Rezension über:

Samuel Wittwer: Die Galerie der Meißener Tiere. Die Menagerie August des Starken für das Japanische Palais in Dresden (= Schriftenreihe der Gesellschaft der Keramikfreunde e.V. Düsseldorf; Bd. 1), München: Hirmer 2004, 355 S., 185 Farb-, 35 s/w-Abb., ISBN 978-3-7774-2275-6, EUR 95,00
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Rezension von:
Daniela Antonin
Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Michaela Braesel
Empfohlene Zitierweise:
Daniela Antonin: Rezension von: Samuel Wittwer: Die Galerie der Meißener Tiere. Die Menagerie August des Starken für das Japanische Palais in Dresden, München: Hirmer 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 5 [15.05.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/05/8051.html


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Samuel Wittwer: Die Galerie der Meißener Tiere

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Die Gesellschaft der Keramikfreunde e.V. Düsseldorf konnte ihre Schriftenreihe mit einer ausgezeichneten Dissertation beginnen: der "Galerie der Meißener Tiere. Die Menagerie Augusts des Starken für das Japanische Palais" von Samuel Wittwer, die im Jahr 2000 den Fakultätspreis der Universität Basel erhielt.

Die Tierplastiken der Meißener Porzellanmanufaktur zur Einrichtung des "Japanischen Palais" am Ufer der Dresdner Neustadt zählen zu den wichtigsten figürlichen Porzellanen des 18. Jahrhunderts. Bereits im Jahr 1900 widmete Jean Louis Sponsel ihnen in seiner Monografie "Kabinettstücke der Meissner Porzellan-Manufaktur von Johann Joachim Kändler" eine erste eingehende Betrachtung. Carl Albiker wusste drei Jahrzehnte später die künstlerischen Aspekte dieser Meißener Tiere mit der Publikation "Die Meissener Porzellantiere im 18. Jahrhundert" (1935) nachhaltig herauszustellen.

Die frühe und intensive Auseinandersetzung mit diesem Thema kann sicherlich auf die berühmte Geschichte der teils lebensgroßen Tierplastiken zurückgeführt werden: August der Starke (1694-1733), Kurfürst von Sachsen und ab 1697 König in Polen, hatte die Porzellantiere zur Einrichtung seines "Porzellanschlosses" bestellt. Für die Verwirklichung des sehr ehrgeizigen Projektes ließ er ein Palais gegenüber der Altstadt umgestalten, das er 1717 von Generalfeldmarschall Graf Flemming käuflich erworben hatte. Es wurde zunächst im holländischen Stil mit Porzellanarrangements eingerichtet und diente bereits zwei Jahre später als Veranstaltungsort für die Hochzeitsfeierlichkeiten des sächsischen Kurprinzen Friedrich August mit der ältesten Tochter Kaiser Josephs I. Dieses so genannte "Holländische Palais" wurde ab Mitte der 1720er-Jahre auf ausdrücklichen Wunsch des Königs zu einer großen Vierflügelanlage mit asiatisch anmutenden Walmdächern umgebaut, dem Japanischen Palais. Den überlieferten Dokumenten ist zu entnehmen, dass August der Starke fortan große Porzellanmengen orderte, darunter die Tierplastiken, deren Ausführung die königliche Manufaktur in Meißen vor große technische Herausforderungen stellte.

Samuel Wittwer legt nach neunjähriger Forschungsarbeit mit seinem Buch eine umfangreiche Darstellung zur Geschichte der Meißener Tierplastik des Japanischen Palais vor. Seinen Ergebnissen stellt er zunächst allgemeine "Aspekte zum barocken Innenraum", die Beschreibung der Kunstsammlungen Augusts des Starken und seines Sohnes August III., sowie die Erörterung der Tierdarstellungen seit der Spätrenaissance als Einleitung voran. Daran schließt der Hauptteil mit der detaillierten Geschichte des Japanischen Palais an, dessen Ausstattung letztlich unvollendet geblieben ist. Hier rekonstruiert Wittwer die Chronologie der Bautätigkeiten sowie die projektierte Einrichtung des Schlosses, um die Aufstellungssituation der Tierplastiken, die für eine große Galerie im Obergeschoss vorgesehen waren, zu erläutern. Im darauf folgenden Kapitel "Tierpräsenz im höfischen Dresden" wendet sich der Autor den lebenden Tieren zu und nennt mögliche Anregungen für die königlichen Porzellanbestellungen. Dazu verweist Wittwer zunächst auf das besondere Interesse des Herrschers, lebende wie präparierte wilde Tiere zu erwerben und führt gleichfalls naturwissenschaftliche Aspekte sowie Phänomene des Kuriosen und Exotischen als Ideenvorlagen zu einer Menagerie aus Porzellan an. Dem sind Ausführungen zu den Vorgaben der Tierbestellungen angeschlossen, die August der Starke der Meißener Porzellanmanufaktur übermittelt hatte. Nach ausführlicher Darlegung der künstlerischen und technischen Gestaltung der Meißener Tierplastik erörtert Wittwer die Bedeutung des Japanischen Palais und die dortige Aufstellung der Porzellantiere als Teil eines Gesamtplans Augusts des Starken zur Präsentation seiner Kunstsammlungen. In diesem Kontext wurde es allerdings versäumt, eine weitere wichtige Baumaßnahme des Königs zu erwähnen: die zeitgleiche Einrichtung des berühmten Grünen Gewölbes im Dresdner Schloss.

