Bernhard Mendes Bürgi (ed.): de Kooning. paintings 1960-1980, Ostfildern: Hatje Cantz 2005, 200 S., 56 Farb-, 9 s/w-Abb., ISBN 978-3-7757-1629-1, EUR 39,80
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Werner Hofmann: Die gespaltene Moderne. Aufsätze zur Kunst, München: C.H.Beck 2004
Paul B. Jaskot: The Nazi Perpetrator. Postwar German Art and the Politics of the Right, USA: University of Minnesota Press 2012
Marcus Müller: Geschichte-Kunst-Nation. Die sprachliche Konstituierung einer 'deutschen' Kunstgeschichte aus diskursanalytischer Sicht, Berlin: De Gruyter 2007
Die Malerei Willem de Koonings ist in den letzten Jahren mehrfach unter der Maßgabe der Präsentation und Analyse ausschnitthafter Werkkomplexe ausgestellt worden. Nach dem Spätwerk der 1980er-Jahre (u. a. 1996 im Kunstmuseum Bonn) und dem Blick auf die Figurenmalerei (u. a. 2002 in der National Gallery of Art, Washington, D.C.) hat die Ausstellung im Kunstmuseum Basel, anlässlich derer das vorliegende Katalogbuch erschienen ist, ca. 30 Werke der überaus intensiven Arbeitsphasen zwischen 1960 und 1980 vereinigt. Geprägt sind die einzelnen Werkgruppen von der Auseinandersetzung mit zwei zentralen Themen: der Landschaft und der Figur. Der Katalog zur Ausstellung umfasst neben einem ausführlichen Abbildungsteil drei substanzielle Beiträge, ein informatives Interview mit de Kooning, das 1972 von dem Kritiker Harold Rosenberg geführt wurde, sowie eine ausführliche, von Roland Wetzel bearbeitete Biografie des Malers und Bildhauers.
Bereits in den 1940er-Jahren tauchen im Werk de Koonings Landschaftsmotive auf, die jedoch nie im Sinne der Naturabbildung aufgefasst werden, sondern eher über Bildtitel Landschaftsassoziationen wecken. Nach der berühmten Serie der Women (1950-1955) entstehen ab Mitte der 1950er mit Serien wie den abstract urban landscapes und den abstract parkway landscapes Werkgruppen, mit denen de Kooning nach dem Figurenbild ein weiteres klassisches Genre der Malerei aufgreift. Dies brachte ihn trotz seiner Erfolge in eine gewisse Opposition zu den abstrakten Malern der New York School. Allerdings wird die abstrakte Malerei in den genannten Serien weitergetrieben und Bernhard Mendes Bürgi spricht zu Recht von zum Teil "ins Monumentale gesteigerte automatische Notationen" (18), was den äußeren Eindruck der Bilder, nicht aber unbedingt ihr immer wieder durch Reflexion unterbrochenes Zustandekommen erfasst.
Nach einem Romaufenthalt 1959/60 entstehen im New-Yorker Atelier die abstract pastoral landscapes, die den Auftakt der Basler Ausstellung bildeten. Bürgi konstatiert hier eine Nähe zur unmittelbar voraufgehenden Bilderserie, und er betont zugleich, dass die breiten Pinselstriche und -bahnen ambivalente Bildfindungen hervorbringen, die zwischen Gegenständlichkeit und Ungegenständlichkeit oszillieren. Ein Werk wie Door to the River (1960, Kat. 2) wird von Bürgi dementsprechend buchstäblich als Ausblick auf eine Landschaft gelesen, auch wenn er diese Eindeutigkeit im nächsten Moment wieder zurücknehmen möchte.
Spannend beschrieben ist der für de Kooning beobachtbare nachfolgende Prozess der Anverwandlung von Mensch und Landschaft seit ca. 1963, wobei die abstrakten Landschaftsbilder mit dem Umzug von der Metropole New York in die Hamptons paradoxerweise in den Hintergrund treten und die weibliche Figur eine Auferstehung im Werk feiert. Klaus Kertess beschreibt in seinem Beitrag für diese Bilder eindrucksvoll das sich wechselseitige Verschlingen von Körper und Landschaft, womit die nicht mehr zu entziffernde amorphe Bildstruktur und die Prozessualität der Bildentstehung treffend reflektiert sind. Gerade auch seine Hinweise auf künstlerische Vergleichsbeispiele, insbesondere aber der nahe gelegte, wenn auch vielleicht nicht notwendige Einfluss Chaim Soutines, sind durchweg erhellend.
