Klaus Berndl: Ernst Ferdinand Klein (1743-1810). Ein Zeitbild aus der zweiten Hälfte des Achtzehnten Jahrhunderts (= Geschichte; Bd. 47), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2004, 479 S., ISBN 978-3-8258-6562-7, EUR 45,90
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Einer der produktivsten rechtswissenschaftlichen Schriftsteller Deutschlands im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts war der preußische Jurist Ernst Ferdinand Klein; 16 Seiten mit über 300 Titeln umfasst das Verzeichnis seiner Schriften und Herausgeberschaften, das Klaus Berndl seinem Buch über ihn beigegeben hat. In kleinbürgerliche Verhältnisse der von den Schlesischen Kriegen schwer getroffenen Provinzstadt Breslau hineingeboren, hatte Klein in Halle Recht studiert, um nach Anwaltstätigkeit in Breslau 1780 in den preußischen Justizdienst einzutreten. Da er durch seine juristischen Schriften dem Großkanzler Carmer und dessen Mitarbeiter Svarez aufgefallen war, wurde er schon im Jahr darauf in die Kommission für die Ausarbeitung eines allgemeinen preußischen Gesetzbuches, also des späteren "Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten" (ALR), berufen, in der er in Berlin zum engsten Mitarbeiter von Svarez wurde. Einer Berufung zum Professor an der Universität Halle 1791 folgte schließlich 1800 die Rückkehr nach Berlin als Mitglied des Obertribunals und erneut der Gesetzeskommission.
In seiner Münchner Dissertation von 2001 hat Berndl es sich zum Ziel gesetzt, mit der Biographie Kleins ein "Zeitbild" zu schreiben, in wörtlicher Anlehnung an das Werk über Carl Gottlieb Svarez von 1885 aus der Feder des Großmeisters der preußischen Rechtsgeschichte, Adolf Stölzels. Mit dem Ergebnis kann man in keiner Weise zufrieden sein.
Denkbar knapp und wenig aufschlussreich fällt die Einleitung aus. Die prinzipielle Berechtigung der Gattung "Biographie" gegenüber der Strukturgeschichte wird unter schlichtem Hinweis auf Golo Manns "Wallenstein" und Christian Maiers "Caesar" mit einigen allgemeinen Sätzen konstatiert. Dem methodischen Problem, das nach Berndl darin besteht, als Autor dem zu beschreibenden Leben nicht eine Kohärenz und Zielstrebigkeit zu verleihen, die dieses nicht hatte, und dem Protagonisten keine Motive zu unterstellen, die man nicht nachweisen kann, begegnet er selbstbewusst: Man könne es "an sich" lösen, es reiche der durchlaufende Hinweis des Autors, seinen Stoff aktiv gestaltet und konstruiert zu haben, um dem Leser die Grenzen der biographischen Darstellung ständig vor Augen zu halten. Nicht zuletzt zu diesem Zweck jedoch werden einer wissenschaftlichen Arbeit gewöhnlich Literatur- und Quellenberichte vorangestellt: um die meist fragilen Grundlagen der historischen Rekonstruktion, den beeinflussenden wissenschaftlichen Kontext und das besondere, bewusst modellierende Forschungsinteresse zu verdeutlichen. Das alles bietet Berndl nicht, obwohl gerade seine eigene Prämisse, die Disparatheit seiner Quellen - von Kleins poetischen Werken über seine Autobiographie und wissenschaftlichen Abhandlungen bis hin zu Behördenakten - sowie die umfangreiche Forschungsliteratur zur Aufklärung im 18. Jahrhundert es dringend verlangt hätten.
Die "Fragestellungen und auch die historischen Methoden", so konstatiert Berndl, hätten sich seit den Zeiten Stölzels sehr verändert (18); worin nun allerdings die neuen Methoden - abgesehen von der kaum befolgten obigen - bestehen, erklärt er nicht. Und auch eine originelle und vor allem präzise Fragestellung hat er nicht zu bieten. Erst behauptet er, den Schwerpunkt gerade nicht auf die Ideen des Staats-, Straf- und Naturrechtsphilosophen Klein, sondern auf dessen "Produktions- und Lebensbedingungen" legen zu wollen (17); doch gleich darauf kündigt er an, bei dem Gelehrten und Beamten Klein "Leben und Werk in ihrer Verzahnung" zu zeigen. Hätte Berndl es bei dem ersten Ansatz gelassen, er hätte sich selbst und den Leser nicht überfordert. So jedoch gerät ihm das ganze Unternehmen aus den Fugen.
