Ute Daniel (Hg.): Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. zum 21. Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 264 S., 30 Abb., 4 Schaubilder, ISBN 978-3-525-36737-7, EUR 24,90
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In dem Maße, in dem das Militär die öffentliche Meinung als Instrument moderner Kriegführung entdeckte, wuchs die Bedeutung der Kriegsberichterstattung. War dies zunächst noch das Monopol der Militärs, tummelten sich später Abenteurer wie Theodor Fontane, Winston Churchill oder Ernest Hemingway auf den Schlachtfeldern, während heute "Profis" mit modernsten Mitteln die Berichterstattung besorgen. War noch bis in den Ersten Weltkrieg die Malerei das adäquate visuelle Mittel der Kriegsdarstellung, schufen später Fotografen wie Robert Capa wahre Ikonen, nicht nur des Genres, sondern der gesamten Fotogeschichte. Dauerte es in der Frühen Neuzeit noch Tage, bis sich die Nachrichten vom Schlachtfeld verbreiteten, kann der Fernsehzuschauer heute im heimischen Wohnzimmer per Satellitenschaltung live Bombardierungen beiwohnen - er wird quasi selbst zum "Augenzeugen". Bei allem technischen Fortschritt ist aber die "entscheidende Bedeutung für die zeitgenössische Wahrnehmung und Deutung des jeweiligen Kriegs und damit für seine politische und gesellschaftliche (De-)Legitimation" (8) geblieben. Die Relevanz, sich mit der Geschichte der Kriegsberichterstattung und dem Verhältnis zwischen den Medien und dem Militär zu befassen, liegt somit auf der Hand.
Der vorliegende, von der Braunschweiger Historikerin Ute Daniel herausgegebene Sammelband basiert auf einer Sektion des Kieler Historikertages von 2004 und auf dem Braunschweiger Projekt zur vergleichenden Geschichte der Kriegsberichtserstattung im 20. Jahrhundert. Nach einer höchst lesenswerten Einleitung der Herausgeberin folgen neun Fallstudien zu verschiedenen militärischen Konflikten der letzten 250 Jahre: dem Siebenjährigen Krieg (Andreas Gestrich), dem Krimkrieg (Ute Daniel), zu Deutschland im Krieg von 1870/71 (Frank Becker), dem Burenkrieg (Andreas Steinsieck), zu deutschen und französischen Kriegsberichterstattern im Ersten Weltkrieg (Almut Lindner-Wirsching), dem Spanischen Bürgerkrieg (Gerhard Paul), der Zäsur in der Kriegsberichterstattung überhaupt (141), zur "Deutschen Wochenschau" (Kay Hoffmann), dem Vietnamkrieg (Lars Klein), schließlich zu den "Neuen Kriegen" nach 1989 (Karl Prümm).
Die jeweils etwa 25 Seiten langen Abhandlungen, versehen mit Literaturangaben und ausführlichen Anmerkungen, spannen einen Bogen aus einer Zeit, als die Kriegsberichterstatter noch "Gentlemen unter Gentlemen" (13) waren und folglich nicht vom Krieg des "kleinen Mannes" oder gar der Zivilbevölkerung, die ohnehin keine gute Story boten (106), berichteten, bis zum "living room war" (16) des modernen Fernsehzeitalters. Der Leser erfährt hierbei durchaus Erstaunliches, etwa dass die erste "Einbettung" von Journalisten bereits 1879 stattfand (17), die TIMES während des Krimkrieges die erste "medieninduzierte Spendenaktion der Kriegsgeschichte" (46) durchführte, das "poolsystem" bereits im Ersten Weltkrieg zur Anwendung kam (120), oder die Arbeitsweise der "embedded correspondents" Parallelen zu der der Propagandakompanien der Wehrmacht aufweist (224).
