Staudämme gebaut worden waren. Erst die durch diesen Vorfall ausgelösten wissenschaftlichen Untersuchungen bildeten den Erfahrungshintergrund der späteren Staudammdiskussionen und lieferten - parallel zu den Erkundungen möglicher Staudammstandorte durch die Planer - die notwendigen Informationen für die Vertretung der Fischereiinteressen.
Auch in diesem Erzählstrang verfolgt Evenden konsequent sein Narrativ - die gedankliche und tatsächliche Umgestaltung des Flusses durch diejenigen, die sich Einfluss auf ihn verschafften. In jedem Kapitel markiert Evenden einen Ort oder ein Ereignis, an dem er durch Rückblenden festmacht, wie sich die Bedeutung des Flusses im Spannungsfeld ideeller, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und ökologischer Einflüsse veränderte. Auf diese Weise wird er dem insbesondere in der nordamerikanischen Umweltgeschichte verfolgten Anspruch gerecht, den Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur historisches Gewicht zu verleihen. [3]
Da die Verlaufsgeschichte somit auf den Fluss bezogen ist, liegt eine Schwäche des Buches jedoch in der Darstellung der Akteure, die abgesehen von den Wissenschaftlern selten über längere Zeiträume hinweg verfolgt werden. Nach einer Einführung in die Strukturen der lachsverarbeitenden Industrie vor 1920 erhält der Leser beispielsweise nur noch vereinzelt Informationen über ihre Weiterentwicklung oder ihren Einfluss auf die Lachsvorkommen. Gerade in einer Studie, die sich mit der Abwesenheit von Eingriffen in das behandelte Fluss-System beschäftigt, stößt der strukturbetonte Ansatz auf Grenzen, weil der "Fluss der Bedeutungen" (4, 20, 51) ohne die Rückbindung an Akteure nicht auskommt. Angesichts des außergewöhnlichen Charakters der Anti-Staudamm-Koalition (272) hätte man gerne näher erfahren, wie sie ihre Positionen formte und vertrat. Auch geraten die Hinweise auf die progressive Stimmung in den Fünfzigerjahren zu pauschal. Eine stärkere Einordnung der Studie in übergeordnete Zusammenhänge, etwa die allgemeine Entwicklung British Columbias oder die Rolle des Staates bei der Förderung von Großprojekten, wäre wünschenswert gewesen. Hier liegt unerschlossenes Potenzial der Untersuchung.
Dennoch bleibt die Gesamtbewertung der Arbeit positiv, da sie nicht zuletzt Perspektiven für die Integration von politischer Ökonomie, Umwelt- und Ideengeschichte in die Darstellung von Entwicklung im 20. Jahrhundert eröffnet. Hervorzuheben ist abschließend die glänzende schriftstellerische Leistung. Es gelingt dem Autor überzeugend, die Komplexität seines Untersuchungsgegenstandes in eine stringente Erzählung zu überführen und über den gesamten Verlauf Spannung aufzubauen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. den Überblick bei Patrick McCully: Silenced Rivers. The Ecology and Politics of Large Dams, London / New Jersey 1996.
[2] Vgl. Richard White: The Organic Machine. The Remaking of the Columbia River, New York 1997.
[3] Auf den europäischen Kontext hat Marc Cioc diesen Ansatz übertragen in: The Rhine: An Eco-Biography, 1815-2000, Seattle / London 2002.
Sabine Dworog