Christoph Kreutzmüller: Händler und Handlungsgehilfen. Der Finanzplatz Amsterdam und die deutschen Großbanken 1918-1945, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 349 S., ISBN 978-3-515-08639-4, EUR 40,00
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"Transnationale Geschichte" ist als Schlagwort in aller Munde, empirisch wird dieser Ansatz jedoch eher selten umgesetzt. Wie fruchtbar er ist, zeigt Christoph Kreutzmüller in seiner Studie zum Bankenplatz Amsterdam. Zwar stehen die Jahre 1940 bis 1945, in denen das "Großdeutsche Reich" und die Niederlande zunehmend zu einem Wirtschaftsraum zusammengeschlossen wurden, im Zentrum der Untersuchung. Die Jahre 1918 bis 1939 werden jedoch keineswegs zur bloßen Vorgeschichte der deutschen Besetzung während des Zweiten Weltkrieges degradiert. Dafür, dass Kreutzmüller den Zeitrahmen so weit auszieht, kann er gute Gründe anführen: Nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg wuchs die wirtschaftliche Bedeutung des Handelsplatzes Niederlande mit seinem Börsenzentrum Amsterdam für die Industrie und Banken des Deutschen Reiches in starkem Maße. Denn für deutsche Finanzinstitute war der mit Abstand führende Börsenplatz in London seit 1918 weitgehend verschlossen und der in New York noch unerreichbar. Infolgedessen wichen die deutschen Banken nach Amsterdam aus, um deutsches Kapital inflationssicher anzulegen. Kreutzmüllers Dissertation, die sich durch eine präzise Begrifflichkeit auszeichnet, ist entgegen dem bescheidenen Titel mehr als eine bloße Geschichte des Finanzplatzes Amsterdams und des deutschen Agierens dort. Sie bietet zugleich eine konzise Geschichte der Wirtschaft der Niederlande allgemein, nachdem diese seit 1919/20 zur "Drehscheibe" des deutschen Außenhandels wurde. Kreutzmüller kann zeigen, dass die Geschichte der Banken gewissermaßen den Kern der Wirtschaftsgeschichte generell markiert. Denn die großen Finanzinstitute bildeten einerseits die entscheidende Schnittstelle zwischen Privatwirtschaft und Industrie und andererseits das Scharnier zwischen den politischen Entscheidungsträgern bzw. ihren wirtschaftspolitischen Konzepten und der Privatwirtschaft. Vor allem seit Mai 1940, als aus dem selbstständigen Staat das Reichskommissariat Niederlande wurde, fungierten sie gleichsam als "Agenten politischer Entscheidungen".
Kreutzmüller hat seine Studie in insgesamt drei große Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil befasst er sich mit den unmittelbaren Folgen des Ersten Weltkrieges für den Finanzplatz Amsterdam. Anschließend bietet er, nach einem knappen, instruktiven Überblick über die allgemeine Wirtschaftsgeschichte der Niederlande während der Zwischenkriegszeit, eine ausführliche Darstellung der Geschichte der niederländischen Banken und ihrer Verflechtung vor allem mit den deutschen "Großen Drei", der Deutschen, der Dresdner und der Commerzbank. Der zweite Teil ist der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzgeschichte des Reichskommissariats 1940 bis 1945 gewidmet, der dritte einem eher spezifischen Phänomen, nämlich der "Hugo Kaufmann & Co.'s Bank", einer größeren, zunächst privaten niederländischen Bank, die Anfang der Zwanzigerjahre zum "Stützpunkt" der Commerzbank als der drittgrößten reichsdeutschen Bank wurde, und der "Rjinschen Handelsbank", die Mitte 1941 zur Tochtergesellschaft der Commerzbank aufstieg.
