Robert A. Kaster: Emotion, Restraint, and Community in Ancient Rome (= Classical Culture and Society), Oxford: Oxford University Press 2005, ix + 245 S., ISBN 978-0-19-514078-1, GBP 26,99
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Mit der Monografie "Emotion, Restraint and Community in Ancient Rome" schultert der Latinist Robert A. Kaster ein ambitioniertes Thema, das auf die Untersuchung der emotionalen Verfasstheit einer antiken Gesellschaft abzielt, und lädt zu nichts Geringerem als einer 'expedition in cultural psychology' (4) ein. Als Kern seiner Studie nennt Kaster eine exemplarische Analyse der Wechselwirkungen zwischen Emotionen und sozialen Normen in der römischen Oberschicht, um darüber die Mechanismen der Verinnerlichung von Normen aufzeigen zu können.
Kaster listet in seiner Einleitung die Fallstricke seines Studienobjekts auf: Er betont die kulturelle Bedingtheit von Emotionen und weist auf die Schwierigkeiten, sowohl lexikalische wie moderne emotionale Kongruenzen für die römischen Gefühle zu finden (5-7). Ein Hauptproblem stellt die Quellenbasis dar: Eine Emotion, 'wie sie wirklich war', lässt sich nicht eruieren, Kaster verweist daher auf "emotion talk" (10), also der antiken Rede über Emotionen, wie sie sich in Texten des 1. Jahrhunderts vor und nach Christus aufzeigen lässt. Dem emotionalen Diskurs der späten Republik und frühen Kaiserzeit weist Kaster eine longue durée zu, sodass die veränderten gesellschaftlichen Umstände nicht auf die Inhalte emotionaler Konzepte wirkten (10).
Der Einleitung folgen fünf Kapitel, in denen sich Kaster jeweils den emotionalen Zuständen der verecundia (13-27), des pudor (28-65), der Struktur von paenitentia (66-83), der invidia (84-103) und schließlich einer Ideologie des fastidium (104-133) widmet; die vorgenommene Taxonomie wird z. T. in Grafiken verdeutlicht (31, 70, 87, 141). Beschlossen wird die Studie durch einen Epilog, in dem Kaster nach einem emotionalen Ganzheitszustand eines Römers fragt (134-148). [1] Es schließen sich ein Quellen- sowie ein Personen- und Sachindex und die Bibliografie an.
Die zuerst behandelte verecundia behandelt Kaster als Konzept, dass zwischen Schamgefühl und Achtung changiert; verecundia ist demnach immer im Kontext der Interaktion mit Dritten zu betrachten, zugespitzt als "the art of social worry" (13), durch die soziales Miteinander möglich wird. Anhand von Beispielen bei Pacuvius, Cicero, Livius und Plinius stellt Kaster eine(n) verecundus/-a als eine Person da, die, indem sie die eigene Schamhaftigkeit wahrt und gemessen ihrem sozialen Stand agiert, ihrem Gegenüber die Möglichkeit wahrt, mit ihr angemessen - und ohne beiderseitige Peinlichkeiten zu verursachen - zu interagieren: "avoiding offense to others, by avoiding improper assertion of the self" (17). Mitglieder einer Gesellschaft mit diesem emotionalen Konzept würden dadurch auf einen bestimmten sozialen Ort verwiesen, so dass Kommunikation - ohne den Störfaktor der Peinlichkeit - gelingen kann.
Im zweiten Kapitel widmet sich Kaster einem komplexeren Konzept: Pudor stellt Kaster als abhängig von der Vorstellung eigener Würde, dignitas, und von außen zugebilligtem Wert, existimatio, dar. Pudor werde dementsprechend empfunden, wenn eine Person erfahren muss, dass Dritte einen 'unter Wert' betrachteten (29). Kaster unterscheidet zwischen sechs emotionalen Szenarios, "scripts", die unabhängig wie auch kombiniert abgespielt werden: Diese reichen von Schamgefühl, das durch Umstände, die nicht beeinflusst werden können, ausgelöst wird, über die Fremdscham ("pudor by association") zu eigenverantwortlicher Scham, die sich durch eigene Handlungen motiviert. Es folgen Analysen von pudor, der eintritt, wenn Verpflichtungen zum Beispiel aus Schwäche nicht erfüllt werden können, wie auch pudor ausgelöst durch Handlungen, die per se als erniedrigend eingestuft werden. Kaster fasst das Konzept pudor schließlich als Strategie an, die Beziehung zwischen eigenem Wertempfinden und fremden Blick zu formen: "seeing yourself being seen"(54).
Das dritte Kapitel dreht sich um das römische Konzept des Bedauerns, der paenitentia, wie es sich vor der christlichen Umdeutung als Reue darstellt. Kaster verweist auf Gellius' Definition, nach der paenitentia in Verbindung mit eigenverantwortlichen Handlungen und möglichen negativen Folgen für Dritte erfahren wird. Die Situation wird als unangenehm empfunden, und es ergibt sich der Wunsch, diese zu ändern, um die durch die Handlung infrage gestellte Selbsteinschätzung wieder zu korrigieren. Anders als bei der christlichen Auslegung sei paenitentia jedoch nicht auf das Wohl des Geschädigten ausgerichtet, sondern wird auf die handelnde Person zurückgeworfen, dessen Bedürfnis dahingeht, den Geschädigten zu entschädigen, um das Selbstwertgefühl wieder zu stabilisieren: "part of the care of the self, and of the egoism of regret" (82).
