Gundula Caspary: Späthumanismus und Reichspatriotismus. Melchior Goldast und seine Editionen zur Reichsverfassungsgeschichte (= Formen der Erinnerung; Bd. 25), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, 240 S., ISBN 978-3-525-35584-8, EUR 36,90
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Die Gießener Dissertation befasst sich, spezieller als der Titel vermuten lässt, mit den ersten beiden Bänden der dreibändigen "Monarchia Sancti Romani Imperii". Die erstmals in den Jahren 1612 bis 1614 vorgelegte Sammlung präsentiert Quellen, die sich mit dem Verhältnis zwischen den beiden Universalgewalten der mittelalterlichen Christianitas befassen, mit anderen Worten: die die "Zweischwerterlehre" umkreisen. Dem Neuzeithistoriker weniger geläufig als andere Editionen Goldasts, wird die zuletzt 1960 nachgedruckte "Monarchia" doch in der Mediävistik weiterhin benutzt und zitiert, weil einige der dort eingereihten Quellen noch keine kritische Neuedition gefunden haben. Die beiden von Caspary analysierten Bände dokumentieren die gelehrte Diskussion über die Machtverteilung im christlichen Abendland vom vierten Jahrhundert bis ins ausgehende Mittelalter, mit einem deutlichen Schwerpunkt im 14. Jahrhundert, bei den Staatstheoretikern im Umfeld Ludwigs des Bayern und den Wegbereitern des Konziliarismus. Von Goldast berücksichtigt wurden Briefwechsel sowie theologische, philosophische und juristische Traktate. Caspary bietet kurze Lebensskizzen der in der "Monarchia" vertretenen Autoren, resümiert den Inhalt der abgedruckten Schriften, korrigiert gelegentlich die schlampige Anordnung der Texte durch Goldast zu Gunsten einer chronologisch korrekten Reihung oder stellt richtig, wen die Forschung mittlerweile für den mutmaßlichen Autor einer Abhandlung hält.
Caspary streicht zu Recht wiederholt heraus, dass Melchior Goldast von Haiminsfeld durch seine Editionstätigkeit zur "Entstehung des ius publicum, des öffentlichen Rechts, das als eine wesentliche Begleiterscheinung des protestantischen Reichspatriotismus angesehen werden kann" (181f.), beigetragen habe. Ob man freilich die "Monarchia" hierbei an vorderster Front nennen wird? Wichtig an den Pionieren des Staatsrechts um 1600 war, dass sie das politische System beispielsweise des Reiches nicht mehr aus römischrechtlichen Grundsätzen entwickelten, sondern sich vielmehr an der aktuellen, indes historisch gewachsenen Gesetzeslage orientierten; und dass sie die Beschäftigung mit ihr der Geheimnistuerei jener fürstlichen Kanzleien entwanden, die staatsrechtlich relevante Dokumente traditionell als ihre Domäne erachtet hatten - ein Monopolanspruch, der sich zur Ignoranz der herkömmlichen Jurisprudenz fügte, die sich als Privatrechtswissenschaft verstand, staatsrechtliche Sachverhalte nur am Rande wahrnahm und dann gegenwartsblind in römischrechtlicher Manier zu traktieren pflegte. Nun druckt die "Monarchia" freilich keine normativen Texte ab, sondern Traktate und Briefwechsel, die Goldast übrigens überwiegend anderen bereits vorliegenden Sammlungen entnahm und derart zu einem Kompendium der Zweigewaltenlehre zusammenzog, was, wiewohl zerstreut, doch dem Interessierten prinzipiell längst bekannt und zugänglich war. Deshalb wird man die von der "Monarchia" ausgehenden Impulse für die junge Disziplin des "Ius publicum" zurückhaltend beurteilen.
Es ist ein Hauptanliegen der Autorin, aufzuzeigen, dass die Quellenauswahl Goldasts auf den zweiten Blick tendenziös ist. Sie macht deutlich, dass der Editor im Ganzen, wiewohl nicht bis zur Offenkundigkeit auffällig, Texte bevorzugte, die die Stellung des Papstes entweder anderen kirchlichen Instanzen oder dem Kaiser gegenüber herabzusetzen oder doch zu beschränken suchten. Manchmal ist aufschlussreich, welche Texte eines von Goldast berücksichtigten Autors nicht abgedruckt wurden - so fehlen Texte Piccolominis aus jenen Jahren, da dieser als Pius II. in Rom residierte. Entkontextualisiert und in den neuen Zusammenhang einer tendenziell antipäpstlichen Edition eingereiht, wurden manche Texte offenbar für katholische Autoren des Konfessionellen Zeitalters gleichsam kontaminiert, und damit für ihre eigenen Argumentationszusammenhänge unbrauchbar; und es wandelten sich manche Autoren, die auf den einen, bei Goldast abgedruckten Text verkürzt wurden, unversehens zu Vorkämpfern einer protestantischen Sache, von der sie natürlich Generationen oder Säkula vorher nichts hatten ahnen können. Diese von feiner Beobachtungsgabe zeugenden Thesen werden von Caspary nicht weiter ausgeführt, nicht durch Rezeptionsbeispiele aus dem Konfessionellen Zeitalter konkretisiert, man sollte das einmal an anderer Stelle nachholen.