Gelungen sind die Beiträge von Ute Daniel, Gerhard Paul und Frank Becker, der die Bedeutung der Kriegsberichterstattung bei der Konstruktion des "Erlebnisraums Nation" (77) im Vorfeld der Reichsgründung herausarbeitet. Ein Fremdkörper ist dagegen der Beitrag von Andreas Gestrich. Wie er selbst ausführt, handelte es sich bei den Korrespondenten des Siebenjährigen Krieges mitnichten um "Augenzeugen", ihre Quellen waren offizielle Verlautbarungen (25). Könnte dies noch als Ausgangspunkt und Kontrast für die folgenden Beiträge dienen, sind die weiteren Ergebnisse unbefriedigend. Dass in Kriegszeiten ein "kaum verdeckter Meinungsjournalismus betrieben" (30) wird, erstaunt genauso wenig wie der Befund, das "Wienerische Diarium" habe hauptsächlich über preußische Plünderungen berichtet - dies ist banal! Enttäuschend ist auch der Beitrag von Kay Hoffmann über die "Deutsche Wochenschau", trotz aller vorhandenen - technischen - Detailkenntnisse. Weshalb es sich hierbei um den "Mythos der perfekten Propaganda" handelt, bleibt unklar. Die Wirkung der Berichterstattung bis zum heutigen Tag, und wie diese wortwörtlich das Bild von der Wehrmacht geprägt hat, wird nur auf einer Seite abgehandelt - und damit unzureichend. Statt langatmig aus der Sekundärliteratur zu zitieren, wäre es besser gewesen, diese Aspekte zu vertiefen. Wie mit Mythen umgegangen werden sollte, demonstriert Lars Klein in seinem Beitrag über den Vietnamkrieg, dem stärksten Beitrag des Bandes. Er zeigt anschaulich, dass die erste Generation der Kriegsberichterstatter keinen Zweifel am Sinn des Krieges hatte. Kritik ergab sich - wenn überhaupt - an der Taktik der US-Streitkräfte und ihrer vietnamesischen Verbündeten; Konflikte gab es zunächst nur zwischen Reportern und ihren Redaktionen. Erst nach der Tet-Offensive kann von einer kritischen Berichterstattung die Rede sein. Auch der Reporter, der im Dschungel von Vietnam den Krieg hautnah miterlebte, war nicht die Regel. Lediglich 10 % der Berichte waren "bang-bang"-Geschichten (197). Dass dennoch das Bild vom Vietnamreporter als Kriegskritiker und Gegenpart der Militärs entstand, lag nicht unwesentlich an der Idealisierung und Mythologisierung der eigenen Rolle durch die Autobiografien der Beteiligten (211).
Die natürliche Heterogenität eines Sammelbandes ist zugleich seine Stärke und Schwäche. Positiv im vorliegenden Fall sind die verschiedenen Ansätze der Autoren. Hier ist vor allem der Beitrag des Medienwissenschaftlers Karl Prümm hervorzuheben, der für den "normalen" Historiker fruchtbare Impulse bietet. Das unterschiedliche Vorgehen bedingt aber auch, dass ein roter Faden nicht immer zu erkennen ist. Den Autoren ist hierbei kein Vorwurf zu machen, da es der begrenzte Raum eines Aufsatzes kaum zulässt, auf die neun in der Einleitung formulierten Kernfragen (8) gleichermaßen und vollständig zu antworten. Auch kann in neun Fallstudien auf 264 Seiten nicht die gesamte Entwicklung der letzten 250 Jahre vollständig analysiert werden. Somit ist der vorliegende Sammelband keineswegs "die erste fundierte Geschichte der internationalen Kriegsberichterstattung", wie es der Klappentext suggeriert. Es wäre aber müßig und anmaßend aufzuzählen, was alles fehlt. Sicherlich wäre für den Prozesscharakter die Konzentration auf eine Nation sinnvoller gewesen - die USA drängt sich hier förmlich auf; oder die Beschränkung auf zwei Nationen, um das vergleichende Moment nicht zu verlieren. Wertvoll ist das vorliegende Buch aber allemal, denn als "Einstiegshilfe konzipiert" (10), erfüllt der Sammelband diese Funktion voll, wobei in diesem Zusammenhang die kommentierte Auswahlbibliografie (231-255) besonders lobend hervorgehoben werden muss. Knapp und kompakt wird dem Leser ein erster Überblick präsentiert, der die Relevanz der Thematik verdeutlicht. Da das Konfliktverhältnis zwischen Medien und Militär älter ist als CNN, gilt Karl Prümms Forderung, "die Historiographie des neuen Krieges muss eine kritische Historiographie der Medienrealität sein" (228), eben nicht nur für die "Neuen Kriege", sondern für die gesamte moderne Militärgeschichte.
Timm C. Richter