Rezension über:

Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF. Das Desaster von Bad Kleinen - Wer erschoss Wolfgang Grams?, Berlin: Ullstein Verlag 2006, 311 S., ISBN 978-3-550-07865-1, EUR 18,00
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Rezension von:
Tobias Hof
München
Empfohlene Zitierweise:
Tobias Hof: Rezension von: Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF. Das Desaster von Bad Kleinen - Wer erschoss Wolfgang Grams?, Berlin: Ullstein Verlag 2006, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 12 [15.12.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/12/11743.html


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Butz Peters: Der letzte Mythos der RAF

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Butz Peters ist einer breiteren Öffentlichkeit als ehemaliger Moderator der ZDF-Fernsehsendung Aktenzeichen XY ungelöst... bekannt. Der Journalist und Rechtsanwalt befasste sich überdies intensiv mit der Geschichte der Roten Armee Fraktion (vgl. RAF. Terrorismus in Deutschland, 1991, sowie Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF in Deutschland, 2004). Auch das hier vorzustellende Buch widmet sich dieser linksrevolutionären terroristischen Vereinigung. Peters zeichnet darin akribisch den Polizeieinsatz in Bad Kleinen sowie die politischen und öffentlichen Reaktionen darauf nach. Dabei spannt er einen Bogen von der Einschleusung des V-Manns Klaus Steinmetz in die dritte Generation der RAF über die eigentliche Polizeiaktion auf dem Bahnhof in Bad Kleinen bis hin zum Aufkommen der These vom Staatsmord in der Sendung Monitor vom 1. Juli 1993 und im Spiegel vom 4. Juli desselben Jahres. Es folgt eine Darlegung sämtlicher juristischer Urteile, die sich mit den Ereignissen in Bad Kleinen beschäftigten: Insgesamt zwei Untersuchungen von Staatsanwaltschaften und vier Gerichtsentscheidungen, die allesamt zu dem Ergebnis kamen, dass Wolfgang Grams Selbstmord begangen habe. Dennoch, so stellt Peters immer wieder fest, habe sich die These der staatlichen Exekution "im öffentlichen Gedächtnis verewigt. Ein bizarres Kapitel deutscher Zeitgeschichte." (10)

Anders als der Untertitel erwarten lässt, geht es Peters in seinem neuesten Werk nicht um eine ausgewogene Beantwortung der Frage, was mit Wolfgang Grams geschah. Für ihn steht längst fest: Es war Selbstmord. Die These vom Staatsmord, so Peters in seinem Vorwort, sei "längst widerlegt" (10). Sein zentrales Anliegen ist es vielmehr, diesen "letzten Mythos" der RAF sowie sämtliche "von der RAF selbst geschaffenen Mythen" zu zerstören und "den Legenden und Verschwörungstheorien Adieu zu sagen. Sie gehören auf den Schuttabladeplatz der Zeit." (218) Diese Intention spiegelt sich auch im Aufbau des Buches wider, wobei in einem abschließenden Kapitel ("Bad Kleinen und die RAF-Geschichte") ein Generalangriff gegen die Lügen und Legenden um die RAF sowie die posthume Verklärung und Vermarktung der Terroristen in Filmen, Werbung, Musik und Literatur gestartet wird. Es ist nicht zu übersehen, dass diese Ausführungen wie das gesamte Buch von der umstrittenen RAF-Ausstellung des Jahres 2005 inspiriert sind, bei der "nicht die Opfer, sondern die Täter" (240) im Mittelpunkt gestanden hätten. Peters zögert daher auch nicht, den Veranstaltern der Ausstellung vorzuwerfen, sie hätten "Mördern einen Heiligenschein" verliehen (240).

"Der letzte Mythos der RAF" beinhaltet nicht nur eine detaillierte Darstellung der Ereignisse von Bad Kleinen und der anschließenden juristischen Untersuchungen, sondern auch skizzenhafte Biografien von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld. Zwei weitere umfangreichere Teile ("Die Vorgeschichte" und "Die dritte RAF-"Generation") widmen sich der Geschichte der RAF von ihrer Gründung bis zum Anschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in der Nacht auf den 27. März 1993. Peters trägt sein Anliegen in einem eindringlichen, beinahe missionarischen Stil vor, verfolgt aber dennoch einen wissenschaftlichen Anspruch, der nicht zuletzt in Anmerkungsapparat und Literaturverzeichnis deutlich wird. Freilich klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander, und die Wissenschaftlichkeit fällt letztlich der leidenschaftlichen Absicht des Autors zum Opfer, die sich um die RAF rankenden Mythen zu zerstören. Peters bedient sich dabei einer Sprache, die zwar schwungvoll in die Thematik einführt und durchaus zu fesseln vermag, mit wissenschaftlichen Abhandlungen jedoch nur schwer zu vereinbaren ist. Umgangssprache und Gewaltdarstellungen - "Ein Metallsplitter schoss ihr in den Kopf. [...] Hirnmasse quillt hervor." (70) -, prägen das Buch. Weiterhin finden sich häufige Wiederholungen, apodiktische Setzungen, prädikatslose Sätze wie "Polizeikontrollen auf den Straßen. Beamte mit dem Zeigefinger am Abzug der Maschinenpistole." (46) Gerade die stereotype Wiederholung der Argumente zum Beleg der Selbstmordthese und zur Widerlegung der These vom Staatsmord wirken ermüdend.

Darüber hinaus werden wichtige Aussagen nur sporadisch oder gar nicht belegt. So finden sich keinerlei Hinweise auf angebliche Interviews mit den Eltern von Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld. Auf welche Literatur sich die skizzenhafte Darstellung der RAF-Geschichte stützt, bleibt unklar. Lediglich wenige Werke aus der bibliografisch fehlerhaften Literaturliste finden sich in den Quellennachweisen wieder. Die, um mit Peters zu sprechen, "Grundlage für diese Darstellung", nämlich "zahlreiche - nicht veröffentlichte - Gerichtsentscheidungen, Behördenpapiere und Stasi-Unterlagen zur RAF sowie Dutzende Gespräche mit Personen" (9) werden nicht genauer aufgeführt und können anhand der Endnoten lediglich erahnt werden. Weiter gemindert wird der Wert des Buches durch ein offensichtlich schlechtes Lektorat. Zahlreiche Rechtschreib- oder Sachfehler - Birgit Mohnhaupt statt Brigitte Mohnhaupt (58) - sind schlicht ein Ärgernis.

Das Buch von Peters dürfte trotz allem ein breites Publikum finden. Für den wissenschaftlichen Leser ist ein populärwissenschaftliches Buch in dieser Form hingegen wenig hilfreich und weder die Kosten noch die Mühe der Lektüre wert. So bietet es keinerlei neue Erkenntnisse und ersetzt erst recht keine wissenschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse von Bad Kleinen und der äußerst interessanten Frage, warum es zu einer derartigen Verklärung der RAF kam und kommt. Peters kann dazu nur wenig beitragen und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, lediglich eine Streitschrift gegen die RAF verfasst zu haben.

Tobias Hof