Rezension über:

Stefan Goch / Norbert Silberbach: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 im Nationalsozialismus, Essen: Klartext 2005, 360 S., ISBN 978-3-89861-433-7, EUR 17,90
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Rezension von:
Lorenz Peiffer
Institut für Sportwissenschaft, Leibniz Universität, Hannover
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Peiffer: Rezension von: Stefan Goch / Norbert Silberbach: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 im Nationalsozialismus, Essen: Klartext 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/9740.html


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Stefan Goch / Norbert Silberbach: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau

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Das Wortspiel mit den Farben im Titel des von Stefan Goch und Norbert Silberbach verfassten Buches über den FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus "Zwischen Blau und Weiß liegt Grau" könnte zu der Assoziation verleiten, dass der Verein Schalke 04 in den Jahren 1933-1945 eine konturlose Erscheinung, eine 'graue Maus' gewesen sei. Das war der Verein jedoch keinesfalls. Im Gegenteil - aus sportlicher Sicht war Schalke 04 als sechsfacher Deutscher Fußballmeister in den Jahren 1934, 1935, 1937, 1939, 1940 und 1942 sowie als Deutscher Pokalsieger im Jahre 1937 der erfolgreichste Fußballverein in der NS-Zeit.

Im Vorfeld des 100-jährigen Vereinsjubiläums im Jahr 2004 stellte sich die Frage nach der Rolle des Vereins, seiner Funktionäre und Spieler in der Zeit des Nationalsozialismus. Mit der beabsichtigten Benennung einer Straße im Umfeld des neuen Stadions nach dem großen Starspieler der 30er- und 40er-Jahre, Fritz Szepan, geriet plötzlich der ehemalige Spieler in den Fokus der öffentlichen Diskussion um die Beteiligung an 'Arisierungen' jüdischen Vermögens und Besitzes. In dieser Situation vergab der Vorstand des FC Schalke 04 den Auftrag zur Untersuchung der Vereinsgeschichte in der Zeit des 'Dritten Reiches' an das Gelsenkirchener Institut für Stadtgeschichte - ein bislang in der deutschen Fußballvereinsgeschichte einmaliger Vorgang!

Die umfangreiche Studie von Goch und Silberbach umfasst insgesamt sieben Kapitel, denen sich ein kommentiertes Quellenverzeichnis anschließt. In den ersten drei kurzen Kapiteln stellen die Autoren ihre Fragestellung, den Aufbau ihrer Untersuchung, den aktuellen Forschungsstand sowie die Quellenlage vor. Da im vereinseigenen Archiv des FC Schalke 04 keine Originalquellen aus der Zeit vor 1945 überliefert sind, stützen sich die Autoren in erster Linie auf Berichte in zeitgenössischen Zeitungen sowie auf Quellen aus kommunalen, regionalen und überregionalen staatlichen Archiven.

Im Fokus der Studie steht die Frage nach dem "Handeln bzw. Verhalten von Mitgliedern und Verein" (15) in der NS-Zeit, wobei sich für die Autoren in diesem Zusammenhang auch die Frage "nach der Bewertung des Handelns" (16) stellt. In Anlehnung an Ulrich Herbert [1] gehen Goch und Silberbach in ihrer Beurteilung des politischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozesses nach dem 30. Januar 1933 davon aus, dass die Vorstellung von 'Verführung und Gewalt' als den zentralen Kategorien des Verhaltens des NS-Regimes gegenüber der Bevölkerung nicht mehr den aktuellen Forschungserkenntnissen entspricht. Vielmehr sei "von einem sich radikalisierenden und eskalierenden Prozess zunehmender Brutalisierung auszugehen, in den große Teile der Bevölkerung einbezogen wurden" (17). Inwieweit in diesen Prozess auch gesellschaftliche Organisationen wie Sportvereine eingebunden waren, diese Frage ist in der sporthistorischen Forschung erst in den letzten Jahren gestellt worden. [2] Goch und Silberbach stellen die Frage nach der Einbindung und Selbsteinbindung des Vereins und seiner Repräsentanten in diesen Prozess, gehen aber auch der Frage nach der Inanspruchnahme (Instrumentalisierung) der sportlichen Erfolge des Vereins durch NS-Herrschaftsträger auf kommunaler, regionaler und Reichsebene nach.

In ihrem ersten inhaltlichen Kapitel analysieren sie die Geschichte des Vereins im Kontext der sozialen und politischen Entwicklung in Gelsenkirchen vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass entgegen den bisherigen Darstellungen zur Geschichte des FC Schalke 04 bei den Schalker Vereinsmitgliedern keineswegs von einer "besonderen masurischen Prägung" (37) gesprochen werden kann. Schon bei der Gründergeneration handelte es sich um "Zuwanderer 2. Generation, die sich beruflich" etabliert hatten und einer "relativ qualifizierten 'Elite'" (38 f.) angehörten. Aufgrund der unzureichenden Quellenbasis bleibt die Politik des Vereins in den ersten Wochen und Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme weitgehend im Dunkeln. Der vom Deutschen Fußballbund (DFB) und dem Westdeutschen Spielverband (WSV) verordneten Gleichschaltung und dem verordneten Ausschluss der jüdischen Mitglieder konnte sich auch der FC Schalke nicht entziehen, wobei jedoch offen bleiben muss, ob der Rücktritt des 2. Vorsitzenden, des jüdischen Zahnarztes Dr. Paul Eichengrün, durch aktives Betreiben des Vereins erfolgte. Als neuen "Vereinsführer" bestimmte der Verein "Vater Unkel", ein Schalker Urgestein, der bis 1931 bereits den Verein geführt hatte und nicht der NSDAP angehörte.