Besonders spannend ist der zweite Teil, die Darstellung der Wirtschafts- und Finanzgeschichte der Niederlande während der Zeit der Besetzung seit Mai 1940. Während Harold James in seiner, gewöhnlich als Standardwerk eingestuften Untersuchung zur Geschichte der Deutschen Bank während der NS-Zeit (1995) "hinter dem im Jahre 1947 vorgelegten OMGUS Bericht zurückbleibt", wie Kreutzmüller eingangs in seinem gründlichen Forschungsüberblick süffisant anmerkt, bietet er selbst in vielfältiger Hinsicht Neues. Zwar kann er an die große Monografie von Gerhard Hirschfeld anknüpfen; Kreutzmüller geht jedoch gleichzeitig weit über sie hinaus, indem er die neuere, einschlägige niederländische Literatur aufarbeitet und diese zudem um aus zahlreichen Archiven gewonnene, wichtige Aspekte ergänzt. Nicht zuletzt auf diese Passagen (103-207) werden Historiker künftig zurückgreifen, die sich mit der wirtschaftlichen, aber auch der politischen Geschichte der besetzten Niederlande befassen.
Wichtig ist zunächst, dass auch in den besetzten Niederlanden polykratische Strukturen dominierten. Seyß-Inquart war zwar durch Hitler Ende Mai 1940 zum Reichskommissar ernannt worden und hatte damit nominell die zivile Regierungsgewalt inne. Wirtschaftspolitisch war er jedoch nur ein Akteur unter vielen. Entscheidend waren außerdem Görings Vierjahresplanbehörde, das - offenbar immer bedeutungslosere - Reichswirtschaftsministerium, die Wehrmacht, der Reichsminister für Bewaffnung und Munition (entgegen dem Diktum Kreutzmüllers wohl nicht erst seit Frühjahr 1942) und in der zweiten Kriegshälfte außerdem der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz. Trotz dieser Institutionenvielfalt und "trotz aller Kompetenzstreitigkeiten" habe sich "die Wirtschaftspolitik des Reichskommissariats der besetzten niederländischen Gebiete durch einen hohen Grad an Effektivität ausgezeichnet" (107, 310): ein zentraler Befund Kreutzmüllers, der auf der wirtschaftspolitischen Ebene jüngere - das traditionelle Diktum vom "staatlichen Zerfall" und von politisch-staatlicher Ineffizienz widerlegende - Arbeiten etwa aus dem Bereich der NS-Wissenschafts- oder der Kommunalpolitik bestätigt.
Die niederländische Wirtschaftsverwaltung kooperierte aus einer (wie Kreutzmüller in Anlehnung an Hirschfeld formuliert) "attentistischen" Haltung heraus überwiegend bereitwillig mit der deutschen Besatzung. Wenn entsprechend dem deutschen Vorbild sechs Hauptgruppen, denen eine Vielzahl von Wirtschaftsgruppen unterstellt waren, entstanden und es bis Ende 1944 anscheinend nicht zu einer offenen Ausplünderung der niederländischen Wirtschaft, sondern vielmehr zu einer gegenseitigen und in gewisser Weise "gleichberechtigten" Kapitalverflechtung kam, dann lag dies daran, dass die Niederländer als "rassisch" gleichwertig galten und mit Belgien, Dänemark, Norwegen sowie dem "Großdeutschen Reich" als Kern zu einem erweiterten "germanischen" Wirtschaftsraum verschmolzen werden sollten. Statt offener ökonomischer Ausplünderung konzentrierten sich die Besatzungsbehörden darauf, "ein ausnehmend gut funktionierendes System der direkten und indirekten Kontrolle der niederländischen Wirtschaft zu etablieren, [ohne] eine beherrschende Stellung des deutschen Kapitals in den Niederlanden herbeizuführen" (134).
