Mari Olsen: Soviet-Vietnam Relations and the Role of China, 1949-64. Changing alliances (= Cass Series: Cold War History; 10), London / New York: Routledge 2006, xx + 201 S., ISBN 978-0-415-38474-2, GBP 65,00
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In den vergangenen Jahren hat die so genannte New Cold War History Agenda und Möglichkeiten der Erforschung des Kalten Kriegs erheblich erweitert. Sie hat ein multiperspektivisches Bild der Nachkriegsära entworfen, das die reine Bipolarität der Konfrontation aufbricht und zugleich die unterschiedlichen Einflussfaktoren in der nationalen Entscheidungsfindung neu gewichtet: Gerade Analysen der Systemkonkurrenz in der Dritten Welt verweisen immer wieder auf das Eigengewicht regionaler Akteure, deren Handlungen besonders von Moskau aus kaum durchgängig zu kontrollieren waren. Dieselben Schauplätze zeigen zugleich die ideologischen Antriebskräfte sowjetischen Engagements auf internationalem Parkett. [1]
An diese grundsätzlichen Erkenntnisse schließt die Studie von Mari Olsen an, die am renommierten Osloer International Peace Research Institute entstanden ist. Es ist erklärtes Ziel der Autorin, sowohl die Einflussmöglichkeiten des "kleineren" Partners in den sowjetisch-nordvietnamesischen Beziehungen auszuloten als auch die Bedeutung ideologischer Faktoren herauszuarbeiten (XVI-XVIII). Beide Komponenten wurden natürlich in einer komplexen Dreiecksbeziehung vom maoistischen Nachbarn mitbestimmt, den Olsen folgerichtig in ihre Analysen einbezieht. Das ambitionierte Vorhaben scheint nur zum Teil geglückt. Das liegt weniger an der zwangsläufig einseitigen - Moskauer - Quellenlage. Deren methodischer Gefahren war sich die Autorin wohl bewusst und hat sie durch die mittlerweile ergiebige Forschungsliteratur auch zur chinesischen Politik abfedern können. Dabei spricht Olsen im Übrigen eingangs von überraschend ergiebigen Möglichkeiten in Moskauer Archiven einschließlich des Archivs des Außenministeriums, muss aber im Verlauf der Studie immer wieder archivpolitisch bedingte Lücken einräumen (51 f., 75 f.).
Von größerem Gewicht ist das Manko, dass Olsen sich zu weiten Teilen vor allem auf Hanois Selbstbestimmung konzentriert und das selbst gewählte Problemfeld der ideologischen Faktoren der Moskauer Politik sehr vernachlässigt. Das allgemeine Postulat der Vereinbarkeit von Ideologie und Sicherheitsvorstellungen (146 f.) trifft zu, bleibt in der vorangegangenen Darstellung aber zu oft ausgeblendet. Die wichtigsten analytischen Ansätze zur Erhellung ideologiebedingter Moskauer Bemühungen finden sich demgemäß erst auf Seite 140 des 149 Seiten langen Textes. Die Idee, im Anschluss an Überlegungen u. a. von Gold-Davies zum sowjetischen Systemexport die Übertragung der sowjetischen Gesellschaftsvorstellungen auf dem Wege der Wirtschaftshilfe zu untersuchen, wird leider nicht ausgeführt, obwohl dieser Bereich für das Moskauer Konkurrenzdenken gegenüber dem Westen - und China - unweigerlich zentral war. [2] Auf diese Weise konzentriert sich Olsen letztlich doch wieder auf die diplomatischen Beziehungen der Partner; ihre recht pauschale Kritik an Gaiduks Standardwerk zur sowjetischen Vietnampolitik der 1950er- und frühen 1960er-Jahre, dem sie eben diese Schwerpunktsetzung vorwirft, ist nicht nur in diesem Aspekt nicht ganz nachvollziehbar (XV). [3]
Olsen weist in ihrer chronologischen Darstellung Erfolg und Grenzen nordvietnamesischer Selbstständigkeitsbemühungen gegenüber Moskau (und Peking) detailliert nach. Ho Chi Minhs Demokratische Republik Vietnam (DRV) übernahm von Anfang an eine aktive Rolle in den Beziehungen zur UdSSR. Über ihre Vertretung in Bangkok suchte die DRV sowohl bei den USA als auch der Sowjetunion Unterstützung für ihre Unabhängigkeit von Frankreich - beide Ansprechpartner haben sich hier verweigert. Moskau widmete Hanoi erst nach dem Ende der kommunistischen Regierungsbeteiligung in Frankreich, dem eigenen offenen Bruch mit dem Westen und der Verkündigung der Zwei-Lager-Theorie im September 1947 mehr Aufmerksamkeit. Die UdSSR konnte sich aber noch im Herbst 1948 nicht einmal dazu durchringen, 50 Offiziersanwärter und einige dutzend Wirtschaftsstudenten aus dem "nahestehenden" Vietnam auszubilden (11). Erst der endgültige Sieg Maos in China eröffnete in Stalins Augen neue Perspektiven in Asien. Die durch Wiederaufbau, osteuropäische Expansion und Rüstung stark belastete Sowjetunion zog es indes vor, China mit der direkten Verantwortung und den damit verbundenen Belastungen zu betrauen. Das kam offenkundig chinesischen Ambitionen auch gegenüber Vietnam entgegen, und Hanois Militär und Wirtschaft brauchte dringend jede verfügbare Unterstützung. Diese Interessenlagen führten dazu, dass Stalin zwar wenige Tage nach China die DRV anerkannte (30. Januar 1950), es aber bis zum April 1952 dauerte, ehe der erste nordvietnamesische Botschafter in Moskau akkreditiert wurde; eine sowjetische Botschaft in Hanoi ließ gar bis 1954 auf sich warten. Dagegen engagierte sich China gleich noch mit einem umfassenden militärischen Beraterstab und einer über 100-köpfigen Expertengruppe für den Aufbau von Regierungs- und Verwaltungsapparaten.
