Jason König: Athletics and Literature in the Roman Empire (= Greek Culture in the Roman World), Cambridge: Cambridge University Press 2005, xix + 398 S., ISBN 978-0-521-83845-0, GBP 55,00
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Die Vorstellung, nach der Blüte der Archaik und Klassik sei der Athletismus in eine Phase der Degeneration eingetreten, dominierte lange Zeit die Forschung [1], ist aber inzwischen längst überholt - in den letzten Jahren wendet sich die Sportgeschichte zunehmend dem Hellenismus und der römischen Kaiserzeit zu. [2] In diesen Trend ordnet sich auch das zu besprechende Buch ein: Für König stellt sein Untersuchungszeitraum, das 1.-3. Jahrhundert nach Christus, den Höhepunkt des antiken Athletismus dar - er belegt dies mit der großen Anzahl von neu gegründeten Agonen. Vor allem aber will er aufzeigen, welch hoher Stellenwert den athletischen Wettkämpfen und dem Training im Gymnasion in der Gesellschaft des Imperium Romanum zukam.
König formuliert als eines seiner Ziele, verschiedene Textgattungen mit einer gemeinsamen Untersuchungsmatrix zu analysieren (8), vor allem soll sein Buch die Parallelen zwischen der epigrafischen und der literarischen Überlieferung demonstrieren. Dass in den Überschriften der einzelnen Kapitel jeweils ein antiker Autor genannt wird, ist insofern missverständlich, als König seine Ausführungen gerade nicht entlang von Literaturgattungen und Autoren gliedert, sondern thematisch; es soll die Verflechtung des Athletismus mit anderen Feldern der Kultur im Imperium Romanum aufgezeigt werden.
Das Kapitel "Lucian and Anacharsis: gymnasion education in the Greek city" (45-96) ist dem Verhältnis von Athletismus und Krieg gewidmet. Der Skythe Anacharsis hinterfragt in Lukians gleichnamigem Dialog auf spöttische Weise, dass das athletische Training eine gute Vorbereitung auf die Schlacht sei. Eine Analyse der Inschriften belegt, dass die Zeugnisse für einen militärischen Nutzen des Gymnasions zwar nicht zahlreich, aber immerhin vorhanden sind. Anacharsis kann hier laut König als Vertreter einer römischen Position gesehen werden, gemäß der sportliche und kriegerische Ausbildung Gegensätze seien, während den Griechen die Vorstellung, gute Athleten seien auch gute Krieger, durchaus plausibel erschien.
Ausgehend von den Reden 28 und 29 des Dio Chrysostomos, vor allem aber von Siegerstatuen und -inschriften werden im Kapitel "Models for virtue: Dio's 'Melankomas' orations and the athletic body" (97-157) die unterschiedlichen Einschätzungen des Athletenkörpers herausgearbeitet. Für die einen war die Gestalt eines Olympiasiegers ein Inbegriff männlicher Schönheit und sichtbarer Ausdruck von arete, während andere in ihr das monströse Produkt einer Lebensführung sahen, die einseitig auf Wettkämpfe ausgerichtet sei; außerhalb des Stadions sei ein Athletenkörper zu nichts zu gebrauchen gewesen, in den Spottgedichten des Lucillius verlieren die Boxer durch die Verstümmelungen im Gesicht sogar ihre soziale Identität.
Im Kapitel "Pausanias and Olympic Panhellenism" (158-204) untersucht König, welche Bedeutung den panhellenischen Kranzagonen in der römischen Kaiserzeit zukam. Wie die Siegerinschriften zeigen, konnten zumindest die Olympischen Spiele ihre Vorrangstellung auch gegenüber denjenigen Wettkämpfen behaupten, die von römischen Kaisern gegründet und gefördert wurden, so auch gegen die 86 nach Christus von Domitian ins Leben gerufenen Capitolia. [3] Pausanias' Periegese, insbesondere seine Beschreibung des Heiligtums und der Siegerstatuen von Olympia, wertet König als Versuch einer Neuvermessung des Griechentums unter den Bedingungen des Imperium Romanum.
Während in den meisten Partien des Buches die Texte aus dem griechischen Osten dominieren, konzentriert sich das Kapitel "Silius Italicus and the athletics of Rome" (205-253) auf Italien und die westlichen Provinzen des Imperium Romanum. Die früher verbreitete These, in Rom seien die athletischen Wettkämpfe der Griechen mehrheitlich abgelehnt worden, ist in letzter Zeit relativiert worden [4]; auch König betrachtet Äußerungen römischer Autoren, die das Training im Gymnasion als effeminierende Beschäftigung diskreditieren, nicht als Sport- oder gar Körperfeindlichkeit, sondern als Versuch, die römische Kultur im Kontrast zur griechischen zu definieren.
Die Ausführungen zu "Athletes and doctors: Galen's agonistic medicine" (254-300) und "Philostratus' Gymnasticus and the rhetoric of the athletic body" (301-344) bilden eine Einheit. Sowohl Ärzte als auch Trainer waren nicht nur direkt mit dem Körper des Athleten befasst, sie wurden auch von der sportlichen Symbolwelt beeinflusst. Ob Philostrats Schrift über die Trainingslehre eine Reaktion auf die antigymnastische Polemik Galens darstellt, lässt König offen. Unbestreitbar ist dagegen, dass die rhetorische Auseinandersetzung zwischen den Vertretern des medizinischen und des gymnastischen Zugriffs auf den menschlichen Körper in die Formen eines sportlichen Agons gekleidet war. Und auch innerhalb der Disziplinen herrschte sportlicher Wettkampfgeist, wie König anschaulich anhand einer Inschrift aus Ephesos illustriert, in der Sieger eines Ärzteagons genannt werden. [5]
An vielen Stellen hätte man sich eine schärfere Argumentation und mehr Mut zur Formulierung eigener Thesen gewünscht. Doch König will nicht polarisieren, er möchte Horizonte für künftige Untersuchungen aufzeigen. Sein Anliegen, nachzuweisen, dass es für eine Analyse der Gesellschaft der römischen Kaiserzeit sehr förderlich, ja sogar notwendig ist, den Athletismus einzubeziehen, ist ihm geglückt. Das Buch stellt durch die Fülle der herangezogenen Quellen, die über mehrere ausführliche Indices auffindbar sind, eine Fundgrube dar, auf die man in Zukunft gerne zugreifen wird.
Anmerkungen:
[1] Besonders einflussreich war das Standardwerk von E. N. Gardiner: Greek athletic sports and festivals, London 1910.
[2] H.W. Pleket: Games, prizes, athletes and ideology. Some aspects of the history of sport in the Greco-Roman world, in: Stadion 1 (1975), 49-89; M. Lämmer (Hg.): Agonistik in der römischen Kaiserzeit, St Augustin 1998, 59-70.
[3] S. dazu auch B. Rieger: Die Capitolia des Kaisers Domitian, in: Nikephoros 12 (1999), 171-203.
[4] J.-P. Thuillier: Le sport dans la Rome antique, Paris 1996; Chr. Mann: Griechischer Sport und römische Identität: die certamina athletarum in Rom, in: Nikephoros 15 (2002), 125-158.
[5] I.Eph. 1162.
Christian Mann