Im gleichen Kapitel legt der Autor seine Thesen zur Zusammensetzung der Menagerie aus Porzellan anhand einer "Typisierung" der Tierwelt dar. Er bezieht sich dazu unter dem Titel "Das Reich der Tiere und die menschliche Gesellschaft" auf bekannte ikonografische Verknüpfungen. Danach beleuchtet Wittwer die von August dem Starken angelegte Raumdisposition im Japanischen Palais. Er benennt die Enfilade beider Stockwerke und das Audienzzimmer mit Thronsaal im Obergeschoss als grundlegende Elemente, die das Japanische Palais als neue Dresdner Residenz ausweisen sollten. Deshalb ist Wittwer überzeugt, dass die Porzellantiere in der Galerie "durch ihre Typisierung (Jagd, Kampf, Fürsorge etc.) den Anforderungen als Repräsentanten des Menschen an eine Residenz entsprechen könnten" (159). Der höfische Mensch, so schlussfolgert er weiter, hätte sich in den ausgestellten Tieren des Japanischen Palais wieder finden können. Mit dem anschließenden Kapitel zu "Form und Wirkung der Tierplastiken" sucht der Autor auf den Ebenen des Materiellen, Sinnlichen und Intellektuellen eine "rhetorische Struktur" nachzuzeichnen, die dem Besucher in den Räumen des Palais als symbolische Entschlüsselung begegnet sei. Darauf folgt im nächsten Abschnitt ein Stilvergleich der Tierplastiken der beiden Meißener Porzellanmodelleure Gottlieb Kirchner (1706-um 1768) und Johann Joachim Kaendler (1706-1775). Mit den Kapiteln "Konsequenz der Oberfläche" und "Materialgerechtigkeit" beleuchtet Wittwer weitere Aspekte der Gestaltung der Porzellanplastiken, um dann abschließend zu hinterfragen, welchen Eindruck der zeitgenössische Betrachter von der Meißener Menagerie im Japanischen Palais gewinnen konnte. Den "Nachspann" bilden die Rezeptionsgeschichte der Tierplastiken sowie deren Verbleib, nachdem die aufwändigen Arbeiten zur Vollendung der Einrichtung des Japanischen Palais unter König August III. um 1750 aufgegeben wurden. Dem Textteil des Buches folgen der Anhang sowie ein ausführlicher Katalog der erhaltenen Meißener Porzellantiere.

Das umfangreiche Quellenmaterial Wittwers zu den Meißener Tierplastiken für das Japanische Palais Augusts des Starken ist in einem schönen und mit vielen Illustrationen ausgestatteten Band zusammengefasst. Doch obgleich die Publikation Wittwers sehr ansprechend gestaltet wurde, ist die Gliederung des Buches insgesamt unübersichtlich. Einige interessante Themenfelder, wie beispielsweise die bewusste Farbgebung der Porzellane in Anlehnung an die jeweiligen Räumlichkeiten, sind nicht als eigenes Kapitel aufgeführt, sondern unter dem Titel "Rundgang" der Darlegung der Architekturelemente des Japanischen Palais zugeordnet. Zur ausführlichen Baugeschichte des Japanischen Palais weiß Wittwer eine Vielzahl an neu gefundenen Quellen zu zitieren, doch ist es mühsam, den überaus detaillierten Ausführungen zu folgen. Hier hätten kurze Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel eine klarere Übersicht geben können.

Die intensive Auseinandersetzung des Autors mit den Porzellantieren Augusts des Starken für das Japanische Palais am Elbufer spiegelt sich in der Darlegung unterschiedlichster Betrachtungswinkel, die neben Fragen der Ausstattung und des Zeremoniells auch die Darlegung einer Tiefenwirkung der Porzellanglasur, Beziehungsformen der Tiere innerhalb der Werke, die Gefühlslage des Betrachters (im Sinne einer "rhetorischen Struktur") im Japanischen Palais oder Aspekte der Zeitlichkeit der Modelle Kaendlers betreffen. Allerdings bleibt der Autor teilweise die konkreten Belege für seine Thesen schuldig, sodass diese oftmals konstruiert erscheinen und vielmehr an einen philosophischen Diskurs denken lassen. Einige Schlussfolgerungen müssen deshalb ernsthaft hinterfragt werden. Dies betrifft - als ein Beispiel - die Erklärungen zur Bedeutung der Farbgebung, die innerhalb der Raumfolge des Japanischen Palais wechselt. Wittwer entlehnte die symbolische Interpretation dem Traktat des Niederländers Gerard de Lairesse (1646-1711) von 1707. Es sollte jedoch beachtet werden, dass die Anleitungen des Barockmalers eher für die Ausführung von Gemälden als für farbige Gestaltungen großer Schlossarchitektur bestimmt waren.

Für den wissenschaftlichen Gebrauch der Publikation wäre letztlich die Angabe von Inventarnummern äußerst sinnvoll gewesen. Dies ist vor allem in Bezug auf die Bestände der Dresdner Porzellansammlung zu betonen, in der zum Teil mehrere Ausführungen eines Tiermodells vorhanden sind. Auch hätte die Suche nach zughörigen Abbildungen der Tiermodelle im Textteil durch kurze Rückweise im Katalog vermieden werden können.

Die genannten Kritikpunkte schmälern jedoch nicht die Tatsache, dass Samuel Wittwers Buch zu den Standardwerken zum Meißener Porzellan zu zählen ist.

Daniela Antonin