"Gerechtfertigt" war dieses relativ "faire" Verhalten der deutschen Besatzungsbehörden gegenüber den niederländischen Unternehmen und hier wiederum vor allem den niederländischen Banken, weil diese vorzüglich im Sinne der Deutschen als Scharniere zwischen "Betriebsleben" bzw. Privatkunden einerseits und den "kreditsuchenden Behörden" der NS-Diktatur andererseits fungierten, und dabei nicht zuletzt einen "wichtigen Teil des Kaufkraftüberhanges abschöpften" und der deutschen Kriegsfinanzierung zur Verfügung stellten (171). Die niederländischen Finanzinstitute, soweit sie in nicht-jüdischem Besitz waren, behielten ihre dominante Stellung auf dem heimischen Markt; die Filialen der deutschen Banken mussten sich weitgehend mit einer politisch definierten "Nischenfunktion in einem eng begrenztem Marktsegment", dem Geschäft mit der Besatzungsmacht und deutschen Industrieunternehmen, die in die Niederlande expandierten, begnügen (192).
Über die ökonomischen Konstellationen innerhalb der Niederlande und Kapitalverflechtungen mit dem Deutschen Reich hinaus interessiert den Verfasser besonders, in welchem Umfange die deutschen Banken über ihre niederländischen Filialen und Beteiligungen an der Vernichtung der wirtschaftlichen Stellung der Juden - auch - in den Niederlanden beteiligt waren. Seine Recherchen stellen der Commerzbank kein günstiges Zeugnis aus: Nach 1933 wurde die Kaufmann-Bank zwar zunächst zu einem Refugium; durch sie konnten viele Juden Vermögen und Kapital aus dem Reich transferieren und in Amsterdam vor dem Zugriff deutscher Behörden sichern; darüber hinaus konnten in diesem niederländischen Finanzinstitut eine Reihe von nach den NS-Rassegesetzen als "Juden" klassifizierte höhere und mittlere Angestellte der Commerzbank unterkommen. Das änderte sich seit 1940 allerdings grundlegend. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen im Frühjahr 1940 und der "Wirtschaftsentjudungsverordnung" vom 12. März 1941 zeigte die Commerzbank keine Skrupel, die Bank Hugo Kaufmanns zu zerschlagen, sich lediglich die gewinnversprechenden Teile anzueignen und in die "Rjinsche Handelsbank" als ihre neue Tochtergesellschaft zu integrieren. Dabei scheute sie sich nicht, Kaufmann selbst sowie eine Reihe seiner jüdischen Mitarbeiter de facto der Willkür des NS-Regimes auszuliefern, sodass Kaufmann ebenso wie weitere Vorstandsmitglieder und Angestellte der Bank Mitte 1942 nach Auschwitz deportiert wurden und dort umkamen. "Die Bankkaufmänner der Commerzbank hatten sich zu diesem Zeitpunkt längst daran gewöhnt, rassistische Parameter in betriebswirtschaftliche Überlegungen einfließen zu lassen", so ein Resümee Kreutzmüllers.
Insbesondere dem dritten Teil der Dissertation merkt man an, dass sie im Zusammenhang mit dem Projekt der Aufarbeitung der NS-Geschichte der Commerzbank unter der Leitung von Ludolf Herbst entstanden ist. Obwohl in diesem Abschnitt der Dissertation mit Blick auf eine breitere Leserschaft das ein oder andere hätte gekürzt werden können, beeinträchtigt die Commerzbank-Lastigkeit den positiven Gesamteindruck der Arbeit keineswegs. Nicht nur die Ergebnisse, auch die empirische Substanz der Dissertation Kreutzmüllers beeindruckt, die sich auf verstreute und schwer zugängliche Quellen in niederländischen, britischen, russischen sowie west- und ostdeutschen Archiven stützt.
Christoph Kreutzmüller hat mit seiner Arbeit über den Finanzplatz Amsterdam eine bedeutende Studie vorgelegt, die schonungslos die niederländischen Aktivitäten der Commerzbank und auch und gerade ihren mehr als schäbigen Umgang mit den jüdischen Besitzern und Mitarbeitern ihrer vormaligen Tochtergesellschaft aufgedeckt. Das ist historische Aufklärung im besten Sinne des Wortes.
Rüdiger Hachtmann