Rezension über:

Burkhard Apsner: Vertrag und Konsens im früheren Mittelalter. Studien zu Gesellschaftsprogrammatik und Staatlichkeit im westfränkischen Reich (= Trierer Historische Forschungen; Bd. 58), Trier: Kliomedia 2006, 322 S., ISBN 978-3-89890-051-5, EUR 52,00
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Rezension von:
Verena Postel
Institut für Mittelalterliche Geschichte und Geschichtliche Landeskunde, Philipps-Universität, Marburg
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Verena Postel: Rezension von: Burkhard Apsner: Vertrag und Konsens im früheren Mittelalter. Studien zu Gesellschaftsprogrammatik und Staatlichkeit im westfränkischen Reich, Trier: Kliomedia 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/11501.html


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Burkhard Apsner: Vertrag und Konsens im früheren Mittelalter

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Die bei Hans Hubert Anton in Trier entstandene Dissertation leistet einen wichtigen Beitrag zu der seit Langem intensiv geführten Diskussion um den spezifischen Charakter (früh-)mittelalterlicher "Staatlichkeit", um die Funktionsweisen dessen, was in Abgrenzung zu neuzeitlichen Definitionen als "konsensuale Herrschaft" (Schneidmüller) bezeichnet wird. Schlossen consilium und consensus, die in der Kommunikation der Großen mit dem König als ihrem Lehnsherrn z. B. auf Hof- und Reichstagen eine wichtige Rolle spielten, auch die Bindung des Herrn an die Ergebnisse der Beratung ein? Wer bestimmte in welchen Beratungsformen das Zustandekommen eines Konsenses?

In diesem offenen Forschungsfeld fragt sich der Autor, ob es im Frankenreich des 9. Jahrhunderts bereits Vorläufer der spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Herrschaftsverträge und der ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen adliger Partizipation gegeben habe. Dazu prüft er sorgfältig ein breites Quellenspektrum zwischen Historiografie, Leges, Urkunden, Kapitularien, Konzilsakten und Krönungsordines quantitativ und qualitativ auf die in ihm enthaltenen Konsensformeln. Nachdem er sich besonders mit der Konsensterminologie im Vertrag von Coulaines, in den Kapitularien zwischen Karl dem Großen und Karl dem Kahlen sowie bei den Frankentagen der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat, kommt er zu folgendem Hauptergebnis: eine dauerhafte Teilhabe des geistlichen und weltlichen Adels an der Herrschaft mittels einer vertraglichen Bindung des Herrschers sei nicht bereits in Coulaines vorgesehen gewesen, wie 1963 Peter Classen gemeint hatte, sondern werde erst seit der Krise des westfränkischen Reiches im Jahre 858 (Einladung an Ludwig den Deutschen) greifbar. Die hier erfolgte Eidesleistung Karls des Kahlen gegenüber seinen fideles, wiederholt bei der Krönung zum König in Lotharingien in Metz 869, habe den Weg zur Fixierung der vertraglichen Bindung des Königs, seit dem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts sogar transpersonal des Königtums, vorgezeichnet. Als geistiger Urheber einer solchen partizipatorischen Herrschaftskonzeption habe Hinkmar von Reims zu gelten. In einem Brief an Ludwig den Stammler, dessen Mutter diesem 877 im Verein mit wichtigen Großen die Herausgabe der Insignien verweigerte, habe er dem schwachen Thronfolger geraten, mit den wichtigsten Repräsentanten des westfränkischen Adels einen Vertrag zu schließen. Damit habe der Erzbischof ein "Modell frühmittelalterlicher Staatlichkeit" entworfen, "in dem die Zentralgewalt durch Vertrag mit den wichtigsten Großen verbunden war"(278). Regionalisierung des Herrschaftsgebiets und vertragliche Bindung des Königs gingen so Hand in Hand und zeichneten die spätere Entwicklung unter den Kapetingern vor, die bekanntlich nur über die Francia, nicht aber über die Fürstentümer in Neustrien, Burgund und Aquitanien direkt herrschten.

Die Bedeutung dieser Epoche für die longue durée des französischen Königtums ist damit evident, doch gilt dies auch für die Frage der "Staatlichkeit" im Frühmittelalter? Hier zögert Apsner und deutet seine Ansicht nur in einer Anmerkung an (14, Anm. 13). Er hat sich klar überlegt, welche gemeinsamen Merkmale in mittelalterlichen und neuzeitlichen Herrschaftsverträgen erkennbar sind (16 ff.): politische Konfliktsituationen als Auslöser für die Bemühung um Konsens zwischen König und Adel, Rechtsgarantien als Inhalt der Verträge, Sorge um das bonum commune als Verpflichtungsgrund, Mahnrecht der fideles bei Nichteinhaltung der Vertragsbestimmungen durch den König, Schriftlichkeit. Reicht dies aber zur Feststellung einer "Staatlichkeit" bereits hin?

