Anne Schmidt: Belehrung - Propaganda - Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914-1918, Essen: Klartext 2006, 276 S., ISBN 978-3-89861-494-8, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Peter Uwe Hohendahl / Erhard Schütz (Hgg.): Perspektiven konservativen Denkens. Deutschland und die Vereinigten Staaten nach 1945, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2012
Günter Buchstab / Hans-Otto Kleinmann (Bearb.): Helmut Kohl: Berichte zur Lage 1982-1989. Der Kanzler und Parteivorsitzende im Bundesvorstand der CDU Deutschlands, Düsseldorf: Droste 2014
Dominik Geppert: Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro, Hamburg: Europa Verlag 2013
Nach einhelliger deutscher Meinung in der Weimarer Republik war die Propaganda der eigenen Seite im Ersten Weltkrieg gescheitert, die der Alliierten dagegen erfolgreich. Hitler und Goebbels wollten und sollten daraus ihre Lehren ziehen. Neben der unmittelbaren Nutzanwendung aus der Erfahrung mit der Propaganda gab es im In- und Ausland auch zahlreiche mehr oder weniger wissenschaftliche Betrachtungen des als neuartig wahrgenommenen Phänomens, wie die Einträge in der "Bibliographie der geistigen Kriegführung" von 1938 zeigen. [1]
Anne Schmidt untersucht in ihrer auf breitem archivalischen Fundament angefertigten Bielefelder Dissertation die deutsche amtliche Kommunikationspolitik im Ersten Weltkrieg. Deren Akteure teilt sie in drei Gruppen ein, deren Relevanz sie diachron in die Weltkriegszeit einordnen kann: zunächst waren die Traditionalisten am Ruder, so der Chef der Nachrichtenabteilung des Generalstabs III b Walter Nicolai und Akteure der Nachrichtenabteilung des Kriegsministeriums, des Pressereferates des Auswärtigen Amtes sowie weiterer ziviler Stellen, welche eine offensive "amerikanische" Massenpropaganda als Gefährdung der Stabilität des Staates und der deutschen Kultur ablehnten. Im Versuch, die unterschiedlichen Praktiken der 57 immediat gestellten Militärbefehlshaber der stellvertretenden Generalkommandos zu vereinheitlichen, wurde im Februar 1915 die Oberzensurstelle gegründet, die im Oktober 1915 in das neue Kriegspresseamt unter Erhard Deutelmoser integriert wurde, das der OHL unterstellt war und seine Weisungen von Nicolai erhielt. Das Kriegspresseamt umfasste im Sommer 1916 schon 291 Beschäftigte und gliederte sich in die Abteilungen Zensur, In- und Ausland sowie eine Auskunftsstelle.
Ab 1916 saßen die Modernisten an wichtigen Schaltstellen der von ihnen auch so genannten Propaganda. Erich Ludendorff tauschte Deutelmoser gegen Paul Stotten aus. Daneben baute er aber mit den Militärischen Stellen des Auswärtigen Amtes (MAA) auf eine weitere Abteilung, die zwar finanziell vom Auswärtigen Amt abhing, aber ebenfalls der OHL unterstand. Deren Chef Hans von Haeften agierte im Sinne Ludendorffs und beschäftigte einige der späteren Protagonisten der Konservativen Revolution (Hans Grimm, Arthur Moeller van den Bruck, Börries von Münchhausen, Max Hildebert Boehm). Zudem wurde das Bild- und Film-Amt gegründet. Auch Nicolai orientierte sich nun in Richtung der Modernisten. Diese transferierten Methoden der Produktwerbung in die politische Propagandaarbeit und setzten unter Einsatz von populären Bildmedien auf die Beeinflussung der Gefühlswelt der Massen. Inhaltlich wurde der Siegfrieden einer durch Geschlossenheit und Willenskraft ausgezeichneten Nation propagiert.
1918 bildete sich eine dritte Gruppe von Reformern um Vizekanzler Friedrich von Payer, seit Februar 1918 verantwortlich für die "Heimataufklärung", und wiederum Deutelmoser, seit November 1917 Pressechef des Reichskanzlers. Sie waren liberal und reformorientiert, wollten Vertrauen schaffen und Konsens mit den Gewerkschaften und Sozialdemokraten herstellen. Dementsprechend waren sie gegenüber der Propagandawelt der Modernisten zurückhaltender, setzten aber ebenfalls auf visuelle Medien. Die Reformer gelangten in der Konstituierungsphase der Weimarer Republik in der Reichszentrale für Heimatdienst zu erheblichen Einfluss, ehe sie wegen ihrer eindeutigen Unterstützung der Weimarer Koalitionsparteien zurückgedrängt wurden.
Die Autorin konstatiert für die Kommunikationspolitik keinen radikalen Bruch durch den Ersten Weltkrieg, vielmehr sieht sie ihn als Phase des Übergangs, der Transformation hin zu einer modernistischen, auf die Emotionen der Masse abzielenden, sich visueller Medien bedienenden Propagandapolitik. Die Gefahr bei der dargestellten Typenbildung - Traditionalisten, Modernisten, Reformisten - ist eine Schematisierung, und daraus resultierende Zuordnungsprobleme. So tauchen z. B. Nicolai und Deutelmoser in zwei Gruppen auf, eben weil sie eine Entwicklung durchmachten, die wiederum durch die Typen nicht eingefangen wird. Aber Schmidt begegnet der Gefahr der unhistorischen Simplifizierung deutlich sensibler als dies beim Vorbild Fritz Ringer der Fall war, der seine Akteure, die deutschen Gelehrten, in Orthodoxe und Modernisten einteilte und damit ein ungleich größeres Spektrum ordnen wollte. [2] So bleibt nur eine formale Kritik bestehen: Auch wenn es viel Arbeit macht, mit Unterstützung der einschlägigen Textverarbeitungsprogramme sollte doch zumindest ein Personenregister erstellt werden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Bibliographie der geistigen Kriegführung, zusammengestellt von Felix Scherke und Ursula Gräfin Vitzthum, Berlin 1938.
[2] Vgl. Fritz K. Ringer: Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, München 1987 [amerikanisch zuerst Cambridge, Mass. 1969].
Peter Hoeres