Joëlle Beaucamp: Recherches sur la Chronique de Jean Malalas I (= Monographies; 15), Paris: Association des Amis du Centre d'Histoire et Civilisation de Byzance 2004, 203 S., ISBN 978-2-9519198-3-9, EUR 30,00
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Die Weltchronik des Johannes Malalas galt lange wegen ihres eigentümlichen Stils, ihres scheinbar naiven Duktus und aufgrund schwerer inhaltlicher Mängel in der historischen Darstellung als typisches Produkt ungelehrter Mönchsliteratur in der ausgehenden Spätantike beziehungsweise im frühen Byzanz, als Beispiel für den Verfall von Bildung und Gelehrsamkeit. Noch im Jahr 1978 konnte der Byzantinist Herbert Hunger in seiner bis heute maßgeblichen byzantinischen Literaturgeschichte die Chronik des Malalas als vorzügliches Exempel der zeitgenössischen Trivialliteratur kennzeichnen. [1] Entsprechend dieser negativen Charakterisierung hat Johannes Malalas lange ein Schattendasein in der Forschung geführt. Lediglich für die Jahre um 1900 lässt sich ein begrenztes wissenschaftliches (namentlich philologisches) Interesse an diesem Autor nachweisen; danach wurde es still um ihn, bis im Jahr 1986 eine australische Forschergruppe erstmals eine englische Malalas-Übersetzung vorlegte [2], die im Jahr 1990 um einen Sammelband mit fundamentalen Aufsätzen zu diesem Chronisten ergänzt wurde. [3] Diese Vorarbeiten der Australier bildeten eine wichtige Grundlage für die Forschungen Johannes Thurns, dessen im Jahr 2000 erschienene Malalas-Edition endlich eine solide, den Grundsätzen wissenschaftlich-kritischen Arbeitens genügende Basis für weiteres Arbeiten liefert. [4]
In den letzten etwa 15 Jahren hat die Forschung zur spätantiken Historiografie erhebliche Fortschritte erzielen können, hat sich von etablierten Vorurteilen gelöst und konnte dabei unter anderem auch für Johannes Malalas mehrfach belegen, dass dieser Autor eine eminent wichtige Quelle nicht nur für die Geschichte des 6. Jahrhunderts n. Chr. darstellt, und dass eine Beschäftigung mit dem Chronisten aus verschiedenen Gründen lohnend ist. Den aktuellen Stand der Malalas-Forschung hat vor kurzem Elizabeth Jeffreys in einem einführenden Überblicksbeitrag zusammengefasst. [5]
Im Kontext der aktuellen Bemühungen um ein angemessenes und tieferes Verständnis der spätantiken Geschichtsschreibung erlebt somit zurzeit auch Johannes Malalas eine Renaissance. Im seit Januar 2006 von der DFG geförderten Tübinger Malalas-Projekt soll ein mehrbändiger historisch-philologischer Kommentar zur Chronik entstehen; vorausgehen wird diesem größeren Vorhaben die Publikation der deutschen Malalas-Übersetzung von Johannes Thurn, der kurz vor der Veröffentlichung seiner Edition verstorben war und die Übersetzung in einer unüberarbeiteten Rohfassung hinterlassen hat. Auch in Frankreich hat sich mittlerweile eine Forschergruppe zusammengefunden, die sich den vielfältigen Problemen widmet, die der Malalas-Text aufwirft, und deren Ziel die Erarbeitung einer kommentierten französischen Übersetzung ist. Zu den Aktivitäten dieser Gruppe zählte auch eine im März 2003 abgehaltene Tagung, deren Referate in dem hier anzuzeigenden Sammelband vorliegen.
Obwohl die einzelnen Beiträge ganz unterschiedlichen Facetten der Malalas-Chronik gewidmet sind, verweisen sie doch deutlich auf einen Trend, der sich auch in der übrigen aktuellen Malalas-Forschung abzeichnet: Zunehmend treten elementare Fragen nach den Quellen des Chronisten sowie nach der komplizierten Überlieferung seines Werkes in den Vordergrund; jede vermeintliche Antwort auf konkrete Einzelfragen, jeder kleinere Fortschritt öffnet dabei zurzeit lediglich den Blick für weitere, immer komplexere Probleme. Insofern manifestiert auch der französische Tagungsband vor allem eines: Die Malalas-Forschung steht noch ganz am Anfang.
Emmanuèle Caire widmet sich - ausgehend von der Darstellung des diamerismos bei Malalas - der Frage nach den Quellen des 1. Buches und kann Hinweise auf die Kenntnis einer Tradition durch den Chronisten herausarbeiten, die bis zum Jubiläenbuch reicht. Trotzdem unterscheiden sich die geografischen Angaben des Malalas beträchtlich vom traditionellen Material. Caire will dies nicht nur auf Überlieferungsprobleme oder Missverständnisse des Malalas zurückführen, sondern stellt die These in den Raum, dass der Chronist möglicherweise gezielt versucht habe, unterschiedliche Informationen miteinander zu vereinbaren. Auch die von Katell Berthelot behandelte Frage nach jüdischen Traditionen in der Chronik zielt letztlich wiederum auf die grundsätzliche Problematik der vom Autor verwendeten Quellen. Berthelot weist einmal mehr auf die zahlreichen Unkorrektheiten und Irrtümer des Malalas hin, gibt aber zu bedenken, dass auch die frühkaiserzeitlichen jüdischen Autoren vielfach sehr frei und variabel mit der alttestamentlichen Überlieferung umgegangen sind; Malalas stehe insofern in einer gewissen Tradition.