In einem weiteren Kapitel, das die Autoren mit "Systematische Fragestellungen" (99-184) überschreiben, gehen sie nun "den Fragen nach der Einbindung in den Nationalsozialismus, nach Anpassung oder auch mindestens partieller Resistenz sowie nach Förderung oder Bevorzugung des FC Schalke 04 durch die Nationalsozialisten" (99) nach. Mit dem letzten Aspekt greifen Goch und Silberbach immer wieder geäußerte Vorwürfe im Zusammenhang mit den großen sportlichen Erfolgen der Schalker auf. Sie kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass es weder Manipulationen noch eine Bevorzugung der Schalker Spieler im Kontext der Einberufungen zur Wehrmacht gegeben hat. Während sich der Verein "als unpolitisch im Sinne der bürgerlichen Sportbewegung" (105) verstanden hat, waren Vereinsmitglieder in Vereinigungen sehr unterschiedlicher politischer Richtungen aktiv: das reichte vom Engagement in der KPD, der Wirtschaftspartei, der Deutschen Volkspartei bis zur NSDAP. Als "zentrales Bekenntnis zum Nationalsozialismus" (110) werten Goch und Silberbach den Beitritt zur NSDAP. Eine Mitgliedschaft von Vereinsmitgliedern in der NSDAP ergab, dass von 224 Personen, "die potentiell Mitglied werden konnten" (111) 47 Mitglied (21 %) der NSDAP waren, wobei von den aktiven Spielern nur wenige Parteimitglied wurden. An verschiedenen Beispielen zeigen die Autoren die unterschiedlichen Beweggründe für den Eintritt in die Partei.

Durch die großen sportlichen Erfolge standen die Spieler des FC Schalke 04 im Rampenlicht der Öffentlichkeit. An zahlreichen Beispielen weisen die Autoren nach, wie einerseits die Popularität des Vereins und der seiner Spieler von Trägern des NS-Regimes genutzt wurde, um sie in NS-Aktivitäten und -Veranstaltungen einzubinden und sich selbst darzustellen. Andererseits nutzten Spieler wie Szepan und Kuzorra ihre Popularität, um durch Wahlaufrufe für die NSDAP zu werben und ihre Nähe zum Regime zu demonstrieren. Das Engagement dieser beiden Spieler für das NS-Regime blieb jedoch ein Einzelfall, wie Goch und Silberbach nachweisen. Für 254 Personen aus der Vereinsgeschichte haben sie personenbezogene Informationen zusammengetragen - auch zum Verhalten im 'Dritten Reich'. Sie unterscheiden zwischen "Meisterspielern" (205 ff.), "Vereinsvorständen" (219 ff.) und "Jüdischen Mitgliedern und Unterstützern" (234 ff.).

An dem Prozess der "Arisierung", der Überführung jüdischen Besitzes in "'arische' Hände" (165) waren Cliquen und Seilschaften lokaler Machthaber beteiligt, so auch in Gelsenkirchen. In Anlehnung an die Forschungen u. a. von Frank Bajohr [3] belegen Goch und Silberbach die Beteilung des Schalker Spielers Szepan an der Arisierung der jüdischen Firma Rhode & Co.

An keiner Stelle der Studie erhalten Leserinnen und Leser den Eindruck, dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten für den Auftraggeber FC Schalke 04 handelt. Goch und Silberbach entlassen den Verein nicht aus seiner politischen Verantwortung. Der FC Schalke 04 war kein Verein, der sich offen zum Nationalsozialismus bekannte, "wie die breite Mehrheit der deutschen Bevölkerung verhielten sich auch die Schalker Akteure loyal gegenüber dem 'Dritten Reich', passten sich an und ließen sich naturgemäß auch gerne für ihre sportlichen Erfolge feiern" (246). Auch wenn der Verein sein Handeln in der Zeit des Nationalsozialismus als "unpolitisch" verstanden hat, durch den Ausschluss der jüdischen Mitglieder, der Einführung des Führerprinzips und der damit verbundenen Abkehr von demokratischen Strukturen, der Einbindung von Parteigängern der Nazis in die Vorstandsarbeit hat der Verein als gesellschaftliche Organisation seinen Beitrag zur Etablierung und Stabilisierung des NS-Regimes geleistet.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Herbert (Hg.): Nationalsozialistische Vernichtungspolitik. 1939-1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt a. M. 1998.

[2] Vgl. Lorenz Peiffer: Sport im Nationalsozialismus. Zum aktuellen Stand der sporthistorischen Forschung. Eine kommentierte Bibliografie, Göttingen 2004.

[3] Frank Bajohr: Gutachten zum Erwerb des Textilwarengeschäftes Julius Rode & Co, Schalker Markt 9, durch Friedrich Szepan im Jahre 1938, Hamburg 2001 (Ms.).

Lorenz Peiffer