Mit der Frage der Begrifflichkeit kommen wir zu zwei methodischen Problemen der Arbeit: Zunächst auf das in der Einleitung nur unzureichend beschriebene begriffsgeschichtliche Vorgehen des Autors. Wenn er einerseits die Konsensformeln der Kapitularien als "Idealvorstellungen, die zu der Realität in krassem Gegensatz stehen konnten" (127) bezeichnet, die als Propagandamittel auf Initiative des Episkopats die Mitarbeit wichtiger Adelsgruppen im regnum Karls des Kahlen erreichen wollten, wie kann er sie dann gleichzeitig als Hinweis auf Phasen interpretieren, "in denen die Zustimmung des Adels eine größere Rolle gespielt hat und infolgedessen häufiger in den Kapitularien ihren Niederschlag gefunden hat"(104)? Sind Begriffe Faktoren oder Indikatoren der Wirklichkeit - oder gar beides?

Der zweite Punkt: Wenn der Autor kritisiert, dass in bisherigen "Überblicksdarstellungen zum mittelalterlichen Vertragsgedanken" (13) eine zu sehr an neuzeitlichen Vertragslehren orientierte Perspektive vorherrsche, warum behebt er diesen Mangel nicht selbst, indem er den Blick auch auf die spätantike Tradition politischer Verträge richtet, die sich z. B. in den Föderatenverträgen zwischen dem römischen imperium und den zuwandernden gentes v. a. seit den Gotenverträgen 380/2 manifestiert? Sind nicht bereits hier Elemente enthalten, die auf seine Vertragslehre zulaufen? Diese foedera banden z. B. keineswegs nur die Herrscher, sondern die Getreuen waren als Garanten der Abmachungen durchaus auch Vertragspartner. Die Transpersonalität des Königtums könnte durch diesen Kontakt mit dem römischen Kulturkreis vorbereitet worden sein. Denn die Römer fassten diese Verträge prinzipiell als in perpetuum geltend auf, die gentilen Herrscher hingegen fühlten sich nur für ihre Lebenszeit daran gebunden. Nicht nur durch Vergleich mit spätmittelalterlichen Verträgen, sondern auch durch den Blick zurück in die Spätantike wären die Verträge des 9. Jahrhunderts einzukreisen und in ihrer verfassungsgeschichtlichen Bedeutung deutlicher zu erfassen gewesen.

Dies ist umso nahe liegender als Apsner selbst in seiner Analyse des Vertrages von Coulaines gegen neue Thesen, die eine königliche Initiative erkennen wollen (Nelson), nachweist, dass sich Coulaines dem Einfluss einer Adelsgruppe verdankt, die über Graf Warin von Mâcon über Beziehungen nach Aquitanien und damit in eine "Kontaktzone zu römischen Rechtstraditionen"(73) verfügte. Nimmt man den frühen Beginn transpersonaler Staatsvorstellungen vom ministerium regis im Westgotenreich hinzu (Konzil von Toledo 653), wo die Salbung spätestens seit 672 eingeführt war und die Sakralisierung des Königtums folgte, bietet sich das Westgotenreich als Vorbild an, in dem vor allem auf den Konzilien bereits ähnliche Konsensbemühungen zwischen Teilen des Adels und dem Königtum zu verzeichnen waren. Ein Vergleich der fränkischen Konzilsakten mit den westgotischen könnte hier weiteren Aufschluss bringen. Findet sich hier auch jene von Apsner als Novum der Kapitularien Karls des Kahlen ermittelte "Vereinheitlichung der Konsensterminologie"(126), die geistlichen und weltlichen Adel nicht mehr voneinander schied, sondern auf Initiative vor allem des geistlichen Adels alle Großen zur Mitarbeit am regnum aufforderte (155)?

Doch dieser Anspruch auf Erweiterung des Kontextes geht fraglos über denjenigen hinaus, der legitimerweise an eine Dissertation zu stellen ist und möge eher als eine Aufforderung zu weiterer Forschung verstanden werden. Gleiches gilt für die Kritik an Apsners (und nicht nur seiner!) unausgesprochener Übernahme der irrigen Ansicht, wir hätten es im Frühmittelalter mit einer Zeit zu tun, die ausschließlich in Personenverbänden organisiert gewesen sei.(z. B. 17). Die unselige Mayer'sche Dichotomie von Personenverbands- und Flächenstaat wirkt weiter, obwohl sie von der neueren Forschung z. B. insofern relativiert worden ist, als sowohl die rechtliche wie die politische Konstituierung der gentilen Reiche gerade vom Bezug auf ein Territorium bestimmt war.

Insgesamt ist Apsner ein sorgfältig aus den Quellen gearbeitetes, den Forschungsstand umsichtig abwägendes und anregendes Buch gelungen, welches eine wichtige Etappe in der Entwicklung konsensualer Herrschaftspraxis an konkreten Stationen beleuchtet. Die Frage nach der "Staatlichkeit" im Frühmittelalter hat auf diese Weise weitere, präzise Messkriterien erhalten.

Verena Postel