J. A. Fernández-Santamaría: Natural Law, Constitutionalism, Reason of State, and War. Counter-Reformation, Spanish Political Thought, Volume I (= Renaissance and Baroque. Studies and Texts; Vol. 32), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2005, xiii + 471 S., ISBN 978-0-8204-7427-4, EUR 78,40
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Der Beitrag spanischer Autoren zum "politischen Denken in Europa um 1600" [1] ist von deutschsprachiger Seite bislang kaum gewürdigt worden, sieht man von einzelnen Verfassern und bestimmten Aspekten einmal ab. Mit an erster Stelle zu nennen wäre hier wohl der Einfluss der Schule von Salamanca um Francisco de Vitoria und Francisco Suárez auf die Entwicklung des modernen Völkerrechts. Wer sich darüber hinaus für das Thema interessiert und des Spanischen nicht mächtig ist, wird aber wohl auch weiterhin primär auf englischsprachige Darstellungen zurückgreifen müssen. Eine solche liegt jetzt mit dem zweibändigen Werk von José Antonio Fernández-Santamaría vor. Der Autor war bis zu seiner Emeritierung Professor für Geschichte an der California State University und ist in der Vergangenheit bereits durch zahlreiche Veröffentlichungen zur zeitgenössischen politischen Theorie hervorgetreten. Der hier anzuzeigenden Band, dem ein zweiter in Bälde folgen soll, fußt denn auch maßgeblich auf den älteren Arbeiten des Verfassers, [2] ohne - soviel sei schon vorweggenommen - zu grundsätzlichen Neubewertungen zu gelangen. Dessen ungeachtet bietet das Werk den Vorteil einer leicht verständlichen, aus einem Guss und mit der Souveränität des Sachkenners geschriebenen Gesamtdarstellung.
Mit seinen beiden Bänden möchte Fernández-Santamaría nach eigenem Bekunden eine Antwort auf die Frage geben, wie das politische Denken im Spanien der Gegenreformation auf die großen Herausforderungen des 16. Jahrhunderts reagierte. Eine solche Herausforderung ist mit der seit dem Aufkommen des Konfessionalisierungsparadigmas zumindest hierzulande nicht mehr ganz unumstrittenen Epochenbezeichnung im Titel bereits angesprochen. Neben der konfessionellen Spaltung der westeuropäischen Christenheit - sowie dem Spanien in ganz besonderer Weise betreffenden Problem des Umgangs mit den Bewohnern der 'Neuen Welt' - sei es jedoch vor allem das Aufkommen und Werden des frühmodernen Staats gewesen, das die politische Theorie auch in Spanien in ganz besonderer Weise beschäftigte. Dabei unterscheidet Fernández-Santamaría vier große Themenkomplexe, die zugleich mehr oder weniger deckungsgleich mit vier unterschiedlichen Denktraditionen ("political traditions", 3) im Spanien des 16. Jahrhunderts gewesenen seien, nämlich: Naturrechtslehren, Theorien ständischer Partizipation, Staatsräsonlehren sowie Überlegungen zur Legitimität kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Staaten.
An dieser Grobeinteilung orientiert sich auch der weitere Gang der Darstellung. Nach einer "General Introduction", in der das Gliederungsprinzip der beiden Bände näher erläutert wird, behandelt Fernández-Santamaría zunächst die Versuche spanischer Autoren, die Entstehung des Staates mit Rekurs auf naturrechtliche Vorstellungen zu erklären und zu legitimieren. Dabei schlägt er zunächst einen weiten Bogen, über die Stoa und Cicero als Väter des Naturrechts, bis hin zu Augustinus und Luther, um schließlich auf die Renaissance des Thomismus an den spanischen Universitäten zu sprechen zu kommen, der gleichsam den gemeinsamen geistigen Nährboden für das Denken eines Domingo de Soto oder Francisco Suárez bot. Die Naturrechtstheorien der beiden zuletzt genannten Autoren werden im Anschluss daran ausführlich referiert. Anders als Augustinus oder auch Luther erachteten sowohl de Soto als auch Suárez politische Herrschaft nicht als ein Resultat des Sündenfalls, sondern als im Naturzustand des Menschen bereits angelegt und insofern im Einklang mit den Prinzipien des Naturrechts stehend. Im Anschluss an ein gesondertes Kapitel über das Verhältnis von Kirche und weltlicher Obrigkeit (227-257) fasst Fernández-Santamaría die Ergebnisse des ersten Teils noch einmal konzise zusammen (257-268). Dabei wendet er sich u.a. vehement gegen die Auffassung, Francisco Suárez sei mit seinem Versuch einer naturrechtlichen Fundierung der Staatsgewalt gleichsam ein gedanklicher Vorläufer oder gar Wegbereiter 'absolutistischer' Staatstheoretiker wie Bodin oder Hobbes gewesen. So sei der Wille des Monarchen nach Suárez stets dem Prinzip der recta ratio untergeordnet, dem ständisch gegliederten Gemeinwesen billige er unter bestimmten Bedingungen sogar ein Widerstandsrecht zu.
