Rezension über:

Karl-Georg Sindele: Herzogin Henriette von Württemberg. Eine Biografie (1780-1857), Ostfildern: Thorbecke 2006, 192 S., ISBN 978-3-9775-0173-2, EUR 22,90
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Rezension von:
Martin Furtwängler
Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Stuttgart
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Martin Furtwängler: Rezension von: Karl-Georg Sindele: Herzogin Henriette von Württemberg. Eine Biografie (1780-1857), Ostfildern: Thorbecke 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/11441.html


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Karl-Georg Sindele: Herzogin Henriette von Württemberg

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Warum eine Biografie über Herzogin Henriette von Württemberg? Ihr Leben verlief in für die damalige Zeit üblichen Bahnen. Aus dem Hause Nassau-Weilburg stammend, in Kirchheimbolanden in der Pfalz 1780 geboren, erlebte sie in ihrer Jugend den Schrecken, den die französischen Revolutionstruppen dem deutschen Adel bereiteten. In Bayreuth, einer als sicher geltenden Zuflucht lernte sie als 16-jährige Waise den beinahe 25 Jahre älteren Prinzen Ludwig kennen, den Bruder des Herzogs von Württemberg, und heiratete ihn Anfang 1797.

Mit Ludwig, einem Militär zunächst in preußischen Diensten, zog sie 1800 nach Russland, wo dieser aufgrund seiner Verwandtschaft mit der Zarin - sie war seine Schwester - diverse durchaus lukrative Posten bekleidete. Hintergrund dieses Ortswechsels dürften jedoch die damals schon hohen Schulden des Prinzen gewesen sein, die sich anschließend an die Rückkehr nach Deutschland zur Katastrophe für die Familie auswuchsen. Auf einer Reise nach Warschau 1810 wurde Ludwig auf Antrag seiner polnischen Gläubiger in Schuldhaft genommen und musste von seinem Bruder für knapp 100.000 fl. ausgelöst werden. Die Folge war die Verbannung von Herzog Ludwig nach Kirchheim unter Teck. Daran änderte auch das gute Verhältnis von Henriette zu ihrem Schwager, dem nunmehrigen württembergischen König nichts. Die Familie musste mit wenig Geld auskommen, konnte aber in einem kleinen Schloss vor Ort wohnen. Damit seine Anordnungen eingehalten würden, hatte König Friedrich seinem Bruder einen Aufpasser zur Seite gestellt, der ihn und beinahe jeden seiner Schritte überwachte.

Mit dem Tod des Mannes 1817 besserten sich auch die finanziellen Verhältnisse für die Witwe. Mithilfe eines Darlehens konnte sie deshalb mit ihren drei Töchtern 1818 eine über ein Jahr dauernde Reise nach Italien antreten, vielleicht der Höhepunkt ihres Lebens. Die folgenden Jahre waren nach Auskunft ihres Biografen geprägt von den diversen Eheschließungen ihrer Kinder, die die Aufmerksamkeit der Mutter bis zum Ende der 1820er-Jahre offensichtlich völlig in Anspruch nahmen. Fast erleichtert vermerkt Sindele schließlich, dass, "nachdem nun alle vier Töchter verheiratet waren, [...] etwas Ruhe in das bisweilen aufreibende Leben der Herzogin" einkehrte (98). Neben diesen familienpolitischen Aktivitäten beschreibt der Autor noch das soziale Wirken der Herzogin, das sich jedoch auf ihren engeren Umkreis in Kirchheim unter Teck beschränkte und sich im Stiften von Geld für die Belange der Armen sowie ihrem Engagement in sozialen Vereinen und Stiftungen manifestierte. Mit ihrer Unterstützung konnten verschiedene Institutionen ins Leben gerufen werden, so z. B. die Paulinenpflege, eine Kleinkinderschule, ein Hospital, aber auch eine Suppenanstalt. Einige dieser Einrichtungen, wie etwa das Frauenstift, existieren noch heute. Grundlage dieses sozialen Wirkens war die das Wesen der Herzogin prägende Religiosität, die auf pietistischen Fundamenten ruhte.

Das Leben der Herzogin ist also schnell erzählt. Warum nun eine Biografie über sie schreiben? So recht kann auch der Autor mit seinem Buch diese Frage nicht plausibel beantworten, außer vielleicht mit dem Hinweis auf die lokalhistorische Bedeutung, welche die Herzogin offenbar für Kirchheim unter Teck besaß. Doch letztlich erfährt man auf den 192 Seiten dieser Arbeit nicht viel über die Hauptperson. Sie bleibt in fast allem, was Sindele berichtet, auffallend im Hintergrund. Sie erscheint blass, als Person merkwürdig konturlos. So werden einerseits die Personen ihrer Umgebung ausführlich dargestellt: ihr Mann, oder der zeitweise in ihren Diensten stehende Carl Maria von Weber. Großen Raum nehmen zum anderen Beschreibungen von Hochzeiten, Geburten und Todesfällen im familiären Umkreis der Herzogin ein, insbesondere bezüglich ihrer Kinder. Doch Sindele verzichtet darauf, herauszuarbeiten, welche Rolle die Herzogin beim Zustandekommen dieser dynastischen Verbindungen spielte. Es wird immer nur das Faktum als solches hervorgehoben und beschrieben und dieser Ebene des Faktischen bleibt letztlich auch das ganze Buch verhaftet. So werden vielfach auch Namen erwähnt und aneinandergereiht, ohne die Bedeutung dieser Personen näher zu erläutern (vgl. z. B. Seite 24 bei der Nennung der Gouverneure der herzoglichen Prinzen). Am deutlichsten und für den Leser belastendsten wird diese Verfahrensweise im abschließenden Teil des Buches, in dem Sindele die Nachkommenschaft Henriettes bis in die Gegenwart nachzeichnet. Dabei wird die Herzogin zur "Urgroßmutter Europas" stilisiert und ihr eine Bedeutung unterlegt, die so nicht gerechtfertigt ist. Denn dass ihre Nachkommen der zweiten, dritten und vierten Generation in den verschiedensten europäischen Hochadels- und Königshäusern nachzuweisen sind, ist erstens nicht ihr Verdienst, da vieles auch erst nach ihrem Tod geschah, zweitens ist es aber bei einer Frau ihres Standes, die mehrere Kinder im heiratsfähigen Alter hatte, auch nichts Außergewöhnliches, sondern wohl eher die Regel.

Etwas lebendiger wird Sindeles Darstellung, wenn es darum geht, die Motivation des sozialen und karitativen Engagements der Herzogin zu ergründen. Zurecht verweist er auf die wohl im pietistisch-protestantischen Glauben liegenden Wurzeln dieser sozialen Tätigkeit, die sich mit einer zeitbedingten Erwartungshaltung an das Verhalten von hochadligen Personen verband. Allerdings kommt der Autor auch in diesem Komplex zu Schlussfolgerungen, die zumindest seltsam anmuten. So sind für ihn Neigungen wie Religiosität, Frömmigkeit und Wohltätigkeit in starkem Maße Ausfluss von Vererbung und Veranlagung (14, 109) und nicht so sehr Ausfluss der Sozialisation eines Menschen. Insgesamt muss man festhalten: Ein leider langweiliges Buch, das nicht an den Standard moderner Adelsforschung heranreicht.

Martin Furtwängler