Rezension über:

Daniel Ichbiah: Roboter. Geschichte, Technik, Entwicklung, München: Knesebeck Verlag 2005, 544 S., 1400 Farbabb., ISBN 978-3-89660-276-3, EUR 39,95
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Rezension von:
Jutta Weber
Zentrum für Interdisziplinäre Studien, Universität Duisburg-Essen
Redaktionelle Betreuung:
Martina Heßler
Empfohlene Zitierweise:
Jutta Weber: Rezension von: Daniel Ichbiah: Roboter. Geschichte, Technik, Entwicklung, München: Knesebeck Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 6 [15.06.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/06/8869.html


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Daniel Ichbiah: Roboter

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Die Robotik ist in den letzten Jahren wieder in aller Munde - nicht nur kurz vor dem Anpfiff der Fußballweltmeisterschaft von Menschen als auch Robotern hier in Deutschland. Dass Roboter große mediale Aufmerksamkeit erfahren, ist keineswegs selbstverständlich.

Während in den 1950er- bis 70er-Jahren ein wahrhaftes Kybernetikfieber herrschte, das nicht nur die Mathematik, Physik und Elektrotechnik, sondern auch Felder wie die Ökonomie, Medizin, Pädagogik, Philosophie oder Biologie 'beseelte', interessierten sich in den 1980er- und 90er-Jahren nur noch einschlägige Experten und Expertinnen für diese Forschung. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war ein fast unerschütterliches Vertrauen in die zukünftigen Leistungen der Künstlichen Intelligenz, in ihre Fähigkeit, den menschlichen Verstand zu modellieren, zu beobachten. Dagegen geriet Ende der 1970er- und Anfang der 80er-Jahre die Künstliche Intelligenz in Verruf, als sich ihre hoch fliegenden Erwartungen in intelligente Expertensysteme mehr oder weniger zerschlagen hatten und mobile Roboter nach wie vor primär als lächerliche Blechkisten wahrgenommen wurden, die im Schneckentempo durch die Gegend rollten und nicht von ungefähr "Shakey" hießen. Daraufhin konzentrierten sich die Spekulationen über künstliche intelligente Wesen auch wieder primär auf den Bereich des Science Fiction. Hier wurde von der technischen Replikation des Menschen (Blade Runner), den lebendigen Maschinen als Freund und Helfer (R2D2), von durchdrehenden Killerautomaten (Terminator) oder hoch intelligenten künstlichen Gehirnen als omnipotenten Schaltzentralen geträumt (HAL in 'Odysee im Weltraum').

Diese Gewichtung der Diskurse hat sich in den letzten Jahren wieder geändert. Während heute wegweisende Science Fiction-Geschichten (wie etwa von Neal Stephenson oder Tricia Sullivan) jenseits von Hollywood eher auf den Visionen der Neurowissenschaften oder der Nanotechnologie basieren, erhalten die 'realen' Produkte und Entwicklungen der Robotik zunehmend Aufmerksamkeit in Presse und Fernsehen. Es wird berichtet von Krankenhaus- und Pflegerobotern für die so genannten überalterten Gesellschaften, von flinken Treppen steigenden Androiden und autonomen Marsfahrzeugen, die nicht mehr vom Himmel (Marsokohd) oder in Erdspalten (Soujourner) fallen, sondern spektakuläre 'Funde' von Wasser oder Methan auf dem Mars übermitteln.