Nicht ganz so überzeugend wie der Nachweis gewisser Einseitigkeiten bei der Quellenauswahl gelingt der Autorin deren Herleitung aus möglichen tagespolitischen Motiven Goldasts. Es ist in einem allgemeinen Sinne evident, dass sich die "Monarchia" im "Meinungskampf der protestantischen Juristen mit ihren jesuitisch-katholischen Gegnern um die Deutungshoheit der christlichen Geschichte von der Spätantike über das Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert" (210) verorten lässt, spezieller wird der Editor Bellarmin im Visier gehabt haben. Aber es bleiben doch Fragen, die durch den dutzendfachen, stereotypen Verweis auf den "protestantischen Reichspatriotismus" Goldasts nicht restlos beantwortet sind. Die Autorin kennt oder nennt nicht die einschlägige Literatur zur europäischen Geschichte der Jahrzehnte um 1600, und besonders vermisst man Hinweise auf die damals sehr unterschiedlichen evangelischen Denkschulen und Politikstile. Häufig verwendet sie das Adjektiv "protestantisch", wo entweder "lutherisch" oder aber "calvinistisch" stehen müsste (um von feineren Verästelungen hier einmal nicht zu reden). Wenn sie eine "tief greifende Verunsicherung" als "typisch für den Protestantismus zu Beginn des 17. Jahrhunderts" (186) bezeichnet, trifft sie damit gewiss nicht die Stimmung vieler an Kursachsen orientierter Rats- und Gelehrtenkreise, die der meisten calvinistischen schon eher - aber das ist nur ein Beispiel. Dass "der katholische Kaiser [...] für die Protestanten trotz seiner anderen Konfessionszugehörigkeit als Garant des Augsburger Religionsfriedens eine wichtige Schutzfunktion" besaß (183), erklärt für Caspary schlagend die Intentionen des Editors der "Monarchia" - doch könnte man in Kenntnis der damaligen Akten einwenden, dass solche evangelischen Hoffnungen außerhalb Dresdens schon unter Rudolf II. entschwunden waren und unter Matthias keinesfalls wieder auflebten, am wenigsten in calvinistischen Kreisen; dass calvinistische Politiker des frühen 17. Jahrhunderts gerade an jenem Heidelberger Hof, mit dem der Editor enge Beziehungen unterhielt, durchaus wahrnahmen, wie das politische System nicht zuletzt der katholischen Reichsspitze wegen strukturell prokatholisch wirkte, weshalb sie einerseits über seine Blockade, andererseits (wie vage auch immer) über Möglichkeiten der Enthierarchisierung nachsannen; und übrigens bezog sich das Schutzversprechen des Religionsfriedens ja gar nicht ausdrücklich auf den Calvinismus.
So bleibt ein unerklärter Rest, nicht hinsichtlich der antipäpstlichen, aber hinsichtlich der von der Autorin so betonten prokaiserlichen Wirkungsabsichten Goldasts. Es leuchtet auch nicht ganz ein, warum eine Studie, die "Person und Werk [...] in ihrer Zeitgebundenheit zu verstehen und einzuordnen" versucht (17), ausgerechnet jene zeitgenössischen Quellen nicht mehr analysiert, die Goldast im dritten Band seiner "Monarchia" abdruckt. Antikurial sind diese allemal, damit fallen sie auch nicht gänzlich aus dem Rahmen, den die übrigen, älteren Texte abstecken. Solche Bedenken ändern nichts an der rühmenswerten Tatsache, dass jeder künftige Benützer der "Monarchia" die hilfreichen und kundigen Serviceleistungen der Autorin, von der Klarstellung korrekter Autorschaften und Erstveröffentlichungen bis hin zur je einschlägigen Forschungsliteratur, sehr schätzen wird.
Axel Gotthard