Rezension über:

Irmgard Schwanke: Fremde in Offenburg. Religiöse Minderheiten und Zuwanderer in der Frühen Neuzeit (= Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven; Bd. 11), Konstanz: UVK 2005, 309 S., ISBN 978-3-89669-708-0, EUR 29,00
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Sabine Ullmann
Bayerische und Schwäbische Landesgeschichte, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Sabine Ullmann: Rezension von: Irmgard Schwanke: Fremde in Offenburg. Religiöse Minderheiten und Zuwanderer in der Frühen Neuzeit, Konstanz: UVK 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 4 [15.04.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/04/10232.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Irmgard Schwanke: Fremde in Offenburg

Textgröße: A A A

Die Dissertation entstand im Kontext eines von Mark Häberlein geleiteten Projekts zur vergleichenden Minderheitengeschichte in der Frühen Neuzeit. [1] Damit ist ein Themenfeld berührt, das in der aktuellen sozialhistorischen Forschung eine hohe Relevanz besitzt. Die hier vorgelegten Ergebnisse steuern für die Debatten um die Integrationsleistungen der frühneuzeitlichen Gesellschaft sowie die Migrationsforschung ein aufschlussreiches Beispiel bei, das sowohl hinsichtlich der methodischen Anlage als auch der empirischen Grundlage überzeugt.

Anhand der kleinen oberrheinischen Reichsstadt Offenburg, deren politische, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen in einem Eingangskapitel fundiert und kundig dargestellt werden, wird die Frage nach den Chancen einer ökonomischen, rechtlich-administrativen und sozialen Integration von Fremden untersucht. Somit werden verschiedene funktionale Ebenen von Integration bzw. Abgrenzung über zentrale Indikatoren wie die Bürgerrechtsvergabe, das Heiratsverhalten und die Patenschaftsverbindungen sowie Marktzugänge und das Ausloten von ökonomischen Konkurrenzverhältnissen analysiert. Die Erschließung der dabei erforderlichen breiten seriellen Quellenbasis erfolgt über eine Netzwerkanalyse, die zum einen über biographische Zugänge anschaulich aufgearbeitet wird. Zum anderen werden immer wieder drei unterschiedliche Perspektiven anvisiert: die Politik des städtischen Rates, der Umgang mit Fremden von Seiten der Bevölkerung und die Strategien der Zuwanderer selbst.

Als besonders ergiebig erweist sich der Ansatz einer vergleichend angelegten Analyse unterschiedlicher Zuwanderungsgruppen und deren berufsspezifischer Verflechtungen, hier liegt meines Erachtens ein entscheidender Erkenntnisgewinn der Studie. Auch wenn - bedingt durch die unterschiedliche Quantität der Befunde - die Bearbeitung einzelner Gruppen wie die der wenigen Protestanten in der katholischen Stadt etwas schmal ausfällt, so bringt doch der Vergleich zwischen jüdischen Zuwanderern und den Kaufleuten bzw. Handwerkern aus Italien, Savoyen, Tirol und Vorarlberg wesentliche Aufschlüsse. Dabei kann die Autorin zeigen, dass der städtische Rat im Sinne einer utilitaristischen Bevölkerungspolitik die ersten savoyardischen und italienischen Krämer gerade dann aufnahm, als man glaubte, auf die Handelstätigkeit der Juden verzichten zu können, wobei die Warenpalette trotz der üblichen Spezialisierung deutliche Parallelen aufweist.