Einem besonderen Phänomen, den nur in den ersten Büchern der Chronik erscheinenden mystikoi, ist die Studie von Anne-Marie Bernardi gewidmet. Bei den mystikoi handelt es sich um Gestalten, denen Malalas besonderes Wissen beziehungsweise besondere Macht zuschreibt; warum der Autor aber bestimmte Figuren in dieser Weise hervorhebt, wurde bisher noch nicht befriedigend erklärt. Bernardi, deren Beitrag sich vor allem als darstellende Erörterung der in diesem Zusammenhang wichtigen Personen liest, vermutet, dass die mystikoi nur im Kontext des Gesamtwerks gedeutet werden können und dass der aufgeklärte Christ Malalas mit Blick auf seine eigene Zeit an ihnen zeigen wollte: "Le savoir mystique est vaincu" (64).
Mit den Nero-Kapiteln im 10. Buch der Chronik beschäftigt sich Gilles Dorival. Die erstaunliche Darstellung, die Nero in einem durchaus positiven Licht als epikureisch beeinflussten Kaiser mit Interesse an Wirken und Person Jesu zeigt und insbesondere den Konflikt zwischen Petrus und Simon Magus thematisiert, wurde in der Vergangenheit auf Einflüsse Pseudo-Clementinischer Texte zurückgeführt; Dorival, der eine ausführliche, für seine Argumentation aber letztlich unnötige Liste der historischen Irrtümer und Ungereimtheiten in Malalas' Bericht gibt (73-77), zeigt, dass diese These nicht zutreffen kann, und vertritt die These, dass die Quellen des Chronisten in diesem Fall eher in der apokryphen Petrus-Paulus-Literatur gesucht werden müssen, wofür insbesondere ein nur armenisch überlieferter Martyriumsbericht spreche, dem zumindest dieselbe Quelle wie Malalas zugrunde gelegen haben müsse.
Mit der Frage, wie Malalas in Buch 13, das die Herrschaft der Kaiser des 4. Jahrhunderts umfasst, mit kirchengeschichtlichen Aspekten umgegangen ist, beschäftigt sich der Beitrag von Annick Martin, die den nüchternen Duktus der Darstellung hervorhebt, welche anders als etwa die Mitte des 5. Jahrhunderts entstandene Kirchengeschichte Theodorets keine deutlich apologetischen oder scharf polemischen Passagen enthält. Stattdessen biete Malalas eine flüssige Darstellung der nach göttlichem Heilsplan ablaufenden Geschichte, in der unter anderem die Probleme, die sich auch für Christen mit der Person Konstantins verbanden (zum Beispiel seine Taufe), geschickt umgangen werden.
Pascal Boulhol untersucht die Chronik unter der Fragestellung nach dem Einfluss hagiografischer Literatur anhand der im Malalas-Text konkret greifbaren Fälle, die - wie nahezu die gesamte Darstellung - eine deutliche Zentrierung auf Antiocheia manifestieren. Auch in diesem Fall kann die wiederum elementar wichtige Quellenfrage aber nicht befriedigend gelöst werden: Dass Malalas ohne Zweifel hagiografische Quellen benutzt hat, daneben aber auch mündliche Erzählungen aufgegriffen hat, bleibt als Ergebnis noch zu wenig konkret.
Den wichtigsten Beitrag des Bandes stellen ohne Zweifel die Überlegungen Bernard Flusins zur Bedeutung der Konstantinischen Exzerpte (10. Jahrhundert) für die Rekonstruktion des Ur-Malalas dar. Flusin kann zeigen, dass diese Textauszüge von ganz unterschiedlichem Wert und jeweils im Einzelnen zu beurteilen sind. Ihre Qualität sei "très variable" (136), sie böten "un matériel intéressant, mais assez difficile à exploiter" (133). Keinesfalls könne man in ihnen grundsätzlich Fragmente des "vrai Malalas" sehen (129). Flusins Analyse der Konstantinischen Exzerpte mündet in eine Kritik der Edition Thurns, der die komplexe Beschaffenheit dieses Stranges der Nebenüberlieferung nicht angemessen dargestellt und berücksichtigt hat; allerdings ist zu bedenken, dass Thurn nicht mehr dazu gekommen ist, letzte Hand an seine Edition anzulegen.
Ebenfalls problematisch sind Thurns Rückübersetzungen ins Griechische aus den slavischen Malalas-Fragmenten, die Irène Sorlin kritisiert. Muriel Debié untersucht die komplizierte syrische Malalas-Tradition und hebt dabei die Malalas-Rezeption des Johannes von Ephesos als zentrale Schaltstelle für die weitere Überlieferung besonders hervor.
Der sorgfältig angelegte Sammelband stellt einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Malalas-Forschung dar. Es bleibt zu hoffen, dass die französische Forschergruppe ihren Untersuchungsgegenstand weiterhin mit ähnlicher Stringenz und Konsequenz behandelt.
Anmerkungen:
[1] H. Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, Bd. 1, München 1978, 321.
[2] The Chronicle of John Malalas. A Translation by E. Jeffreys / M. Jeffreys / R. Scott, Melbourne 1986.
[3] E. Jeffreys / B. Croke / R. Scott (Hg.): Studies in John Malalas, Sydney 1990.
[4] Ioannis Malalae Chronographia rec. I. Thurn, Berlin / New York 2000. Ganz unbefriedigend ist die ältere Edition: Ioannis Malalae Chronographia, ed. L. Dindorf, Bonn 1831.
[5] E. Jeffreys: The Beginning of Byzantine Chronography: John Malalas, in: G. Marasco (Hg.): Greek and Roman Historiography in Late Antiquity. Fourth to Sixth Century A.D., Leiden / Boston 2003, 497-527.
Mischa Meier