Rezension über:

David Anderson: Histories of the Hanged. Britain's Dirty War in Kenya and the End of Empire, London: Weidenfeld & Nicolson 2005, IX + 406 S., ISBN 978-0-297-84719-9, GBP 20,00
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Rezension von:
Gerhard Altmann
Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg/Brsg.
Empfohlene Zitierweise:
Gerhard Altmann: Rezension von: David Anderson: Histories of the Hanged. Britain's Dirty War in Kenya and the End of Empire, London: Weidenfeld & Nicolson 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/11/8237.html


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David Anderson: Histories of the Hanged

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Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitsheld. Diese Binsenweisheit begleitet nicht erst die ideologisch-nationalistischen Konflikte unserer Tage. Die schillernden Karrieren so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Nelson Mandela, Jassir Arafat und Gerry Adams bezeugen, wie stark das Charakterbild von Unabhängigkeitskämpfern dem Wechselspiel historischer Konjunkturen und öffentlicher Stimmungen ausgesetzt ist. Die wars on terrorism der europäischen Kolonialmächte haben in der Vergangenheit fast zwangsläufig die Staatsmänner der postkolonialen Ära hervorgebracht. Diese so genannten prison graduates wurden dabei mitunter ohne viel Aufhebens direkt aus der Gefängniszelle in das Amtszimmer des Regierungschefs befördert, was Bände über die politische Nachhaltigkeit kolonialer Verwaltung spricht - mit allen Konsequenzen für die Zeit nach der oft abrupt beendeten europäischen Okkupation. Im Fall Kenias, der Perle Britisch-Ostafrikas, lagen die Dinge ähnlich - mit einer entscheidenden Abweichung vom Muster des disimperialism: Jomo Kenyatta, der Vater der kenianischen Unabhängigkeit, wurde im Zuge der von ihm - entgegen britischer Lesart - abgelehnten Mau-Mau-Rebellion in Haft genommen und profitierte doch von dem, freilich blutig niedergeschlagenen, Aufstand der Kikuyu gegen die Auswirkungen der britischen Kolonialherrschaft.

David Andersons beeindruckende Studie über die Brutalisierung des britischen End of Empire ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer Neubewertung des Dekolonisationsprozesses nach 1945. Caroline Elkins' Pulitzer-Preis-gekrönte Studie "Britain's Gulag" [1] widmet sich dem Lagersystem, mit dessen Hilfe die britischen Kolonialherren weite Teile der Kikuyubevölkerung unter Kontrolle zu halten versuchten. Anderson hingegen richtet das Hauptaugenmerk auf die "institutional bureaucratization of war" (6), wie sie in der schleichenden Pervertierung der rule of law zum Ausdruck kam, sodass schließlich sogar Premierminister Winston Churchill, der sonst nicht zimperlich mit den Feinden des Empire umsprang, dringend zu einem Kompromiss mit den Kikuyu aufrief. Der von 1952 bis 1960 geltende Ausnahmezustand führte zwar zum Triumph des britischen Gewaltapparats über die Mau-Mau-Verschworenen. Doch nach dem Erdrutschsieg der Tories bei den Unterhauswahlen 1959 kannte Premierminister Harold Macmillan in den überseeischen Territorien keine Parteien mehr: Er drängte nun auf einen raschen Abschied vom Empire, nicht zuletzt um Großbritannien vor den Augen der Weltöffentlichkeit weitere Dekolonisationskriege wie jenen in Kenia zu ersparen. In Kolonialminister Iain Macleod fand er den willigen Vollstrecker dieser Politik.

Bis dahin war es allerdings Anfang der Fünfzigerjahre noch ein steiniger Weg. Anderson beschreibt eindringlich, wie sich der schleichende sozioökonomische Wandel mit dem politischen Erwachen der südlichen Hemisphäre zu einem explosiven Amalgam verband, das Kenia nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich in einen "Bruderkrieg" (4) stürzte. Denn die Opfer der Mau-Mau-Rebellion waren vorwiegend aufseiten der Kikuyu selbst zu finden, auch wenn die zeitgenössische Presse meist nur die Massaker an europäischen Siedlern grell beleuchtete. Von ihnen starben 32. Schätzungsweise 20.000 Rebellen fanden den Tod, 70.000 Afrikaner wanderten in Lager, und 1090 Kikuyu wurden gehängt, so viele Delinquenten wie in keinem anderen Dekolonisationskonflikt des Britischen Empire. Der Kampf um politische Mitsprache und das zu Gunsten der Siedler enteignete Land in den traditionellen Stammesgebieten der Kikuyu mündete in eine blutige Auseinandersetzung, die Anderson zufolge indes "never a race war" (84) war.