Für die jüdische Siedlungsgeschichte während der Frühen Neuzeit wird dabei ersichtlich, dass die Vertreibung aus den Reichsstädten während des Spätmittelalters keineswegs zu einer generellen Absenz von Juden führen musste. Der hier vorgestellte Fall verweist vielmehr auf ein Phänomen, das sich auch in Augsburg einstellte und das einmal vergleichend für die urbanen Zentren im Reich untersucht werden sollte: Einzelne Familien aus dem ländlichen Umfeld fanden in Kriegszeiten kurzfristig Zuflucht hinter den Stadtmauern, woraus sich langjährige Aufenthalte - im Fall Offenburgs währten sie von ca. 1630 bis 1667 und von 1672 bis 1680 - entwickelten. Dabei handelte es sich vielfach um jüdische Händler, die bereits vorher ein befristetes Geleit für den Wirtschaftsverkehr mit der Stadt genossen, also ihre Handelstätigkeit auf den städtischen Markt konzentrierten und als solche auch entsprechend präsent waren. Einmal mehr zeigt sich so die Fruchtbarkeit eines Ansatzes, bei dem jüdische Geschichte in die allgemeine Geschichte integriert wird. Das Kapitel über getaufte Juden gewährt einen der seltenen Einblicke in deren Schicksal nach der Konversion [2] und zeigt eine größere Akzeptanz als bisher angenommen durch Taufpatenschaften und Heiraten (180 f.).

Insgesamt wird durch die vergleichende Perspektive ersichtlich, dass religiöse und konfessionelle Unterschiede in weitaus stärkerem Maße als trennend empfunden wurden als eine fremde Herkunft. So war die Gewährung des Bürgerrechts an die katholische Konfession gebunden und ermöglichte daher den altgläubigen Zuwanderern eine hohe Integrationsmöglichkeit. Der Offenburger Rat verfolgte dabei - wie andere frühneuzeitliche Obrigkeiten auch - eine utilitaristische Haltung, die durch die Notwendigkeit bestimmt war, die Bevölkerungszahlen und die wirtschaftliche Entwicklung nach den Verlusten im Dreißigjährigen Krieg zu fördern. Die daraus folgenden Konfliktfelder mit den Offenburger Bürgern zeigen, dass die Auseinandersetzungen weniger durch die fremde Herkunft als durch die Furcht vor Konkurrenz motiviert waren.

Für die Zuwanderer aus dem Alpenraum bestätigt sich somit der konzeptionelle Vorschlag von Martin Zürn, der jüngst für das Modell einer "doppelten Integration in die deutsche Zielstadt und in die Landsmannschaft" plädierte: [3] Sowohl in wirtschaftlicher, familiärer als auch in sozialer Hinsicht lassen sich Einbindungen in die Offenburger Gesellschaft sowie in die jeweilige Landsmannschaft nachweisen. Dies führt Irmgard Schwanke zu dem abschließenden Resümee, dass eine berufsbedingte Migration immer dann besonders erfolgsversprechend war, "wenn eine Einbindung in die Gesellschaft des Zielortes bei gleichzeitiger Rückbindung an die Heimat realisiert werden konnte" (265). An dieser Stelle zeigen sich allerdings die Grenzen einer vergleichenden Perspektive zwischen zugewanderten Christen und den aus dem ländlichen Umfeld vergleichsweise kurzfristig zugelassenen Schutzjuden - mit Blick auf Letztere relativiert sich die Integrationsleistung sowie die Flexibilität der städtischen Gesellschaft von Offenburg während der Frühen Neuzeit dann doch erheblich.


Anmerkungen:

[1] Mark Häberlein / Martin Zürn: Minderheiten als Problem der historischen Forschung. Einleitende Überlegungen, in: Mark Häberlein / Martin Zürn (Hg.): Minderheiten, Obrigkeit und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit. Integrations- und Abgrenzungsprozesse im süddeutschen Raum, St. Katharinen 2001, 9-39.

[2] Zur Debatte um die Motive und Chancen jüdischer Konvertiten währen der Frühen Neuzeit vgl. zuletzt Wolfgang Treue: Aufsteiger oder Außenseiter? Jüdische Konvertiten im 16. und 17. Jahrhundert, in: Aschkenas 10 (2000), Heft 2, 307-336.

[3] Martin Zürn: Einwanderung aus Savoyen nach Deutschland 1500-1800. Grundzüge und ausgewählte Familien, in: Schau-ins-Land 122 (2003), 73-92.

Sabine Ullmann