Rezension über:

Petronilla Ehrenpreis: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs (= Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit; Bd. 3), Innsbruck: StudienVerlag 2005, 513 S., ISBN 978-3-7065-4096-4, EUR 54,00
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Rezension von:
Dieter Wolf
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Wolf: Rezension von: Petronilla Ehrenpreis: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkriegs, Innsbruck: StudienVerlag 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 1 [15.01.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/01/10203.html


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Petronilla Ehrenpreis: Kriegs- und Friedensziele im Diskurs

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Das Thema "Krieg und Frieden", zumal unterhalb der Ebene klassischer Außen- und Militärpolitik, macht auf die internen Strukturbedingungen und Meinungsbildungsprozesse innerhalb der Habsburgermonarchie mehr als neugierig. Die Autorin nimmt mit ihrer Arbeit ein bisher nur am Rande erforschtes Thema auf und konzentriert sich auf den Diskurs in der deutschsprachigen Öffentlichkeit als Begegnung von Regierung und Opposition.

Die ursprünglich umfangreichere Dissertation wurde auf rund 500 Seiten gekürzt, davon knapp 400 Seiten Text und über 100 Seiten Anmerkungen und Literaturangaben. Auf den Seiten 478 bis 487 findet sich eine Reihe von Akten, die in zahlreichen Archiven eingesehen wurden und verdeutlichen, wie arbeitsintensiv dieses nicht leicht zu fassende Thema war. Ein Abbild davon findet sich bereits in der um Definitionen bemühten, über 20-seitigen Einleitung. Das Buch gliedert sich in drei ungleichgewichtige Teile, deren erster in geraffter Weise die politische Ausgangslage 1914 beschreibt und in einem Resümee wiederholt. Die Autorin hält im späteren Verlauf der Studie noch weitere drei Resümees bereit, um dem Leser, "dem des an Zeit mangelt" (23), beizustehen. Ob diese für den vermutlichen "Nichtleser" verstreut bereitgestellten Ersatztexte der flüssigen Gesamtverständlichkeit unbedingt dienlich sind, sei dahingestellt. Teil B "Die Kriegszeit" bietet den Kern der Arbeit (67-364), Teil C ist knapp dem Kriegsende gewidmet (367-380), gefolgt von einer Zusammenfassung (381-390).

Der Gewinn dieser Arbeit liegt unzweifelhaft darin, dass wesentliche Abschnitte unmittelbar aus den Quellen geschöpft sind, beispielsweise die lebendige Darstellung der bürgerlichen außerparlamentarischen Gesprächsforen in der Zeit der strikten Pressezensur während des Kriegsabsolutismus 1914-1916. Dort wurden die verschiedenen Vorstellungen über einen möglichen Friedensschluss und anstehende Reformen im künftigen Staatsaufbau der Doppelmonarchie entwickelt. Mit Ausnahme einer Denkschrift aus dem "Friedjung-Kreis" sind die konzipierten Programme offenbar jedoch ohne konkreten Einfluss auf die Staatsführung geblieben. Gern hätte man darüber mehr erfahren. Als 1917 die Zensurbestimmungen nolens volens gelockert wurden, konnte sich der öffentliche Diskurs über die Form eines ersehnten Friedens endlich entfalten: Er schwankte je nach Position zwischen einem "Siegfrieden" und einen "Verständigungsfrieden". Besonderes Gewicht wird hier auf Kaiser Karls Außenminister Graf Czernin, seinen Anteil am Frieden von Brest-Litowsk und das Novum einer begleitenden aktiven Pressepolitik gelegt. Czernins öffentliche Rolle als "Friedenspromotor" (276) wird anschaulich beschrieben, das Scheitern seiner Idee eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen unter Verweis auf den für uneinsichtig gehaltenen deutschen Bündnispartner konstatiert. Die Rücktrittsumstände und das politische Verschwinden dieses bedeutenden Staatsmannes werden allerdings viel zu knapp abgehandelt: "Daß sich die Masse der deutschsprachigen Bevölkerung der Donaumonarchie an der Person des Ministers des Äußern orientierte" (386), muss als empirisch nicht abgesicherte These außer Acht gelassen werden.

Die Autorin kommt zu dem problematischen Ergebnis, es habe im deutschsprachigen Teil Österreich-Ungarns keine Kriegsbegeisterung, sondern vielmehr nur eine loyale "Schicksalsergebenheit" (381) gegeben. Gleichzeitig heißt es: "Ein breiter, die gesamte Bevölkerung der Donaumonarchie umfassender übernationaler Kriegskonsens war in Anbetracht der Vielvölkerstruktur Österreich-Ungarns ohnehin nicht zu erzielen." Diese generalisierende Feststellung bedarf noch der Überprüfung, da die Autorin ausschließlich deutschsprachiges Quellenmaterial herangezogen hat. Ihr subsumierender Schlusssatz (390), im Habsburgerreich hätten es die wirksamen Pressestrategen der westlichen Demokratien erfolgreich vermocht, "die Öffentlichkeit auf die Politik der Regierung einzuschwören", also eine vorhandene Kriegsbegeisterung tatsächlich wach zu halten, ist daher eine wenig überzeugende Hypothese. Die Erkenntnis dagegen, in Wien habe es ein Defizit an positiver Pressepolitik und ein drückendes Übergewicht an negativen Zensurmaßnahmen gegeben, gewinnt die Autorin überzeugend aus unzähligen Fallbeispielen.

Das Buch enthält eine Fülle an wertvollen, unmittelbar aus Archivmaterial und vielen Zeitungen, gewonnenen Informationen und baut auf der breit gefächerten Forschungsliteratur auf. Die Darstellung ist indes oft sehr sperrig, da viele umfangreiche Zitate blockweise mitten im Text auftauchen (z. B. besonders monströs 348 ff.) und an die Stelle der selbstständigen Interpretation treten. Personen und Ereignisse werden oft unvermittelt als bekannt vorausgesetzt, ohne vorher genauer eingeordnet worden zu sein. Viele additive Hinweise im Haupttext hätten unbedingt anders geordnet in die Anmerkungen versetzt gehört. Wenngleich die zusammenhängende Lektüre aus all diesen Gründen nicht leicht fällt, ist festzuhalten, dass mit viel Zeit und Mühe neue Erkenntnisse aus bisher unausgewerteten Archivalien gewonnen wurden.

Dieter Wolf