Allerdings spielte die halsstarrige Gutsherrenattitüde der weißen Siedler, deren Zahl trotz der Rebellion bis 1960 kontinuierlich anstieg, eine wesentliche Rolle bei der Verschärfung des Konflikts. Menschen, die in der britischen Klassengesellschaft kaum über den Status des unteren Mittelstands hinausgelangt wären, gefielen sich in Ostafrika im radical chic des "instant aristocrat" (78), der über ein Heer devoter Bediensteter gebot und den "bucolic ideals" (83) der Welt von gestern frönte. Die britische Administration vor Ort erlag zu oft den Einflüsterungen dieser reaktionären Kreise, als dass sie die in den Zwanzigerjahren im kenianischen Kontext formulierte Paramountcy-Doktrin verwirklicht hätte. Sie verpflichtete die Kolonialverwalter auf die Vorrangstellung afrikanischer Interessen, sollten diese mit den Ansprüchen der Siedler kollidieren. Erst die von Churchill forcierte Entsendung General Erskines als militärischer Oberkommandeur im Juni 1953 bedeutete das "beginning of the end of white dominance" (180) in Kenia. Denn Erskine wurde vom Premierminister mit einer Blankovollmacht ausgestattet, die es ihm ermöglichte, erforderlichenfalls auch gegen den Willen der Kolonialadministration und deren intransigenten Hintermänner das Kriegsrecht zu verhängen und damit sämtliche Maßnahmen im Kampf gegen die Mau Mau an sich zu ziehen. Mit der Operation Anvil zeigte Erskine im April 1954 aber auch, dass er mit unnachgiebiger Härte gegen die Mau Mau vorzugehen bereit war: Er ließ Nairobi zernieren, um das städtische Sympathisantenmilieu der Rebellen auszutrocknen - mit Erfolg, der jedoch teuer erkauft wurde, denn viele Unbeteiligte mussten entwürdigende Schikanen erdulden, vor allem vonseiten der aus Afrikanern rekrutierten und oftmals besonders brutalen Home Guards.

Was den Ausnahmezustand in Kenia zu einem so düsteren Kapitel der britischen Imperialgeschichte machte, war die folgenschwere Aushebelung des due process of law, des Kernstücks angelsächsischer Rechtsstaatlichkeit. Bereits die Verhängung des Ausnahmezustands brachte eine substanzielle Einschränkung der Rechtswegegarantie mit sich. Verdächtige konnten nun unter Verweis auf Sondergesetze interniert werden, ohne dass neue Gesetze die meist mäßigende Kontrollmaschinerie des Londoner Kolonialministeriums durchliefen. Obendrein vermischten sich die Kompetenzen ziviler und militärischer Instanzen zusehends. Schlimmer noch: Das "leading of witnesses" (108) entpuppte sich rasch als gravierendster Kollateralschaden im Kampf gegen den Mau-Mau-Terror. Wenige Richter wiesen die auf drakonische Verdikte erpichten Kolonialbehörden in ihre Schranken. Vor allem nach besonders grässlichen Massakern wie dem in Lari im März 1953, bei dem etwa 120 afrikanische Loyalisten zu Tode gehackt oder schwer verwundet wurden, drängte die Administration auf massive Vergeltung. Im Gefolge des Gemetzels in Lari willigte dann sogar Attorney-General John Whyatt, das ansonsten noch vergleichsweise liberal gestimmte Oberhaupt der kenianischen Justiz, in eine schier uferlose Ausweitung todeswürdiger Delikte ein. Von nun an drohte der Strang für eine Reihe von Tatbeständen, die sich - wie peripher auch immer - auf die Mau-Mau-Rebellion bezogen: die Teilnahme an Eidzeremonien der Mau-Mau-Kämpfer, der Besitz von Strengstoff, Waffen und Munition sowie der Verkehr mit Personen, die möglicherweise die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Und selbst wenn Gerichte Verdächtige freisprachen, mussten diese damit rechnen, der "villagization" (294), der Umsiedlung in überwachte Dörfer, anheim zu fallen.

Wie Anderson nachdrücklich, aber ohne den geringsten Anflug von Effekthascherei vor Augen führt, erzielte diese brachiale Repressionsstrategie zwar den gewünschten Erfolg. Die Mau Mau wurden besiegt, und Großbritannien konnte schließlich in einem geordneten Verfahren die Macht an kenianische Politiker übertragen. Die Brutalität aber, die der Unabhängigkeit Kenias 1963 unter Präsident Kenyatta den Weg ebnete, sprach nicht nur den offiziellen Londoner Verlautbarungen eines im Vergleich zu Frankreich und Belgien humanen Kolonialismus Hohn. Sie belastete darüber hinaus die kenianische Gesellschaft mit einer Hypothek, an der sie bis heute schwer trägt.


Anmerkung:

[1] Caroline Elkins: Britain's Gulag. The Brutal End of Empire in Kenya, London 2005. (Rezension hierzu: http://www.sehepunkte.de/2006/02/9770.html)

Gerhard Altmann