Vor diesem Hintergrund kommt der - aus dem Französischen übersetzte - Überblicksband von Daniel Ichbiah sicherlich zum richtigen Zeitpunkt. Er bietet ein material- und bilderreiches Panorama der neuesten Entwicklungen im Bereich der Robotik. Ausführlich und auch kenntnisreich wird in vielen Anekdoten über Androiden, Haushaltsroboter, Industrieroboter, Roboter in der Wissenschaft, im Militär, in der Medizin und im Unterhaltungssektor erzählt. Die Einteilung des Bandes in diese Bereiche (plus Kapitel zu Science Fiction, Kunst und Zukunftsprojekte) durchkreuzt dabei klassische Taxonomien, die sich entweder an der Form der Maschinen oder an ihrem Aufgabenbereich bzw. Einsatzort orientieren. So lassen sich bis heute z. B. Androide mehr oder weniger umstandslos in das Kapitel über den Unterhaltungssektor bzw. die Spielzeugroboter einreihen. Diese Einteilung von Ichbiah mag aber auch der populärwissenschaftlichen Ausrichtung des Buchs geschuldet sein. Vielleicht soll diese Reihenfolge aber auch die von Ichbiah prognostizierte zukünftige Marktfähigkeit der Roboter indizieren - insofern auf das Kapitel über die Androiden dasjenige der Haushaltsroboter folgt und erst dann die doch weit verbreiteten und dienstälteren Industrieroboter zur Sprache kommen.

Einen erstaunlich breiten Raum widmet der Autor dem Bereich der 'poetischen Maschinen'. Auf insgesamt mehr als 200 Seiten werden Roboter in der Science Fiction-Literatur und im Film, in der Kunst und - wie schon erwähnt - auf dem Spielzeugsektor vorgestellt. Aber vielleicht schlägt ja das Herz des Autors ganz besonders für das Feld des Technoimaginären. In gewisser Weise bildet die Faszination des Autors für die 'lebendigen' Maschinen, die Spielzeuge, Androiden und Replikanten das eigentliche Zentrum des Buches. Und so heißt der Band im französischen Original ja auch 'Robots. Genèse d'un peuple artificiel', während der deutsche Untertitel "Geschichte _ Technik _ Entwicklung" eher in die Irre führt. Die historische Einleitung des Bandes ist recht konventionell ausgerichtet, als klassische Fortschrittsgeschichte geschrieben, die sich deskriptiv an einzelnen Artefakten entlang hangelt und auch nicht zwischen historisch unterschiedlichen Zwecksetzungen und medialen Vermittlungen unterscheidet - wie z. B. Nicole Karafyllis, die zwischen der Veranschaulichung von verschiedenen Naturbegriffen als Imitation, Simulation und Imagination differenziert. Mit Bezug auf die neuere Geschichte der KI wird wiederum analytisch nicht zwischen verschiedenen Strängen wie Kybernetik, klassischer KI, Artificial Life-Forschung und der neueren verhaltensbasierten Robotik unterschieden - geschweige denn einzelne zentrale technische Entwicklungen der Robotik näher erklärt. Zu Beginn des Bandes gibt der Autor eine recht allgemeine Definition dessen, was er als Roboter versteht: jeden "Rechner mit hochleistungsfähiger Software in einem beweglichen Gehäuse - ein komplexes System also, das in der Lage ist, Informationen in durchdachte Handlungen umzusetzen." (9) Gerade die neuere, verhaltensbasierte Robotik rückt aber von repräsentations- und planbasierten Paradigma der älteren KI ab und setzt auf System-Umwelt-Kopplung und trial & error-Verfahren statt dezidierter Planung und umfassender Repräsentation der Außenwelt.

Man sollte also keine allzu hohen theoretischen Erwartungen in den Band setzen. Was er aber erfüllen kann, ist, als reichhaltige Fundgrube für neuere Entwicklungen in der Robotik zu dienen. Diese Darstellungen werden zudem mit Interviews von allerdings meist französischen Forscherinnen, aber auch Geschäftsführern, Hobbybastlern, Philosophinnen oder Künstlern ergänzt. Angesichts der Fülle des Materials wäre es allerdings schön gewesen, wenn der Band ein Register aufgewiesen hätte und man für die deutsche Ausgabe doch noch etwas nachrecherchiert hätte und auch die deutsche Forschung berücksichtigt hätte. Auch dass die Bilder von einschlägigen Science Fiction-Romanen aus der französischen Ausgabe inklusive ihrer französischen Titel in die deutsche Ausgabe übernommen wurden, macht einen etwas nachlässigen Eindruck, der die Freude an der Reichhaltigkeit des Roboter-Panoramas ein wenig mindert.

Jutta Weber