Rezension über:

Joanne Turner-Sadler: African American History. An Introduction, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, XVIII + 281 S., ISBN 978-0-8204-6932-4, EUR 26,80
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Rezension von:
Simon Wendt
Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität, Heidelberg
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fahrmeir
Empfohlene Zitierweise:
Simon Wendt: Rezension von: Joanne Turner-Sadler: African American History. An Introduction, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 9 [15.09.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/09/10779.html


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Joanne Turner-Sadler: African American History

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Angesichts der zunehmend unüberschaubar werdenden Forschung zur afroamerikanischen Geschichte ist Joanne Turner-Sadlers kompakte Darstellung (250 Seiten Text) dieses wichtigen Bereichs der nordamerikanischen Geschichte durchaus zu begrüßen. Wer jedoch ein an der neusten Historiografie orientiertes Überblickswerk erwartet, wird - um es vorweg zu nehmen - von dieser Einführung enttäuscht sein. Joanne Turner-Sadler, die Pädagogik am Daemen College in Amherst, New York, unterrichtet, beschreibt ihr Werk als "a good general guide to beginning the study of African American History." (xviii) Diesem Anspruch folgend schildert sie weitestgehend chronologisch die Geschichte schwarzer Amerikaner von der ersten Besiedelung des afrikanischen Kontinents bis zur Gegenwart. In achtzehn Kapiteln beschreibt Turner-Sadler die Anfänge der Menschheit in Afrika, die Geschichte der verschiedenen Völker, die dort entstanden, den transatlantischen Sklavenhandel, die Entstehung und Entwicklung der Sklaverei in Nordamerika, den schwarzen Freiheitskampf gegen Diskriminierung und Entrechtung im 19. und 20. Jahrhundert und schließlich die gegenwärtigen Probleme der afroamerikanischen Bevölkerung.

Während man sich eine forschungsnahe Darstellung und Diskussion der afroamerikanischen Geschichte gewünscht hätte, hat dieses Werk einen in erster Linie pädagogischen Anspruch. So möchte die Autorin nach eigener Aussage den Mythos afrikanischer und afroamerikanischer Minderwertigkeit widerlegen, den Beitrag schwarzer Menschen zu den Errungenschaften der amerikanischen Gesellschaft würdigen und den Begriff "Rasse" als soziales Konstrukt entlarven. Gegen solch ein Bildungsziel ist grundsätzlich nichts einzuwenden, jedoch führt es in diesem Fall auf Grund mangelnder Aufarbeitung der Forschung oft zu undifferenzierten und teilweise faktisch falschen Aussagen.

So erwähnt Jackson-Turner nicht, dass ihre, an den Arbeiten des afroamerikanischen Historikers Molefi Asante orientierte, afro-zentristische Darstellung der Geschichte (welche beispielsweise Ägypten als schwarze Zivilisation ansieht) durchaus kontrovers diskutiert wurde und wird. Auch im Falle der Frage nach den Ursprüngen des Rassismus in Nordamerika bleibt die nach wie vor schwelende Debatte über dieses Thema unerwähnt. Vielmehr akzeptiert sie die von marxistischen Historikern formulierte These, dass Diskriminierung in der Kolonialgesellschaft des 17. Jahrhunderts in erster Linie auf Klassenunterschiede, nicht auf Rassismus, zurückzuführen sei. Erst später, so die Autorin, zerstörten diskriminierende Gesetze die lange vorherrschenden harmonischen Bande zwischen Europäern und Afrikanern. Die Tatsache, dass Jackson-Turner eine Vielzahl von Studien ignoriert, die rassistische Ideologien und Praktiken in England und in den britischen Kolonien lange vor der erwähnten Gesetzgebung nachgewiesen haben, ist vermutlich ihrem pädagogischen Auftrag geschuldet, trägt jedoch nicht zu einer ausgewogenen Darstellung der afroamerikanischen Geschichte bei. Die Ausführungen der Autorin über den Ku Klux Klan sind hingegen schlichtweg falsch. So wird behauptet, dass die amerikanische Regierung während der Reconstruction (der Wiederaufbau-Phase im Süden nach dem amerikanischen Bürgerkrieg) nichts gegen die Gräueltaten dieser terroristischen Organisation unternommen habe. Tatsächlich erließ die Regierung aber Gesetze, die zum Niedergang des ersten Ku Klux Klan (der Leser erfährt nicht, dass es im 19. und 20. Jahrhundert verschiedene Organisationen gab, die zwar denselben Namen trugen, aber oft unterschiedliche Ziele hatten) beitrugen, auch wenn diese Bemühungen erst spät einsetzten und als halbherzig zu bezeichnen sind.

