Mariacarla Gadebusch Bondio: Medizinische Ästhetik. Kosmetik und plastische Chirurgie zwischen Antike und früher Neuzeit (= Humanistische Bibliothek. Texte und Abhandlungen), München: Wilhelm Fink 2005, 238 S., ISBN 978-3-7705-4101-0, EUR 34,00
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Medizinische Ästhetik ist als historisches Sujet in verschiedener Hinsicht ein hochaktuelles Forschungsgebiet. Einerseits knüpft es direkt an die moderne Körpergeschichte an und verbindet dabei variierende Idealvorstellungen vom menschlichen Leib beispielsweise mit anatomischer, kosmetischer, chirurgischer und diätetischer Praxis. Andererseits greift es nolens volens auch ein derzeit brennendes Thema der Medizin(-ethik) auf, die sich in zunehmendem Maße mit Eingriffen in den an sich gesunden Körper im Sinne von Korrektur, Verschönerung oder gar genetischer Verbesserung (enhancement) auseinandersetzt. Gadebusch Bondio fokussiert im Rahmen ihrer Habilitationsschrift dieses multidisziplinäre Thema auf die diesbezüglich bislang kaum beachtete Epoche der Frühen Neuzeit; aus den genannten Gründen ist ihre Darstellung, die fachliche Exaktheit mit einem guten, teilweise essayistischen Stil verbindet, hochwillkommen und auch für Nicht-Medizinhistorikerinnen und -historiker sehr anregend.
Die Autorin definiert medizinische Ästhetik in Abgrenzung zu modernen philosophischen Konzepten als ein Grenzgebiet der älteren Heilkunde, das deren Interesse an sinnlicher Erkenntnis und Beeinflussung des "Geordneten" und "Schönen" am Menschen (beides von gr. kosméo abgeleitet) thematisiert. Methodisch leitend für die Studie ist die Annahme, dass die Genese und Behauptung einer solchen Randdisziplin Veränderungen und Machtverlagerungen innerhalb der Medizin besonders deutlich macht (207). Wie bei frühneuzeitlichen Untersuchungen üblich und sinnvoll, geht Gadebusch Bondio zunächst (Kapitel II) auf antike Vorstellungen zum Thema ein, indem sie neben aristotelischer Naturphilosophie vor allem Galens Diskussion in den Schriften "De usu partium" und "Thrasybulos" analysiert. Während Erstere aus anatomisch-ästhetischer Sicht die Bedeutung der Funktionalität für die Schönheit vor der des ausschließlich Dekorativen herausstellt, grenzt Letztere die theoretischen Konzepte von Gymnastik und Diätetik von den rein praktischen, das Ideal des Natürlichen verlassenden Disziplinen der Schminkkunst ("schlechte" Kosmetik), der Athletik und der Kochkunst ab. Dabei wird Schönheit unmittelbar mit Gesundheit und einer guten körperlichen Verfassung verknüpft. Galens eingehende Auseinandersetzung lieferte zusammen mit Stellungnahmen der islamischen Medizin zur Kosmetik - die Autorin diskutiert Avicenna, leider nicht Rhazes - der frühneuzeitlichen Heilkunde die Legitimation, in verschiedenen theoretischen Schriften die Ars decoratoria als besondere Aufgabe der gelehrten Medizin - und nicht nur der stets vorhandenen empirisch-populären Praxis - zu deklarieren.
Kapitel III analysiert zunächst die naturphilosophisch-methodologische Orientierung der (von der Autorin kritisch hinterfragten) "Paduaner Schule" in der Frühen Neuzeit, bevor drei Traktate der dort wirkenden Professoren Gabriele Falloppio, Gerolamo Mercuriale und Tommaso Minadoi zur Ars decoratoria aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts näher betrachtet werden. Jenseits aller Unterschiede, die Gadebusch Bondio sorgfältig herausarbeitet, stimmen diese zentralen Texte darin überein, die Tradition der Antike im Sinne einer neuen Randdisziplin medizinisch sinnvoller ("guter") Kosmetik zu rezipieren, zu verwissenschaftlichen und dabei ex negativo ein "Modell des idealen (mittel-)mäßigen Körpers" (120) zu etablieren. Letzteres wird am Beispiel der Dickleibigkeit sehr eindrücklich vor Augen geführt.