Die Genfer Konferenz von Mai bis Juli 1954 sah dann den konzertierten Auftritt von DRV, China und Moskau gegenüber dem Westen. Dank der lagerinternen Hierarchie konnte sich die UdSSR als außenpolitischer Förderer Chinas gerieren und mit dessen Hilfe zugleich die als vorübergehend gedachte Teilung Vietnams gegen die Vorstellungen Hanois durchsetzen. Vietnamesische Einheitswünsche hatten hinter der sowjetisch-chinesischen Kombination aus Entspannungsansätzen, Prestige- und Sicherheitsdenken sowie Pragmatismus zurück zu stehen: Olsen geht davon aus, dass Genf in Moskauer Augen aber auch den Weg zur Konsolidierung Nordvietnams und zu einer friedlichen Vereinigung unter kommunistischen Vorzeichen offen ließ; das korrespondiert mit sowjetischen Entwürfen von Maximal- und Minimalzielen für die Verhandlungen. Der konkrete Stellenwert derartiger Überlegungen in der Moskauer Politik bleibt indes noch abzuklären.
Moskau unterschätzte jedenfalls das Einheitsbestreben in Hanoi. Die nordvietnamesische Eskalationsstrategie von Infiltration des Südens und Guerilla ab Mitte der 50er-Jahre geschah daher ohne Zustimmung, ja ohne Konsultation des Kreml. Zugleich entfiel mit der chinesisch-sowjetischen Entfremdung die Statthalterrolle Pekings in der DRV für die UdSSR. Dabei waren aber die miteinander kompatiblen regionalstrategischen Überlegungen noch bis 1961 ausreichend, um den tiefen ideologischen Spalt zwischen den sozialistischen Großmächten zumindest nach außen zu übertünchen, wie die zweite Genfer Konferenz zu Laos zeigte. Angesichts der hohen Abhängigkeit Hanois von Auslandslieferungen hoffte die DRV trotz ihrer klaren Abkehr von Moskau noch lange nach dem endgültigen Zerwürfnis Chinas mit der Sowjetunion auf eine Aufrechterhaltung der Lagersolidarität in der Vietnampolitik, denn nach 1955 hatten die sozialistischen "Bruderländer" über 50 Prozent des nordvietnamesischen Staatshaushalts zu schultern (77 f.)! Erst im Dezember 1963 sprach sich Hanoi endgültig für Maos Konzept des revolutionären Kriegs aus, vermied aber den offenen Bruch mit Moskau. Der schnelle Positionswechsel Hanois zurück zu Moskau seit Sommer 1964 war vor allem darauf zurückzuführen, dass nur die Sowjetunion der DRV die notwendige Unterstützung gegen die USA gewähren konnte. Moskau, das sich nicht mehr auf China stützen, die Amerikaner nicht reüssieren lassen und Nordvietnam nicht außerhalb jeder Kontrolle lassen konnte, musste sich ab Ende 1964 doch in einem Krieg engagieren, den es nicht hatte verhindern können.
Olsen bestätigt mit ihrer Untersuchung letztlich die Eigenständigkeit Hanois gegenüber der UdSSR, die schon Gaiduk beschrieben hatte. Sie bereichert die bilaterale Beziehungsgeschichte aber durch die stringente Einbeziehung des chinesischen Faktors, ohne den eine Erklärung Moskauer Politik unvollständig bliebe. Damit ist die Studie ein nützlicher Beitrag zur Internationalisierung der Geschichte des Kalten Kriegs. Der Verlag muss sich aber fragen lassen, ob ein Preis von rund 90 Euro für das doch recht schmale Bändchen den wissenschaftlichen Ertrag letztlich nicht zur Wirkungslosigkeit verdammen muss.
Anmerkungen:
[1] Vgl. programmatisch Odd Arne Westad (Hg.): Reviewing the Cold War: approaches, interpretations, theory, London 2000.
[2] Nigel Gould-Davies: Rethinking the role of ideology in international politics during the Cold War, in: Journal of Cold War Studies, 1 (1999), Nr. 1.
[3] Ilya V. Gaiduk: Confronting Vietnam. Soviet policy toward the Indochina conflict, 1954-1963, Stanford 2003.
Andreas Hilger