Kaster leitet von den Erscheinungsformen von Scham und Bedauern zur invidia über. Dabei verabschiedet Kaster sich von der traditionellen lexigrafischen Einteilung, invidia allein aktivisch (ich neide) und passivisch (ich werde beneidet) zu scheiden. Ausgehend von dem griechischen Paar phthonos und nemesis fasst er die römische invidia in vier emotionalen "scripts" (87). Das Kriterium für die Trennung stellt ein generelles Rechtsempfinden dar, ob das beneidete Objekt von einem Dritten 'rechtens' erworben wurde. Kaster unterscheidet dabei zwischen zwei "phthonos-scripts": Der Neid speist sich nicht aus einem Rechtsempfinden, sondern entweder aus der begehrten Sache selbst oder er orientiert sich an der beneideten Person. Dem gegenüber stehen zwei "nemesis-scripts": Invidia wird als rechtens empfunden, da die beneidete Sache einem selbst zustünde oder einer größeren Gruppe, etwa der Gesellschaft. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Konzepten ist invidia nach außen gerichtet und betrifft nicht die Selbsteinschätzung. Insbesondere das letzte invidia-script erfüllt gruppenintegrative Funktionen, indem es zur Schaffung eines ethischen Konsenses beiträgt, was rechtens ist und was nicht.
Als letztes Konzept wird das fastidium besprochen, aus dem Kaster eine "Ideology of Disgust" entwickelt. Ein "script" von fastidium kann demnach ein autonomer per se-Reflex auf bestimmte äußere Umstände sein, ausgelöst etwa bei bestimmten Gerüchen, oder als Reaktion bei Tabubruch, sozusagen als ethischer Reflex etwa bei Kannibalismus oder Inzest. Das zweite "script" ist komplexer: Fastidium erfolgt nach Abwägung. Eine Sache oder Person wird als so nieder eingestuft, dass sie Widerwillen erzeugen muss. Kaster findet dafür den Begriff der "aversive connoisseurship" (113), etwa des Stadtmenschen gegenüber dem Land. Die Erfahrung von fastidium ist damit nicht quasi natürlich-biologisch, sondern sozial verabredet. Fastidium trägt somit dazu bei, Gruppen zu konstituieren und weitergehend soziale Unterschiede zu festigen, wenn etabliert wird, was als widerlich zu deklarieren ist.
Kaster schließt seine Studien zu den Emotionen der Römer nicht mit einem Fazit, sondern Überlegungen zum Konzept der integritas: "being wholly Roman." Integrität im römischen Sinn erstreckt sich nicht allein auf ein ethisches, auf das Individuum bezogenes Konzept, sondern vor allem auf ein soziales: "being integer allows you to think of yourself, and to be thought of by others, as personally 'good' or 'pure' and so to have a claim on the 'respect' of the community" (141). Die Wahrung der persönlichen integritas verankere das Individuum in der sozialen Gemeinschaft, sodass das Konzept wie invidia und fastidium als zivile Emotion integrativ wirkt.
Es bleibt der Rezensentin ein Fazit zu ziehen: Kaster hat sich in bemerkenswerter Eloquenz und mit hintergründigem Humor eines Themas angenommen, dass die Kohäsion der römischen Oberschicht auch über deren emotionale Konzepte erläutert: "we do better to conceive the Roman's life as being concerned [...] with the question 'How can we live together well?'" Das ungemeine Wissen des Autors um die nach-antike Hoch- wie Popkultur fließt in überzeitliche Vergleiche ein, die das römische Gefühl verdeutlichen sollen, jedoch die Frage aufwerfen, inwieweit Emotionen - vordergründig vielleicht ähnlich - auch hintergründig tatsächlich vergleichbar sind, inwieweit emotionale Konzepte nicht zu sehr kulturell definiert sind und ganz bestimmte Aufgaben für eine Gesellschaft übernehmen, die sie eben nur in dieser einen Gesellschaft so entstehen lassen. Die Studie ist so auch immer eine Reflexion über die modernen (angelsächsischen) Emotionen.
Anmerkung:
[1] Verschiedene Aspekte der Monografie sind schon veröffentlicht worden: s. The Shame of the Romans, in: TAPhA 127 (1997), 1-19; The Dynamics of fastidium and the Ideology of Disgust, in: TAPhA 131 (2001), 143-189; Invidia, némesis, phthónos and the Roman Emotional Economy, in: Envy, spite and jealousy: the rivalrous emotions in ancient Greece, ed. by David Konstan / Keith Rutter, Edinburgh 2003, 253-276.
Ann-Cathrin Harders