Brigitte Flug / Michael Matheus / Andreas Rehberg (Hgg.): Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag (= Geschichtliche Landeskunde; Bd. 59), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005, 455 S., ISBN 978-3-515-08467-3, EUR 68,00
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Die Festschrift ist Brigide Schwarz, einer renommierten Erforscherin der spätmittelalterlichen römischen Kurie, zum 65. Geburtstag gewidmet. Der zeitliche Rahmen des Bandes reicht vom 11. bis ins 19. Jahrhundert bei deutlichen Schwerpunkten im 14. und 15. Jahrhundert. Entsprechend dem Anteil der papstgeschichtlichen Grundlagenforschung im Lebenswerk der Jubilarin stehen in dem Band die Erschließung und Edition neuer Quellen sowie die Auswertung des Repertorium Germanicum im Vordergrund. Dies macht den besonderen Wert der Festschrift aus. Im eng bemessenen Rahmen der Festschriftbeiträge bleibt aber oft nur wenig Raum, die vorgestellten Quellen auch unter gezielten Fragestellungen zu analysieren oder historisch einzuordnen. So beginnt der Band mit einem Beitrag von Karl Borchardt, der eine verdienstvolle Zusammenstellung von 122 Quellen zum Johanniterorden in den ältesten erhaltenen Supplikenregistern aus dem Pontifikat Clemens' VI. (1342-1352) präsentiert. Diese reicht von Seite 18 bis Seite 37. Nur andeutungsweise wird sie einleitend (17f.) und abschließend (37-39) in die Problemgeschichte des päpstlichen Anspruchs auf plenitudo potestatis gegenüber auf Selbständigkeit bedachten Ordensgemeinschaften eingeordnet. Das soll keine grundsätzliche Kritik sein. Der vorliegende Band wird aber nicht als Quellensammlung, sondern als Aufsatzsammlung ausgewiesen und als solche bibliografisch erfasst. Deshalb sei hier auch noch auf folgende Quelleneditionen des Bandes besonders verwiesen: 1) Eine "Verordnung gegen die Korruption an der päpstlichen Kurie des 13. Jahrhunderts" nach Hs. Durham, C. II. 5, ediert und eingeleitet von Andreas Meyer, 169-173; 2) Zwölf ungedruckte Fragmente aus dem verlorenen Vatikan-Register Urbans VI. von 1378 auf der Grundlage des Avignonesischen Registers Nr. 182, ediert und eingeleitet von Patrick Zutshi, 41-61; 3) Eine Kanzleiordnung des Basler Konzils von 1439 nach der Kopenhagener Handschrift Ny kgl. 1842fol., ediert und eingeleitet von Johannes Helmrath, 93-112; 4) Notizen des Augsburger Kaplans Johannes Vetterlin aus dem Heiligen Jahr 1450, nach Cod. st 366 der Universitätsbibliothek Eichstätt, ediert und eingeleitet von Bernhard Schimmelpfennig, 255-261; 5) Dokumente der Societas officii am Hofe Papst Sixtus' IV. von 1479 aus dem römischen Staatsarchiv, ediert und eingeleitet von Anna Esposito, 197-207; 6) Vier Testamente für die Bruderschaft von S. Maria dell' Anima in Rom aus den Jahren 1524-1527, ediert und eingeleitet von Christiane Schuchard, 307-324.
Die Herausgeber hatten gute Gründe, die Beiträge weder chronologisch, noch nach Textgattungen (Editionen, Regesten, Aufsätze), sondern nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu ordnen. Es ist hervorzuheben, dass, obwohl es sich um eine Festschrift handelt, alle Beiträge einen erkennbaren Bezug zur Kuriengeschichte aufweisen. Noch deutlicher harmonieren manche Aufsätze teilweise im Hinblick auf die vier von den Herausgebern formulierten Oberthemen.
Am wenigsten ist dies allerdings in der ersten und längsten Gruppe mit der Überschrift "Kurie, Ämter und Institutionen" der Fall. Neben den schon erwähnten Arbeiten von Karl Borchardt, Patick Zutshi und Johannes Helmrath fallen darunter Aufsätze von Dieter Brosius, Birgit Studt, Ludwig Schmugge und Ulrich Schwarz. Nur auf den letzten Beitrag dieser Sektion kann hier näher eingegangen werden, ein Arbeitsbericht von Wolfgang Reinhard, der einen Rückblick auf die fast 40 Jahre umfassende "Verflechtungsforschung" des Autors einschließt:
Als Inspirationsquelle dieser von der Mediävistik bereits vielfach rezipierten Forschung bezeichnet Reinhard den mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin (151). Ausgehend davon konzentriert sich Reinhard aber auf die Kurie im frühen 17. Jahrhundert und lässt es offen, in welchem Maße die hier beobachteten Verflechtungsphänomene als Kontinuität mittelalterlicher Strukturen aufzufassen sind. Beeindruckend ist aus mediävistischer Sicht die Masse an Personendaten, die von Reinhard erfasst wird. Dies veranlasst zu der Frage, ob sich auf dieser Basis Erkenntnisse gewinnen lassen, die uns aus der Geschichte des Mittelalters angesichts geringerer Datenüberlieferung verborgen bleiben müssen. Reinhards Ergebnis ist ernüchternd. Er stellt uns eine Datenbank vor, die 2.282 Personendatensätze zur Geschichte der Kurie (1605-1621) erfasst. Von diesen seien aber nur 500 bis 800 Datensätze "für die Zwecke mikropolitischer Kurienforschung" (163) interessant. Die meisten Datensätze bestünden "nur aus dem Namen und dem einmaligen Nachweis auf einer der Positionenlisten". (162) Reinhard hat immerhin von 327 Kurialen die Lebensdaten, von 189 Prälaten den Geburtsort, in 251 Fällen die Sterbeorte und von 138 Personen ihre Stellung in der Geschwisterreihe ermittelt. Mit diesen Daten kann Reinhard zumindest einige sozialgeschichtliche Annahmen untermauern. Die mögliche statistische Fehlerquote bleibt angesichts der stark lückenhaften Datensätze hoch. Es bleibt abzuwarten, ob sich der Sinn dieses Datenbankprojektes in einer angekündigten Buchpublikation besser erschließen lässt.
