Andrea von Hülsen-Esch (Hg.): Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance (= Studia Humaniora), Düsseldorf: Droste 2005, 322 S., ISBN 978-3-7700-0850-6, EUR 29,80
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Manche turns in den Geisteswissenschaften mögen nur zeitweilig benutzte Umwege darstellen, bis man wieder auf die schon beschrittenen, bewährten Pfade der Forschung zurückkehrt. Andere jedoch wirken richtungweisend im Wortsinn. So ist nach dem linguistic turn die Einsicht nicht mehr zu hintergehen, dass es keine "Realität" unabhängig von ihrer sprachlichen Vermittlung gibt. Zum symbolischen oder kulturalistischen turn ist es dann nur noch ein kleiner, aber konsequenter Schritt. Er macht deutlich, dass sich diese Vermittlung gar nicht anders als durch bestimmte Zeichen und Symbole vollziehen kann. Dabei bilden Inszenierungen und Rituale, von denen der vorliegende Sammelband handelt, nur besonders elaborierte und daher für die Forschung besonders aufschlussreiche Symbole. Daraus folgt aber nicht, wie viele Historiker immer noch befürchten, dass Symbole nun an die Stelle aller anderen, bislang erforschten "konkreten" Gegenstände treten sollen. Vielmehr geht es darum, eine Sensibilität dafür zu gewinnen, dass jeder auch noch so scheinbar konkrete Gegenstand immer auch symbolisch konstituiert ist und in dieser Hinsicht analysiert werden muss.
Was das im Einzelnen heißen kann, zeigen die elf, aus einer Ringvorlesung an der Universität Düsseldorf hervorgegangenen Beiträge von Historikern, Kunsthistorikern, Literaturwissenschaftlern und Philosophen. Die ursprüngliche Adressierung der Vorträge an ein erweitertes, nicht nur fachspezifisches Publikum erweist sich auch in der Druckfassung als vorteilhaft. Es ist durchaus zu empfehlen, die Beiträge, gegen die man keine prinzipiellen Einwände erheben kann und die bereits etablierte und konsensfähige Forschungspositionen präsentieren, als kurz gefasste historische Einführungen zu lesen. Dies gilt besonders für die Geschichte politischer Autoritäten, die nicht unabhängig von ihrer Inszenierung zu etablieren waren - schon gar nicht, wenn es dabei um Könige und Kaiser ging (Johannes Laudage, Stefan Weinfurter und Uwe Baumann).
Vor allem die Beiträge von Christoph Kann, Achim Landwehr und Barbara Stollberg-Rilinger sind Lehrstücke zum Verständnis der symbolisch-rituellen Konstitution wissenschaftlicher Autorität und universitärer Wissensvermittlung, territorialer Grenzen und konfessionspolitischer Identität. Stollberg-Rilingers Beitrag zeigt auch besonders deutlich, was sich auf symbolisch-ritueller Ebene zwischen Mittelalter und Renaissance (so der Untertitel des Buchs) eigentlich fundamental verändern konnte: So geriet die religiöse Aufladung von mittelalterlichen Ritualen wie dem Kniefall im Zeitalter der Reformation in den Sog konfessionell konkurrierender Sinndeutungen - und wurde gerade deshalb zu einem Katalysator der Ausdifferenzierung von Recht und Religion als einem Signum frühneuzeitlicher Modernisierung.
Auffällig ist nur, dass zwischen den geisteswissenschaftlichen Disziplinen kaum ein Konsens über Grundbegriffe wie Ritual, Symbol und Repräsentation herrscht. Zudem wird das analytische Potential des Begriffs Inszenierung sicher nicht ausgeschöpft, wenn dieser primär rezeptionsästhetisch ausgelegt wird, wie (zumindest stellenweise) von den literatur- und kunsthistorischen Beiträgen. Das Anliegen der kulturalistischen Wende wird auch nicht unbedingt befördert durch die Überstrapazierung der Begriffe, die auf diese Weise unnötig geheimnisvoll wirken können: Was genau ist etwa mit der "Inszenierung von adeliger Repräsentation" (Tanja Michalsky) gemeint? Auch gibt es immer noch einige Beispiele für terminologisch begründete Missverständnisse zwischen den Disziplinen. In diesem Zusammenhang hätte man sich auch mehr Orientierung in der Einleitung der Herausgeberin gewünscht. Begriffliche Präzision, die die Forscher ihren eigenen Arbeiten zugrunde legen, sollte vermehrt auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit prägen, besonders wenn ein Sammelband wie dieser durchaus das Potential besitzt, in der modularisierten universitären Lehre den Blick über den Tellerrand zu ermöglichen.
André Krischer