Während Bürgi und Kertess zwei hinsichtlich der Fragestellungen und des chronologischen Aufbaus weitgehend deckungsgleiche Aufsätze beigesteuert haben, setzt sich Ralph Ubl mit der Problematik der Orientierung des Betrachters bei de Kooning auseinander. So ergänzt er die emphatisch gehaltenen Beiträge seiner Kollegen mit einem durchdringenden Blick auf die von de Kooning angebotenen aber auch entzogenen Orientierungsmöglichkeiten vor dem Bild. Ausgangspunkt ist die Bemerkung, dass jeder Pinselstrich eine eigene Perspektive besäße und die sich daran anschließende, gängige Klischees wiederholende Frage: warum hängt das Bild dann so wie es hängt an der Wand und nicht etwa anders herum?
Ubl weist nochmals nachdrücklich auf den langwierigen Bildentstehungsprozess bei de Kooning hin, der ein ständiges Überarbeiten und Reflektieren beinhaltete. Dabei stellt sich de Kooning einmal mehr als Antagonist von Jackson Pollock heraus, dessen All-over-Strukturen de Kooning mit der Tradition des Staffeleibildes, an der er festhielt, für unvereinbar hielt. Ubls These, die sich auf die wichtigen Ansätze des in Austin/Texas lehrenden Kunsthistorikers Richard Shiff stützt, dass de Kooning am Staffeleibild "eine zentrifugale oder gar ungerichtete Mannigfaltigkeit malerischer Effekte" (91) realisiere und dies mutatis mutandis auch für die figürlichen Bilder gelte, ist der wohl wichtigste Hinweis in der Publikation, der in Zukunft weiter verfolgt und genauer expliziert werden sollte. Im Rahmen eines solchen Katalogbeitrags ist das kaum möglich.
Wenn sich bei Ubl eine explizite Auseinandersetzung mit der Forschung zu de Kooning findet und vor allem, wenn Ausstellung und Katalog sich mit dem Reflex des Themas Landschaft in de Koonings Werk auseinander setzten, dann fällt eine wichtige Lücke auf. Heinz Paetzold hat nach wie vor einen zentralen und bislang weitgehend unbeachteten Beitrag zum Verständnis von de Koonings Malerei geleistet. In seinem Buch Ästhetik der neueren Moderne, das 1990 erschienen ist [1], gibt es ein knappes Kapitel über de Koonings fundamentale Neukonzeption des Landschaftsbildes, das zum Bemerkenswertesten gehört, das über de Kooning bislang geschrieben wurde. Gerade die Beiträge von Bürgi und Kertess hätten von der Kenntnis der Thesen Paetzolds profitieren können, zumal bei ihm mit Untitled IX von 1975 ein wichtiges Bild aus der Schaffensphase von de Kooning behandelt wird, die von Bürgi so eindringlich hervorgehoben wird. Die eingangs beschriebene Annahme eines fast mimetisch ausgelegten Wirklichkeitsverhältnisses, der sich de Koonings Malerei nicht fügt, wäre so vielleicht nicht unterlaufen.
Insgesamt aber handelt sich bei de kooning paintings 1960-1980 um einen ansprechend gestalteten, übersichtlich aufgebauten und mit guten Reproduktionen versehenen Katalog, der den Lesern einen relativ einfachen Einstieg in de Koonings Malerei bietet. Als Kompromiss zwischen dem Anspruch einerseits, auch einem breiteren Publikum die Malerei de Koonings vermitteln zu wollen und dem Bemühen anderseits, die wissenschaftliche Diskussion des Werkes zumindest mit einzubeziehen, empfiehlt sich das Buch weiten Leserkreisen. Den Parteigängern des mitunter und so auch in Basel wieder zu erfahrenen überwältigenden Malers ist das Buch eher eine Hilfe zur Erinnerung an eine konzentrierte Ausstellung, von denen es - zumal auf diesem Niveau - zu wenige gibt.
Anmerkung:
[1] Heinz Paetzold: Ästhetik der neueren Moderne. Sinnlichkeit und Reflexion in der konzeptionellen Kunst der Gegenwart, Stuttgart 1990.
Olaf Peters