Um die Frage nach der legitimen Herrschaftsform geht es auch im zweiten Teil des ersten Bandes. Neben den bereits genannten Autoren kommen hier besonders solche politischen Denker zur Sprache, die sich mehr oder weniger explizit zu Anwälten der Forderung nach ständischer Partizipation machten. Neben Juan de Mariana war dies vor allem der außerhalb Spaniens weniger bekannte Alonso de Castrillo, dessen 1521 erschienener Tractado de républica in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erhebung der comuneros gegen Karl V. zu sehen ist. Bei den Abschnitten, in denen Fernández-Santamaría explizit auf die politischen Hintergründe eingeht (besonders 49-73), ist freilich eine gewisse Tendenz nicht zu übersehen, den comuneros allzu weitreichende bzw. in die Moderne voraus weisende politische Ziele zu unterstellen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass die Darstellung hier wie auch an anderen Stellen im Wesentlichen auf älterer Literatur beruht.
Damit ist bereits ein wesentlicher Kritikpunkt genannt. Die Bibliographie enthält insgesamt nur wenig neuere Literatur und reicht generell nicht bis über die neunziger Jahre hinaus. Auch die Belege im Text beschränken sich überwiegend auf die Nachweise wörtlicher Zitate. Um so enger orientiert sich Fernández-Santamaría an den Originaltexten und entgeht dabei trotz aller Klarheit der Gedanken und Leichtigkeit des Stils nicht immer der von ihm selbst als "so characteristic of neoscholastic thinking" bezeichneten Gefahr "of fine-tuning every concept (and, often enough, thoroughly confusing the issue as a result" (163). Die genannten Kritikpunkte schmälern aber in keiner Weise das Verdienst des Autors, eine ausgesprochen gut verständliche Gesamtdarstellung des politischen Denkens im Spanien des 16. Jahrhunderts vorgelegt zu haben, die jedem interessierten Leser zur Einführung nur empfohlen werden kann.
Um so bedauerlicher ist es allerdings, dass das zu besprechende Buch im Hinblick auf seine äußere Gestaltung stark zu wünschen übrig lässt, ein Mangel, der freilich weniger dem Autor als dem Verlag anzulasten ist. Die hohe Zahl an zum Teil sinnentstellenden orthografischen und sonstigen Fehlern ist eine Zumutung für den Leser, z. B. auf Seite 113 "the god must be desired" statt "the good must be desired" oder auf Seite 301 "in mid" statt "in mind". Ebenso ärgerlich ist es, dass bei den Endnoten zu Kapitel VI (271-318) die Nummerierung durcheinander geraten ist. Lobend zu erwähnen ist in formaler Hinsicht aber das gut gearbeitete Personen- und Sachregister, das dem Leser raschen Zugang auch zu speziellen Informationen verschafft.
Anmerkungen:
[1] So der Titel einer der wenigen neueren deutschsprachigen Veröffentlichungen, vgl. Reyes Mate / Friedrich Niewöhner (Hg.): Spaniens Beitrag zum politischen Denken in Europa um 1600 (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 57), Wiesbaden 1994.
[2] Zu nennen sind vor allem J[osé] A[ntonio] Fernández-Santamaría: The State, War, and Peace: Spanish Political Thought (1595-1640), Cambridge [u.a]1977; ders.: Reason of State and Statecraft in Spanish Political Thought (1595-1640), Lanham 1983.
Thomas Weller