In Kapitel IV wird mit der plastischen Chirurgie eine konkrete Ausführung der Ars decoratoria deutlich, die der Bologneser Chirurg Tagliacozzi zeittypisch (ähnlich wie etwa beim Kaiserschnitt an der lebenden Frau) als ein die Natur übersteigendes opus mirabile inszenierte. Dabei scheint erstmals auch eine Patientenperspektive der Kosmetik auf, indem beispielsweise bei der Rekonstruktion verstümmelter Nasen jenseits aller funktionellen Überlegungen und therapeutischen Risiken die "Wiederherstellung des Glücks"(175) bei Fragen der medizinischen Ästhetik in den Vordergrund gerückt wurde.
Das letzte Kapitel geht auf die Rezeption medizinischer Ästhetik in weiteren frühneuzeitlichen Textsorten ein, zum einen in der lexikalischen Gebrauchsliteratur, insbesondere der "Medicinae utriusque syntaxes" (1562) des Arztes und Professors für Dialektik Jakob Wecker. Auch hier wird Schönheit als Bonum in eine natürliche, von der Medizin, insbesondere Diätetik anzustrebende, und in eine künstliche, nur durch Schminkkunst (ars comptoria) zu erreichende Form unterteilt. Durch die traditionelle Relation zum Bonum der Kraft erhält sie einen "virilen" Charakter, während die "pulchritudo muliebris" (203) als unecht und verweichlicht diskreditiert wird. Als weitere wesentliche Quelle von enzyklopädischen Dimensionen erscheint Theodor Zwingers "Theatrum vitae humanae" (1565), in dem neben der dialektischen Gliederung des Themas zahlreiche Beispiele für Schönheit und Hässlichkeit aufgereiht werden.
Das Buch von Gadebusch Bondio weckt Lust, sich noch weiter mit den Themen Medizinische Ästhetik, Körpergeschichte und insbesondere deren kulturgeschichtlicher Verortung in der Frühen Neuzeit zu beschäftigen. Hier hat die Autorin (vielleicht klug) enge Grenzen gezogen, indem beispielsweise kunsthistorische Bezüge zur Idealität des menschlichen Körpers nahezu völlig ausgeblendet werden, weil sie in den medizinischen Texten (abgesehen von Hinweisen auf Albrecht Dürer) offensichtlich nicht zur Sprache kommen. Aber es ist kaum anzunehmen, dass etwa die ästhetische Debatte um Cardanos Behauptung, dass Christus als idealer Mensch Sommersprossen gehabt habe (107), allein von Medizinern geführt wurde. Eine weitere mögliche Ergänzung wäre der Vergleich zur praktischen Kosmetik in volkssprachlichen Schriften der Epoche, in denen sich Gadebusch Bondio [1] gleichfalls bestens auskennt: Diese von gelehrten Ärzten vehement abgelehnte "Schminkkunst" scheint gleichwohl an einigen Stellen ihrer Werke auf.
Gadebusch Bondios Buch wird von einem umfassenden Literaturverzeichnis und einem Namenregister abgerundet. Zahlreiche Abbildungen geben Titelblätter, Inhaltsverzeichnisse, Schemata und Textpassagen aus den untersuchten Werken wieder. Umfangreiche lateinische und griechische Zitate in den zahlreichen Fußnoten erlauben einen guten Nachvollzug ihrer Thesen, ohne dass die Lesbarkeit des Haupttextes dadurch eingeschränkt wird. Insgesamt kann das Buch als grundlegende Einführung in das Thema wärmstens empfohlen werden.
Anmerkung:
[1] Mariacarla Gadebusch Bondio: Weibliche Gelehrsamkeit im Italien des Quattrocento. Catarina Sforza Riario und ihre Experimenti (um 1490), in: Renate Kroll / Margarete Zimmermann (Hg.): Feministische Literaturwissenschaft in der Romanistik, Stuttgart 1995, 186-197; dies.: Heilung des Körpers und Pflege der Schönheit anhand eines venezianischen Rezeptars des 16. Jahrhunderts, in: Hans-Uwe Lammel (Hg.): Kranksein in der Zeit. Referate des Rostocker Medizin- und Wissenschaftshistorikertreffens 1995, Rostock 1996, 57-78.
Daniel Schäfer