Das zweite Oberthema des Bandes "II. Geldgeschäfte und Kurie" vereint Beiträge von Andreas Meyer, Claudia Märtl, Anna Esposito und Götz-Rüdiger Tewes. Zu den von Meyer und Esposito edierten Quellen vgl. die Angaben oben. Auch die Arbeit von Claudia Märtl präsentiert Erträge kuriengeschichtlicher Grundlagenforschung, nämlich in Gestalt von Übersichten und Analysen zum kurialen Rechnungswesen unter Pius II. (1458-1464) nach verschiedenen Archivbeständen (Claudia Märtl, 175-195). Diese zeigen, dass Pius II. hinsichtlich seiner Finanzpolitik bisher unterschätzt wurde. Die Verfasserin regt abschließend dazu an, "einmal dem Zusammenhang zwischen grundlegender Reformunfähigkeit und wachsender Bürokratie nachzugehen" (195). Die Sektion wird abgerundet durch eine differenzierte Studie von Götz-Rüdiger Tewes über deutsche Annatenzahlungen an die römische Kurie im 15. und frühen 16. Jahrhundert, die zu dem Ergebnis kommt, dass der "gefühlte Wert der deutschen Geldzahlungen nach Rom [...] wesentlich höher als der tatsächliche" lag (222) und im Vergleich mit Spanien und besonders Frankreich ein sogar eher bescheidenes Ausmaß hatte - ein bemerkenswerter Befund im Hinblick auf die Ursachen der Reformation.
Zum Oberthema III "Deutsche in Rom: Wege und Motivationen" gehören die bereits erwähnten Arbeiten von Bernhard Schimmelpfennig und Christiane Schuchard. Der die Sektion eröffnende Beitrag von Michael Matheus thematisiert Motive befristeter Romaufenthalte von deutschen Hochadeligen und zeigt hierbei die Erkenntnischancen auf, die sich aus der Untersuchung von Grabplatten und Graffitti auf der Via Francigenia in Verbindung mit den im Repertorium Germanicum und im Repertorium Poenitentiariae Germanicum erschlossenen kurialen Quellen einerseits und deutschen landesgeschichtlichen Schriftquellen andererseits ergeben. Einen breiteren Personenkreis nimmt Arnold Esch unter dem Titel "Deutsche im Rom der Renaissance. Indizien für Verweildauer, Fluktuation, Kontakte zur alten Heimat" in den Blick, ein besonders anschaulicher und spannungsreicher Beitrag, dessen Fragestellungen auch Bezüge zu biografischen Erfahrungen des Autors in der Gegenwart erahnen lassen. Andreas Rehberg möchte eine vertiefende Arbeit über deutsche Weihekandidaten in Rom vor der Reformation anregen, stellt aber selbst zu dem von ihm auch als "Weihetourismus" bezeichneten Phänomen bereits sorgfältige und ertragreiche Quellenanalysen vor. Abgeschlossen wird die Sektion mit einer lebendigen Darstellung von Siegfried Müller über Reise- und Alltagserfahrungen deutscher Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts in Rom und seinem Umland.
Die vierte und letzte Sektion bemüht das Begriffspaar "Zentrum und Peripherie", um Beiträge von Lukas Clemens, Felicitas Schmieder, Pierre Jugie, Brigitte Hotz, Robert Gramsch und Kirsi Salonen in eine aktuelle Forschungsperspektive einzuordnen. Dabei wird ein geografischer Peripherie-Begriff aus Sicht der Kurie zu Grunde gelegt. Als Beispiele für die "Peripherie" werden Trier, der nordalpine Raum, Paris, Zürich, Thüringen und Finnland angesprochen. In dem Beitrag von Robert Gramsch "Kommunikation als Lebensform" werden ohne Diskussion des Begriffs "Lebensform" Personen, die professionell Kommunikation an und mit der Kurie leisteten oder vermittelten, vorgestellt. Dabei konzentriert sich Gramsch auf die Biografie von Rudolf Losse und auf die Präsenz von Angehörigen der Kurie in Thüringen.
Der Band ist eine Bereicherung für historische Bibliotheken. Der kuriengeschichtlichen Forschung stellt er eine große Zahl von Quellen und Materialien zur weiteren Auswertung, aber auch neue analytische Erkenntnisse zur Verfügung und enthält ein breit gefächertes Anregungspotential für die unterschiedlichsten historischen Fragestellungen.
Thomas Michael Krüger