So ausführlich, wie es die Quellenlage zulässt, rekonstruiert Berndl auf 400 eng- und kleinstbedruckten Seiten nun den Lebensweg Kleins von der Geburt bis zum Tod und schildert die verschiedenen Lebensstationen als Anwalt, Gesetzesgestalter und Universitätslehrer. Das fehlende präzise Forschungsinteresse führt dazu, dass kein Aspekt unberührt bleibt, und kein Detail ist irrelevant genug, um nicht doch noch Erwähnung zu finden - von den ständigen unwichtigen Abschweifungen (z. B. zu österreichischen Adelsbibliotheken [!], 202, Fußnote 980) nicht zu reden. Man gewinnt den Eindruck, Berndl wolle noch jede Lesefrucht in sein Buch hineinzwängen. Ein roter Faden, eine Konturierung geht dabei völlig verloren; alltagsgeschichtliches Handbuchwissen wechselt mit wahllos eingefügten Tabellen, ausufernde Milieubilder stehen neben (oft juristischen) Diskussionen und Endloszitaten.
Weil Berndl jeden Aspekt bearbeiten will, kann er nirgendwo in die Tiefe gehen oder Anschluss an neueste Forschungen finden; so kommt eine Vorbemerkung zur "Bürokratie im 18. Jahrhundert" mit einer einzigen Fußnote zu Max Weber aus (183), und seine Thesen zur "Öffentlichkeit" mit einem dürren Verweis auf Habermas (179, 181 u. ö.). Auch bei den Kapiteln zum ALR fehlt die Bezugnahme auf die rechtshistorische Forschung weitgehend. Man wünscht sich, Berndl hätte sich mit nur einem Aspekt dieses überproduktiven Lebens eingehend beschäftigt (wie z. B. jüngst Ernst Haberkern in seiner bescheidener angelegten, gleichwohl überzeugenden Arbeit zur Berliner Mittwochsgesellschaft [1]), anstatt sich alles vorzunehmen, ohne dabei Wichtiges von Unwichtigem zu scheiden. Der Effekt ist eine extreme Disproportion zwischen den "großen" Themen der Aufklärung (z. B. Zensur, Judenemanzipation) einerseits und einer ins Extrem getriebenen Kleinteiligkeit und Detailversessenheit andererseits. Eine "Verzahnung von Leben und Werk" kommt aber nicht schon dadurch zustande, dass man zu Beginn des Kapitels zum ALR ausführlich aufzählt, wieviel Groschen ein Stempel, wieviel Taler ein Tisch gekostet hat und zu welchen Stunden gearbeitet wurde.
Hinzu kommen zwei weitere Mängel. Zum einen ist Berndl weder sprachlich noch kompositorisch ein großer Gestalter; die stilistischen Unschönheiten und Schnitzer sind Legion, und für ein "Lebensbild" fehlt ganz entschieden die gefällige Darbietung, die dem Leser die Lektüre zur Freude werden lässt ("Die 'Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen' bedeutet das Überlappen von Elementen und Faktoren, die zueinander anachronistisch sind" (50); Wachen werden entwaffnet, "ohne dass auch nur ein Tropfen Blut fällt" (30); Privilegien werden "freimütig erteilt" (52), u. ö.). Berndl ist jedoch nicht nur kein Stilist, er ist vor allem kein Jurist, und das ist der andere Mangel. Zwar kann der Rezensent dies auch nicht von sich behaupten, doch selbst dem Laien muss auffallen, wie ungenau oder falsch Berndl juristische Sachverhalte darstellt. Nur mit Erstaunen kann man beispielsweise folgende Feststellung zu frühneuzeitlichen Prozessen zur Kenntnis nehmen: "Die Untertanen fühlen sich immer verpflichtet, der Obrigkeit die Wahrheit zu sagen, die ganze, reine, unverfälschte Wahrheit, und zwar auch dann, wenn es ihnen selbst nur schadet. Dies erst ermöglicht die Mehrzahl der Kindsmordprozesse [...]" (113); oder die Behauptung, dass die preußische Gesetzeskommission "quasi-parlamentarische Funktion" gehabt habe, weil sie erlassene Gesetze auf Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht zu prüfen hatte (99). Man gewinnt nicht den Eindruck, dass juristische Sachverhalte kompetent erklärt werden, und oft genug ersetzen Langzitat und ausführliche Detaildarstellung die notwendige Beherrschung und Durchdringung des Stoffs.
Ohne prägnante Zielsetzung, ohne saubere Anbindung an den jeweiligen Forschungskontext, überbordend von unwichtigen Details, unbeholfen in der Darstellung: es ist ein Buch, das man unbefriedigt und unbelehrt zur Seite legt und das man keinem empfehlen mag, der sich mit Recht und Aufklärung im Preußen des 18. Jahrhunderts beschäftigen möchte. Lieber lese man Stölzels alten "Svarez" oder die neuere Forschungsliteratur.
Anmerkung:
[1] Ernst Haberkern: Limitierte Aufklärung. Die protestantische Spätaufklärung in Preußen am Beispiel der Berliner Mittwochsgesellschaft, Marburg 2005
Ulrich Kober