Auf ähnliche Weise tragen Sätze wie "Lynching replaced Reconstruction in the South" (113) eher zur Verwirrung denn zur Erhellung eines komplexen Übergangs von einer Sklavengesellschaft hin zu einer gesetzlich legitimierten und durch Gewalt durchgesetzten Rassenhierarchie im amerikanischen Süden des späten 19. Jahrhunderts bei. Gleichermaßen wird die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung in ihrer Komplexität kaum richtig erfasst. Die Autorin beschränkt sich darauf, bekannte nationale Aktivisten und Organisationen aufzuzählen, statt die in der Forschung seit langem herausgearbeitete Bedeutung lokaler Aktivisten und deren Aktivitäten im Süden und Norden näher zu beleuchten.

Auch die Gliederung einzelner Kapitel hätte die Autorin überdenken müssen. Das Kapitel über die Bürgerrechtsbewegung diskutiert zum Beispiel Wählerregistrierungskampagnen in Mississippi, welche im Jahr 1964 stattfanden, vor gewaltlosen Demonstrationen, welche mehrere Jahre davor organisiert wurden. Die Entwicklung bestimmter Protesttaktiken ist somit schwer nachzuvollziehen, wobei Turner-Sadler auf diesen Prozess ohnehin nicht näher eingeht. In diesem Zusammenhang erschließt sich dem Rezensenten auch nicht die Entscheidung der Autorin, zwei Kapitel der Kriegserfahrung schwarzer Amerikaner zu widmen. Das vierzehnte Kapitel diskutiert beispielsweise den Koreakrieg, den Vietnamkrieg und den Golfkrieg (Desert Storm), wobei die Autorin nicht verrät, worin der Zusammenhang zwischen diesen Kriegen besteht. Sinnvoller wäre es gewesen, den Zweiten Weltkrieg, den Koreakrieg und den Vietnamkrieg im Kapitel über die Bürgerrechtsbewegung einzubeziehen, da Kriegsveteranen eine wichtige Rolle in den Bürgerrechtsaktivitäten der 1950er- und 1960er-Jahren spielten und die Radikalisierung der Bewegung in einem engem Zusammenhang mit der schwarzen Kriegserfahrung in Vietnam stand.

Während man einige der erwähnten Probleme mit der sehr gerafften Darstellung erklären kann, hätten doch viele ungenaue Formulierungen und die mangelnden Verweise auf historiografische Debatten durch eine Aufarbeitung der wichtigsten historischen Forschung vermieden werden können. In den knapp acht Seiten umfassenden Literaturangaben finden sich überraschenderweise weder einschlägige Werke zur Sklaverei noch grundlegende Studien zur Bürgerrechtsbewegung. Auch die wichtigsten Monografien zu anderen Themengebieten, wie zum Beispiel dem Bürgerkrieg, der Reconstruction, der Great Migration, oder der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre, sucht man vergebens. Über die Hälfte der Literaturangaben sind Internetseiten, manche davon von fraglicher fachlicher Qualität. Selbst als Recherchehilfe bei der Erschließung bestimmter Teilgebiete der afroamerikanischen Geschichte ist diese Einführung somit wenig hilfreich.

Insgesamt hinterlässt diese Einführung einen größtenteils negativen Eindruck. Während man Turner-Sadlers Darstellung für Schüler in amerikanischen High Schools als Einstieg ins Thema noch empfehlen kann, ist es für den Gebrauch in der universitären Lehre gänzlich nutzlos. Studenten, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen, sollten stattdessen die reichlich illustrierte und gut geschriebene Gesamtdarstellung von Darlene Clark Hine, William C. Hine und Stanley Harrold oder das von Robin D. G. Kelley und Earl Lewis herausgegebene To Make Our World Anew konsultieren. Eine gute deutschsprachige Einführung bietet das von Norbert Finzsch, James Horton und Lois Horton verfasste Von Benin nach Baltimore. [1]


Anmerkung:

[1] Darlene Clark Hine / William C. Hine / Stanley Harrold: The African-American Odyssey, Upper Saddle River, N.J. 2005; Robin D. G. Kelley/Earl Lewis (Hg.): To Make Our World Anew. A History of African Americans, New York 2001; Norbert Finzsch / James O. Horton / Lois E. Horton: Von Benin nach Baltimore. Die Geschichte der African Americans, Hamburg 1999.

Simon Wendt